Tänzerin des Lichts - Roman

von: Christine Feehan

Heyne, 2018

ISBN: 9783641220327 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Tänzerin des Lichts - Roman


 

Kapitel 2

Masken. Denkt daran, auch die Ärmel runterzuziehen, damit absolut keine Möglichkeit besteht, dass jemand erkannt wird. Lasst die Handschuhe an – ihr kennt die Routine. Viktor erteilte Befehle. Es kam darauf an, schnell hinein- und wieder hinauszukommen. Ein Blitzschlag, und sie wurden zu Phantomen.

Er wartete, während sich die anderen, lautlosen Gespenstern gleich, an den Balken über den schmutzigen Räumen entlang bewegten, in denen die Frauen untergebracht waren. Sie hatten das schon so oft gemacht, dass es wie am Schnürchen klappte. Als Erstes nahmen sie sich immer die einzelnen Kabinen vor. Sie mussten absolut leise sein und darauf vertrauen, dass die Mädchen ruhig blieben. Dann stellten sie die Monitore in den Fluren ab. Als Nächstes war der »Schulungsraum« dran, und danach schalteten sie so viele der in einer Schlange anstehenden Freier wie möglich aus, um sich schließlich aus dem Staub zu machen.

Er gab Handzeichen, und seine Männer verteilten sich, ein jeder nahm sich eines der Zimmerchen vor. Es waren keine richtigen Zimmer, eher provisorische Kabinen, vier Wände mit offener Decke, die der Swords-Klub mit einem Lkw von einem Einsatzort zum nächsten transportierte. Sie konnten die klapprigen Dinger innerhalb einer Stunde auf- und abbauen. Das geschah immer nachts, der Ortswechsel wurde jeweils über das Internet bekannt gegeben, und Stammkunden bekamen eine Mitteilung per SMS – nur eine Adresse.

Viktor gab das Signal, und jeder seiner Männer verschwand in einem der winzigen Räume. Er ließ sich hinter seinem Opfer fallen, rammte ihm das Messer tief in die Schädelbasis und zog die Leiche gleichzeitig von der jungen Frau weg. Sie riss vor Schreck Mund und Augen auf, er legte ihr eine Hand auf die Lippen. »Wir holen dich hier raus.«

Er wartete, bis sie es begriffen hatte. Einen Moment lang leuchtete Hoffnung in ihrem Blick auf, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Sie haben Männer, die schon auf euch warten. Sie reden die ganze Zeit von nichts anderem.« Sie sprach leise. »Wir haben nie geglaubt, dass ihr kommen würdet.«

Es hatte sich also schon bis zu den Mädchen herumgesprochen. Das machte seinen Job leichter. Manchmal war es schwierig, ihnen klarzumachen, dass sie befreit wurden. Natürlich benachrichtigte er jedes Mal anonym die Polizei, aber das war immer Glückssache. Die Swords hatten Geld, mehr Geld als jeder andere Klub hier im Westen, seinen eingeschlossen, obwohl sein genialer Schatzmeister in den letzten vier Jahren viel auf die Konten des Torpedo-Ink-Klubs abgezweigt hatte, und wenn dies hier vorbei war, dann würden sie Evans Geld haben.

»Still. Ich hole dich, wenn es vorbei ist.« Er wartete ihr Nicken ab, sprang dann auf und zog sich an der Kante der dünnen Bretterwand zum Deckengebälk hoch.

Am Dachbalken entlangschreitend sah er, dass sein Team gut vorangekommen war. Er kletterte noch ein zweites und drittes Mal in eine Kabine, dann hatten sie alle Mädchen befreit. Der Korridor war immer der gefährlichste Teil. In den Kabinen hatten sie den Feind in weniger als zwei Minuten ausgelöscht, aber die Wachen auf dem Flur konnten jeden Moment bei einer der Frauen nachsehen. Also mussten sie noch schneller arbeiten.

Jeder seines Teams gab ihm zu verstehen, welche der Wachen im Gang er sich vornehmen würde. Sie waren zwei Mann weniger, weil Transporter den Haupteingang bewachte und Mechaniker den Weg nach draußen. Reaper und Savage signalisierten, sich die beiden überzähligen vorzuknöpfen. Das überraschte Viktor nicht weiter. Sie waren blitzschnell. Es wunderte ihn auch nicht im Mindesten, dass sich die beiden, die sie ausgesucht hatten, in der Nähe der Zielperson aufhielten, die er sich auserkoren hatte. Reaper stand immer hinter ihm.

Viktor lief flink den Balken entlang und wartete dann direkt über seinem Opfer, bereit zuzuschlagen. Sobald sie alle in Stellung waren, gab er das Zeichen, und sie stürzten sich alle koordiniert auf den Feind und trennten den Männern unter dem Schädel die Wirbelsäule durch. Viktor drehte sich noch zu den beiden um, die sich Reaper und Savage zusätzlich vorgenommen hatten, aber sie sanken bereits beide zu Boden, fast wie in Zeitlupe.

Er duckte sich, sprang zur Wand, zog sich daran hoch und lief über den Dachbalken zurück zum Schulungsraum. Sein Bauch krampfte sich zusammen; die Wut, die darin glühte, begann sich bemerkbar zu machen. Er konnte es nicht ausstehen, die jungen Frauen so fertig und teilnahmslos zu sehen, dass sie sich nicht einmal mucksten, wenn ein Mann nach dem anderen zu ihnen kam, doch die »Ausbildung«, die Vergewaltigungen und Schläge, warfen ihn immer in seine eigene Kindheit zurück. Wäre es ihm möglich gewesen, er hätte sämtliche Mitglieder der Swords von der Erde getilgt.

Viktor. Absinth berührte seinen Arm, unterbrach seine Gedanken. Lass das dieses Mal uns machen. Du nimmst dir den Schulungsraum jedes Mal vor.

Viktor entgegnete nichts. Er konnte nichts erwidern. Es ging absolut nicht an, dass er nichts tat, wenn die anderen ihr Leben riskierten, um das zu tun, was zu tun er sich geschworen hatte – Evan Shackler-Gratsos davon abzubringen, Frauen und Kinder zu verschachern. Reaper und Savage nahmen ihn in ihre Mitte.

Viktor blickte in die Kabine unter ihnen. Obwohl die Swords mit Problemen rechneten, arbeiteten sie weiter mit den neuen Mädchen. Und arbeiten bedeutete, sie immer wieder zu schlagen, zu vergewaltigen und einzuschüchtern. Er hatte solche Szenen oft genug beobachtet und meinte, er müsse eigentlich inzwischen gegen jegliche Emotionen immun sein, oder zumindest abgestumpft, aber er war es nicht. Bei dem Anblick wurde ihm nicht nur übel, sondern diese nagende Wut in seinem Bauch gedieh zu einem rasenden Sturm.

Viktor konnte es nicht aushalten, die verhärmten, geschwollenen Gesichter der Mädchen anzusehen, ihre hoffnungslosen, leeren Blicke, während sie dalagen und den nächsten gesichtslosen Mann erwarteten, der sie benutzte, um sie dann ihrem Schicksal zu überlassen. Einen Moment lang schloss er die Augen, und sofort überfluteten ihn Bilder aus seiner eigenen Kindheit, derselbe hoffnungslose Blick in so vielen Gesichtern. Die Wut steigerte sich von einem Feuerinferno zu einem vollen Vulkanausbruch.

Er sah seine Männer nicht an. Er konnte es nicht. Bestimmt hatten auch sie Albträume, genau wie er. Und er wusste, in ihnen tobte dieselbe Wut auf jene Typen, die gegen Kinder, junge Männer und Frauen derartige Gewaltakte verüben konnten.

Sieben Mädchen im Alter von etwa elf bis fünfzehn Jahren lagen auf schmutzigen Matratzen in der Ecke, weinten leise und versuchten, ihr Schluchzen zu unterdrücken, während vier Kerle einem achten Mädchen Gewalt antaten. Dieses kam ihm vor wie ein Baby, nicht älter als elf, vielleicht noch jünger. Sie hatte sich gewehrt, aber jeglicher Widerstand war aus ihr herausgeprügelt worden. Doch auch das half ihr nicht; die Männer um sie herum hörten nicht auf.

Alle Mädchen zeigten Anzeichen von Vergewaltigung und Schlägen. Sie blickten schockiert, verstört und schon jetzt völlig hoffnungslos. Drei von ihnen schienen Kämpfernaturen zu sein; vor allem eine sah aus, als habe sie mehrmals versucht, dem Mädchen, das gerade »in Arbeit« war, zu helfen. Während Viktor weiter beobachtete, versuchte sie es noch einmal und wurde dafür brutal niedergeschlagen. Als sie am Boden lag, trat einer der Kerle ihr so heftig in den Bauch, dass Viktor zusammenzuckte und ihn aus den Augenwinkeln musterte, sobald er sich wieder dem Mädchen zuwandte, das gerade vergewaltigt wurde.

Zeitgleich ließen sich Viktor, Reaper, Savage und Absinth von hinten auf den Feind fallen; Ice und Storm gaben ihnen von oben Deckung. Der, den sich Viktor ausgesucht hatte, musste ein Aufblitzen von Hoffnung oder Schock in den Augen seines Opfers erkannt haben, denn er wollte sich umdrehen. Er hatte die Jeans bis zu den Knöcheln hinuntergelassen, stolperte und fiel auf den Mann neben ihm. Noch ehe er einen Laut von sich geben konnte, stach Viktor ihm das Messer in die Kehle und durchtrennte ihm dann beide Halsschlagadern. Savage wandte sich den Mädchen zu, einen Finger auf die Lippen gelegt. Trotzdem schrien zwei der jüngsten auf. Eine, die Kämpferin, kroch blitzschnell zu ihnen und bedeckte ihre Münder.

»Wir holen euch hier raus«, versicherte Viktor ihnen. »Aber erst müssen wir noch die Wachen draußen beseitigen. Seht zu, dass sie ruhig bleiben, und wartet, bis ihr ein Zeichen bekommt. Alles klar?«

Behutsam zog er das Mädchen unter den vier toten Männern hervor und trug es zu jenem, das noch einen Rest von Kampfgeist in sich hatte.

»Zoe«, flüsterte die Kämpferische mit Tränen in den Augen, drückte die Kleine sanft an sich und wiegte sie. Zoe erwiderte nichts. Sie hatte sich innerlich an einen anderen Ort begeben. Zu oft schon hatte Viktor eine solche Szene gesehen.

»Kümmere dich um sie. Und ihr bleibt alle ganz still und versucht, nicht auf die Toten zu schauen.«

Die kleine Kämpferin nickte. Viktor nahm sich vor, später noch einmal nach ihr zu schauen, nur um sich zu versichern, dass sie alles verstanden hatte. »Wie heißt du?«

Sie hob das Kinn an, wissend, was er sah und auch, dass er wusste, was diese Männer ihnen angetan hatten. »Darby. Darby Henessy.«

»Haltet durch, wir holen euch hier raus.« Er hasste es jedes Mal wieder, sie allein zurückzulassen. Aber er konnte nicht die Welt retten, sondern lediglich sein Bestes tun. Er hatte sie befreit, und nun war es an ihnen, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Das würde nicht leicht sein, das wusste er besser als die meisten...