Transfer of Power - Der Angriff

von: Vince Flynn

Festa Verlag, 2017

ISBN: 9783865525536 , 100 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 4,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Transfer of Power - Der Angriff


 

2

Straße von Hormus

Persischer Golf

Der Wind pflügte durch die dunkle Wasseroberfläche. Mehrere Lagen wogender, tief hängender Wolken rasten im Zickzackmuster darüber hinweg. Die höheren Cluster trieben nordwärts über das offene Wasser des Persischen Golfs, während die unteren Schichten die mit Inseln gesprenkelte Straße von Hormus querten und ins Landesinnere des früheren Persiens und heutigen Irans zogen. Durch eine gelegentliche Öffnung in der Wolkendecke ließ sich der Mond blicken. Der aufkommende Sturm sorgte für kurze Niederschläge mit unterschiedlicher Intensität. Kein guter Zeitpunkt, um sich auf dem Meer aufzuhalten.

Aus den Untiefen einer anderthalb Meter hohen Welle ragte plötzlich ein Mast empor und stieg weiter nach oben. Er schlitzte den Gipfel der Dünung auf wie die Unheil verkündende Rückenflosse eines Hais. Weiße Gischt schlug über dem schmalen Objekt zusammen, während es Kurs nach Süden nahm. Sobald es sich mehrere Meter über die Wellen erhob, nahm es sofort Peilung zum Himmel auf. Bei dem dünnen, gestreiften Etwas handelte es sich um eine elektronisch gestützte Antenne zum Anmessen von Radarsignalen. Sekunden später gesellte sich ein zweiter dünner Mast dazu. Dieser erfasste die Umgebung im 360-Grad-Winkel. Genauso schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden beide Objekte wieder in der Tiefe.

Unter der aufgewühlten Wasseroberfläche patrouillierte ein extrem kostspieliges Stück Technik unauffällig vor der iranischen Küste. Niemand außer der Besatzung wusste, dass es gerade seine tödliche Fracht freigesetzt hatte. Das Kampf-U-Boot der 688er-Klasse wandte sich gerade wieder internationalen Gewässern zu, als zwei Köpfe an die Oberfläche kamen, unmittelbar gefolgt von drei weiteren. Die Wogen hoben und senkten sich, bildeten dann einen Kreis. Einer der Männer mühte sich mit einem schwarzen Gebilde ab, löste den Riemen, mit dem es zusammengehalten wurde, und zog an einer Schnur. Das IBS, ein kompaktes, selbstaufblasendes Schlauchboot, füllte sich rasch mit Luft und war nach weniger als einer Minute einsatzbereit. Zwei der Taucher befestigten einen Außenbordmotor am Heck, ein dritter installierte den Treibstofftank. Die raue See wirbelte das Boot hin und her, doch sie setzten unbeirrt ihre Arbeit fort.

Sobald der Motor gesichert war, kletterten die beiden letzten Männer an Bord. Ihre schwarzen Neoprenanzüge ließen sie mit dem dunklen Schlauchmaterial des Gefährts verschmelzen. Beim dritten Versuch reagierte der Anlasser. Der Mann am Heck drehte am Gasgriff und Sekunden später schossen sie zwischen den Wellen hindurch.

Lt. Commander Dan Harris hielt sich an einer der vorderen Halteschlaufen fest und überprüfte den Kompass am Handgelenk. Als Nächstes widmete er sich dem kompakten GPS-Empfänger, den er daneben festgeschnallt hatte. Er nutzte die Daten von 18 Satelliten, die Zehntausende Kilometer über der Erde in einem Orbit kreisten, um die exakte Position bis auf vier Meter genau zu bestimmen.

Das U-Boot hatte Harris und seine Leute 30 Meter vom verlangten Ziel entfernt abgesetzt. Harris grinste in seinen Bart hinein. Diese Arschkriecher von der Besatzung verstanden ihren Job. Sie waren absolute Perfektionisten.

Der muskelbepackte Kommandant packte die Schlaufe etwas fester, als das Boot mit der Nase voran in die Brandung krachte. Dan Harris, Annapolis-Absolvent des Jahrgangs 1981, galt als wandelnder Widerspruch. Er war eine Art kultivierter Rüpel, temperamentvoll und doch durch nichts aus der Ruhe zu bringen, wütend und ruhig zugleich, emotional und logisch, einfühlsam und gnadenlos – kurz gesagt: Er agierte immer so, wie es die Situation gerade verlangte. Das hatte er sich von anderen Kommandanten abgeschaut, die solche Einsätze leiteten. Die U. S. Navy war ein riesiger bürokratischer Apparat. Wenn man seinen Kopf durchsetzen wollte, musste man ziemlich viel Zeit darauf verwenden, Admirälen an der Spitze der Befehlskette in den Hintern zu kriechen.

Lt. Commander Harris beherrschte diesen Tanz auf dem Drahtseil nahezu perfekt. Deshalb sicherte er sich immer die vielversprechendsten Missionen, während seine Kollegen gelangweilt hinter ihren Schreibtischen in Little Creek und Coronado hockten.

Das kleine Schlauchboot krachte in eine Welle und wurde mit eiskaltem Salzwasser bespritzt, das die fünf bärtigen Mitglieder des SEAL Team Six, der streng geheimen Anti-Terror-Einheit der Navy, von Kopf bis Fuß durchnässte. Harris schüttelte sich das Wasser aus dem Gesicht. Der Pferdeschwanz schlackerte im Nacken hin und her. Die fünf Männer, die in dieser stürmischen Nacht durch das aufgewühlte Meer schipperten, bezeichnete man im Kontext solcher verdeckten Missionen als ›langhaarige SEALs‹. Bei diesen Anlässen durften sie die strikten Navy-Bestimmungen, was Bartwuchs und Haarlänge anging, außer Acht lassen. Sie zählten zu den besten Schützen ihrer Flotte, weshalb man ihnen regelmäßig die vertraulichsten und meist auch gefährlichsten Missionen zuwies.

Die Männer teilten viele Gemeinsamkeiten. Zu den augenfälligsten gehörte ihre gebräunte Haut. Lt. Commander Harris hatte sie quasi handverlesen und die Gruppe so klein wie möglich gehalten. Heute begleiteten ihn nur die Besten der Besten. Denn für Fehler gab es keinen Platz.

Bandar Abbas, Iran

Eine gewaltige Welle schlug gegen das Ufer und schickte einen Sprühnebel hoch in die Luft. Mitch Rapp rückte den Turban zurecht und wischte sich das Salzwasser aus dem Gesicht. Er ließ den Blick an der Küste entlangschweifen, um sich zu vergewissern, dass er keine ungebetene Gesellschaft hatte. Auf dem Weg zum Pier im Norden blieb er kurz stehen, hob eine Blechdose auf und verstaute sie im Stoffbeutel. Er hielt am gebückten Gang fest, erreichte schlurfend den Holzsteg und ging darunter hindurch, um die andere Seite zu überprüfen. Anschließend ging er zurück unter den Steg und setzte seinen Weg den Strand entlang bis zu der Stelle fort, wo die hölzerne Struktur im Betonfundament verankert war.

Innerhalb der nächsten zehn Minuten checkte er methodisch jeden Meter, um sicherzustellen, dass niemand hier war. Er hatte diese Stelle für die Ankunft der SEALs ausgewählt, deshalb lag es in seiner Verantwortung, ungewollte Überraschungen zu verhindern.

Rapp schaute auf die Uhr, während der Wind zwischen den Pfeilern, die den Pier stützten, hindurchpfiff. Sie bewegten sich exakt im Zeitplan. Rapp hatte fast zehn Jahre seines Lebens auf diesen Moment hingearbeitet und dachte nicht daran, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen.

Persischer Golf

Der nuklearbetriebene Flugzeugträger USS Independence kämpfte sich durch das unruhige Meer. Zusammen mit ihrem Kampfverbund aus zwölf Schiffen und zwei U-Booten patrouillierte die Besatzung seit mittlerweile 23 Tagen im nördlichen Teil des Gewässers. Am späten Vorabend hatten sie die Anweisung erhalten, das Suchgebiet in südliche und östliche Richtung zur Straße von Hormus auszuweiten.

Vor gerade drei Stunden hatte die Independence, ein grauer Koloss, im Schutz der Dunkelheit zwei Helikopter der U. S. Air Force an Bord genommen, die nun mittschiffs auf dem inselähnlichen Stahlkomplex thronten. Beide Helikopter waren blassbraun mit etwas dunkleren Streifen lackiert. Sie gehörten zum First Special Operations Wing – der Truppe, die amerikanische Einsatzkräfte in die haarigsten Gebiete weltweit einfliegen und wieder herausholen musste. Der erste, größere der beiden Hubschrauber war ein MH-53J Pave Low, der locker 40 Millionen Dollar kostete und als eines der fortschrittlichsten militärischen Fluggeräte überhaupt galt. Man brauchte eine sechsköpfige Crew, um ihn zu steuern, und das Navigationssystem war ähnlich komplex angelegt wie bei modernsten Jagdbombern. Der Pave Low verfügte ferner über das ENS getaufte Navigationssystem der Air Force. Es basierte auf 20 unterschiedlichen Systemen, darunter Doppler-Navigation, automatische Funkpeilung, Fluglageanzeiger, GPS und einer ganzen Batterie von Kompassen und Gyroskopen. Auf diese Weise konnte das ENS selbst unter widrigsten Umständen jederzeit eine exakte Positionsbestimmung vornehmen.

Das System gestattete es den bestens ausgebildeten Piloten des First Special Operations Wing, auch im schlimmsten Sturm Hunderte von Kilometern knapp oberhalb der Baumkronen zurückzulegen, um nur Sekunden nach Aufforderung zur Extraktion oder Infiltrierung an einem vorgegebenen Ziel zu landen. Im Special-Ops-Geschäft machte das den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern aus. Oder, um es auf den Punkt zu bringen, zwischen Leben und Tod. Man brauchte besonders qualifiziertes Personal, um diesen voluminösen, schwer beherrschbaren Heli zu steuern, und die Air Force achtete streng darauf, dass nur die talentiertesten Piloten auf diese Wunderwerke der Technik losgelassen wurden.

Der zweite Helikopter war nur knapp zwei Drittel so groß wie der bullige Pave Low. Darüber hinaus verfügte der MD-5300 Pave Hawk lediglich über eine reduzierte Variante des Enhanced Navigation Systems. Das überschaubarere, dadurch aber wendigere Fluggerät leistete quasi Rückendeckung. In beiden Fluggeräten arbeiteten Piloten und Besatzung gerade methodisch die vorgegebenen Pre-Flight-Checklisten ab. Unliebsame Überraschungen konnten sie nicht gebrauchen. Kleinste Fehler führten zum Tod. Falls sie gerade Festland überflogen, zogen sie darüber hinaus schnell einen internationalen Zwischenfall nach sich.

Iranische Küste

Lt. Commander Dan Harris hielt das Nachtsichtglas vor die Augen und bemühte sich vergeblich, die...