SEPARATION OF POWER – Die Macht - Thriller

von: Vince Flynn

Festa Verlag, 2019

ISBN: 9783865526922 , 100 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 4,99 EUR

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SEPARATION OF POWER – Die Macht - Thriller


 

PROLOG

Dr. Irene Kennedy stand vor dem frisch aufgeschütteten Erdhügel und ließ ihren Tränen freien Lauf. Es war ein bescheidenes Begräbnis gewesen. Nur Verwandte und einige enge Freunde. Die anderen hatten den windumtosten Friedhof bereits verlassen, um in der Stadt ein leichtes Mittagessen im Haus einer Tante einzunehmen. Die 40 Jahre alte Leiterin des Counterterrorism Center der CIA wollte ein paar Augenblicke allein am Grab ihres Mentors verbringen. Kennedy hob den Kopf und wischte sich über das feuchte Gesicht, ließ dabei die Umgebung auf sich wirken. Sie ignorierte die beißende Kälte des westlichen South Dakota und öffnete die emotionalen Schleusentore. Dies war ihre letzte Chance, so offen den Verlust des Mannes zu betrauern, der ihr so viel beigebracht hatte. Danach ging es zurück nach Washington, wo ihr die vermutlich größte Bewährungsprobe ihres Lebens bevorstand. Während der letzten Tage als CIA-Chef hatte Stansfield sie aufgefordert, sich keine Sorgen zu machen. Er habe alle nötigen Vorkehrungen getroffen, damit sie als Nachfolgerin seinen Platz an der Spitze der Central Intelligence Agency einnehmen könne. Kennedy freute sich nicht sonderlich auf das Bestätigungsverfahren, das ihr bevorstand. Vor allem fürchtete sie sich davor, den hohen Maßstäben standhalten zu müssen, die ihr ehemaliger Boss gesetzt hatte. Sie hielt ihn für einen der großartigsten Menschen, die sie je gekannt hatte.

Thomas Stansfield war an einem kühlen Herbstmorgen gestorben. Umgeben von seinen Kindern, Enkeln und Irene Kennedy. Genau so hatte er es gewollt. Nur zwei Wochen vor seinem 80. Geburtstag entschied er, nicht weiterzumachen. Seine letzten Tage verbrachte er in einem Ledersessel. Der beruhigende Schleier von Morphin betäubte sowohl seinen Verstand als auch die bohrenden Schmerzen des Krebsgeschwürs, das in seinem Körper wütete. Durchs Fenster beobachtete er, wie die Bäume ihr verbliebenes Laub abwarfen. Der letzte Herbst seines Lebens.

Thomas Stansfields Aufstieg an die Spitze der Central Intelligence Agency gehörte zum Stoff, aus dem Legenden gesponnen wurden. 1920 war er in Stoneville im Bundesstaat South Dakota zur Welt gekommen und reifte in den zwei forderndsten Jahrzehnten der Geschichte seines Landes zum jungen Mann. Die sorglosen Tage seiner Kindheit wurden überlagert von glutheißen Sommern und bedrohlichen Sandstürmen, die von den südlichen Ebenen heranwehten und die Welt am helllichten Tag in Dunkelheit hüllten. Die Weltwirtschaftskrise setzte den Stansfields schwer zu. Einer seiner Brüder, ein Onkel und mehrere Cousins sowie zwei seiner vier Großeltern überlebten diese Ära nicht.

Thomas Stansfields Eltern hatten sich im Teenageralter kennengelernt, beide frisch von den Viehtransportern gesprungen, die in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zahllose europäische Einwanderer über ganz Amerika verteilten. Sein Vater stammte aus Deutschland, seine Mutter aus Norwegen. Staunend lauschte er den Geschichten, die sie und ihre Verwandten aus der Heimat erzählten. Er lernte Englisch in der Schule, doch nachts am Kamin lauschte er der Muttersprache seiner Vorfahren. In der Schule glänzte er mit hervorragenden Leistungen und brachte für die Arbeit auf der Farm deutlich weniger Interesse als seine Brüder auf. Eines Tages, entschied er, würde er nach Europa zurückkehren und sich mit der Vergangenheit seiner Familie auseinandersetzen. Als ihm mit 17 angeboten wurde, im Rahmen eines Vollstipendiums die South Dakota State University zu besuchen, zögerte er keine Sekunde.

Das Studium erwies sich für ihn als bloße Fingerübung. Als Jahrgangsbester machte er seine Abschlüsse in Maschinenbau und Geschichte und wurde in der Schlussphase der heißen, hungrigen 30er-Jahre Zeuge bedrohlicher Entwicklungen. Während die meisten seiner Kommilitonen und Professoren den Blick auf innenpolitische Probleme der USA richteten, behielt er den Aufstieg des Faschismus in Europa wachsam im Auge. Sein Intellekt warnte ihn, dass sich dort Unheilvolles zusammenbraute.

Franklin Delano Roosevelt erkannte ebenfalls, dass in Europa und in Fernost etwas Grundböses vor sich ging. Doch der 32. Präsident der Vereinigten Staaten konnte vorerst nichts dagegen unternehmen. Die Stimmung der Volksseele setzte andere Prioritäten. Amerika hatte zu viele Söhne im Ersten Weltkrieg geopfert und die Bürger sahen keinen Grund, sich in einen weiteren Konflikt verwickeln zu lassen. Sollte Europa seine Probleme doch selbst lösen. Deshalb handelte Roosevelt, wie es sich für einen scharfsinnigen Politiker gehörte, wartete den geeigneten Moment ab und wappnete sich so gut wie möglich für den drohenden Krieg. Dabei setzte er auf den Rat eines engen Vertrauten, Colonel Wild Bill Donovan. Donovan, ein Anwalt aus New York, hatte das 165. Regiment der 42. amerikanischen Division im Ersten Weltkrieg in Frankreich geführt und dafür später die Medal of Honor verliehen bekommen. Er zählte zu den weitsichtigsten und geschätztesten Beratern des Präsidenten. Auf seine Empfehlung hin rief Roosevelt das Office of Strategic Services ins Leben. Donovan sorgte als Erstes dafür, dass in den Streitkräften und US-Universitäten nach jungen Männern mit Sprachbegabung gesucht wurde, um das OSS bei der Analyse abgefangener Nachrichten der Achsenmächte zu unterstützen. Dabei verfolgte er einen weiteren Hintergedanken: Der Colonel wusste, dass die Frage nicht lautete, ob Amerika in den Krieg hineingezogen würde, sondern wann. Bis dahin wollte er gerüstet sein, Landsleute hinter die deutschen Linien einzuschmuggeln, um den Widerstand zu koordinieren, Informationen zu sammeln und bei Bedarf Feinde eliminieren zu lassen.

Thomas Stansfield zählte zu den fähigsten Rekruten von Wild Bill Donovan. Der hagere Farmerjunge aus den westlichen Steppengebieten von South Dakota sprach fließend Deutsch und Norwegisch, außerdem passabel Französisch. Während des Kriegs war er als Fallschirmflieger sowohl in Norwegen als auch in Frankreich gelandet. Mit Anfang 20 wurde er zum Anführer eines Teams ernannt, das später im Rahmen der Operation Jedburgh zu einer der erfolgreichsten OSS-Einheiten aufrücken sollte. Nach Kriegsende erklärte General Eisenhower, die Invasion Frankreichs wäre ohne den Einsatz der mutigen Jedburgh-Teams niemals möglich gewesen. Ihnen gelang es im Zuge der Aktivitäten im Widerstand und der Weiterleitung detaillierter Ermittlungsberichte am Ende auch, die deutschen Truppen während der ersten Phase des Einmarsches nachhaltig zu stören und in die Irre zu führen. Thomas Stansfield gehörte zu den tapferen Männern, die monatelang hinter feindlichen Linien den Weg zum Erfolg geebnet hatten. In den frühmorgendlichen Stunden vor dem D-Day schufen Stansfield und sein Team durch die Zerstörung einer zentralen Zugstrecke und eines Telefonverteilers die entscheidenden Grundlagen.

Nach dem Krieg diente Stansfield weiterhin seinem Heimatland. Als 1947 die CIA gegründet wurde, gehörte er zu den ersten Mitarbeitern der Agency. Er verbrachte einen Großteil der nächsten vier Jahrzehnte in Europa, überwiegend hinter dem Eisernen Vorhang, und zählte zu den effektivsten Rekrutierern ausländischer Agenten überhaupt. In den 80ern zeigte sich Präsident Reagan so beeindruckt von seinem unbeugsamen Auftreten, dass er ihn zum Moskauer Stationschef ernannte, weil er ahnte, dass Stansfield die Russen mit seiner Art in den Wahnsinn treiben würde. Im Anschluss an die Moskauer Tage wurde er in die USA beordert und rückte zunächst zum Deputy Director für das operative Geschäft der Agency auf, ehe er schließlich den Direktorenposten übernahm. Er diente seinem Land treu, ohne auf öffentliche Anerkennung abzuzielen.

Präsident Hayes hatte ihn am Sterbebett besucht und angedeutet, Vorbereitungen für ein Begräbnis mit militärischen Ehren auf dem Arlington National Cemetery zu treffen. Er kündigte an, die Totenrede persönlich halten zu wollen. Er hielt es für das Mindeste, nachdem Stansfield seinem Land so viel gegeben hatte. Dieser schlug in der für ihn typischen Bescheidenheit das Angebot aus und bat den Präsidenten, an seinem Geburtsort beigesetzt zu werden. Ohne Prunk und besondere Umstände, im Rahmen einer diskreten Beisetzung für einen äußerst diskreten Mann.

Kennedy wischte sich eine nasse braune Haarsträhne aus dem Gesicht. Er fehlte ihr jetzt schon. Wie sie so dastand in der kühlen Brise, den trüben grauen Himmel über sich, fühlte sie sich so allein und isoliert wie nie zuvor. Ihren Vater durch eine Autobombe in Beirut zu verlieren, war extrem schmerzhaft gewesen. Allerdings gab es einen entscheidenden Unterschied. Damals hatte niemand besondere Erwartungen an sie gestellt. Sie hatte sich für sechs Monate aus allem herausgezogen und die halbe Welt bereist, um nach Antworten zu suchen. Diesmal durfte sie sich einen solchen Luxus nicht leisten. Zunächst einmal gab es da Tommy, ihren enorm wissbegierigen sechsjährigen Sohn. Vor dieser Verantwortung konnte sie nicht weglaufen. Es genügte, dass Tommys Vater das getan hatte. Sie wollte auf keinen Fall, dass die wichtigste Person in ihrem Leben ein zweites Mal enttäuscht wurde. Leider gab es nicht nur Tommy, das hätte sie irgendwie hinbekommen, sondern auch noch Washington.

Kennedy blickte nach Westen, wo die Black Hills in ihrer fremdartigen, unergründlichen Schönheit am Horizont aufragten. Für einige Sekunden flackerte in ihren Gedanken der Wunsch auf, einfach zu verschwinden. Sie könnte sich Tommy schnappen, ihren Dienst bei der CIA quittieren und davonlaufen, ohne sich noch mal umzusehen. Dann hätte sie mit dem ganzen Chaos nicht länger etwas zu tun. Sollten sich diese egoistischen Aasgeier doch auf ein anderes Opfer stürzen. Sie senkte die Augen auf das Grab...