Sigmund Freud

Sigmund Freud

von: Georg Markus

LangenMüller, 2006

ISBN: 9783784481203 , 352 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,65 EUR

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Sigmund Freud


 

Freud ist zu ehrlich (S.165)

Die Sexualität

Je mehr Patienten in »Freier Assoziation« zu Freud gesprochen hatten, desto deutlicher trat ein Thema in den Vordergrund: das Thema Sexualität. Wird der Lusttrieb unterdrückt und ins Unterbewußtsein gedrängt –, statt sich, wie von der Natur vorgesehen – zu entladen, dann kommt es vielfach zu seelischen Störungen. Die Zusammenhänge zwischen psychischen Erkrankungen, unterdrückter Kindheitserinnerung und Sexualität waren dem Seelenarzt aus der Berggasse sehr früh bewußt geworden. So schildert er in den 1895 veröffentlichten Studien über Hysterie einen Fall aus seiner Praxis:

»Ich behandelte eine junge Frau an einer komplizierten Neurose, die wieder einmal nicht zugeben wollte, daß sie sich ihr Leiden in ihrem ehelichen Leben geholt hatte. Sie wandte ein, daß sie schon als Mädchen an Anfällen von Angst gelitten habe, die in Ohnmacht ausgingen. Ich blieb standhaft. Als wir besser bekannt geworden waren, sagte sie plötzlich eines Tages: ›Jetzt will ich Ihnen auch berichten, woher meine Angstzustände als junges Mädchen gekommen sind.

Ich habe damals in einem Zimmer neben dem meiner Eltern geschlafen, die Tür war offen, und ein Nachtlicht brannte auf dem Tische. Da habe ich dann einige Male gesehen, wie der Vater zur Mutter ins Bett gegangen ist, und habe etwas gehört, was mich sehr aufgeregt hat. Darauf bekam ich meine Anfälle.« Hatte sein Freund Breuer die Sexualität außer acht gelassen, so entwickelte Freud zunächst eine Theorie, die jegliche Art von Hemmung, Hysterie und Neurose erklären sollte: Psychischen Fehlentwicklungen, meinte Freud, waren grundsätzlich sexuelle Erlebnis- se in der Kindheit vorausgegangen.

Patientinnen hatten ihm erzählt, sie wären als Mädchen verführt oder vergewaltigt worden; Männer berichteten, ihre Mütter hätten sie in der Kindheit – etwa beim Baden oder ähnlichen Gelegenheiten – mit »übertriebenen Zärtlichkeiten« belästigt. Schuld, so glaubte Freud erkannt zu haben, wären in den meisten Fällen die Eltern, oft aber auch Kinderfrauen, Gouvernanten oder fremde Personen.

Freud war auf diese »Verführungstheorie« durch einen Fall gestoßen, den sein ehemaliger Lehrer, der prominente Neurologe Moritz Benedikt, erwähnte: »Ich wurde in eine Provinzstadt zum Konsilium gerufen«, berichtete Benedikt, »und fand eine junge Dame vor, die seit Monaten vom Morgen bis Abend an Hustenschreikrämpfen litt. Sie empfing mich mit den Worten: ›Herr Professor, Sie werden mich nicht kurieren!‹ Ich wußte hiermit, daß dem Falle ein schwerwiegendes Geheimnis zugrunde liege.« Nach eingehender Untersuchung des Mädchens »eröffnete ich der Mutter der Kranken, ich hätte den Verdacht, daß ihre Tochter geschlechtlich mißbraucht worden und daß sie davon somatisch und psychisch krank sei.

Ich sagte ihr, daß ich in der Regel ein solches Geschlechtsgeheimnis einer Patientin nicht einmal der Mutter verrate. Hier handle es sich aber um die Heilung eines schweren Zustandes und hier müsse volle Klarheit herrschen. Ich hatte richtig vermutet; das Mädchen sei als zehnjähriges Kind von einem Manne mißbraucht worden. Als ich zur Kranken kam, sagte sie mir: ›Jetzt werden Sie mich kurieren.‹

In der Tat konnte das somatische Leiden in kurzer Zeit weggeschafft werden.« Hier setzte Freud ein – nicht ohne in seiner Arbeit Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene auf die »gelegentlich publicirten Bemerkungen Benedikts« hinzuweisen.