Vor dem Fest - Roman

von: Sa?a Stani?i?

Luchterhand Literaturverlag, 2014

ISBN: 9783641133269 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 10,99 EUR

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Vor dem Fest - Roman


 

HERR GÖLOW SPENDIERT SECHS SCHWEINE FÜR DAS FEST. Von den sechs überlebt eins. Die Kita besichtigt morgen früh die Anlage, anschließend begnadigen die Kinder ein Schwein.

Wobei, was heißt begnadigen?

Die Spieße für die verbleibenden fünf werden hinter dem Scheiterhaufen aufgestellt. Die Kinder dürfen kurbeln, so was bringt ja auch Freude.

Gut Gölow. Zuchtbetrieb. Produktpalette: Honig und Schweinefleisch.

Wenn im Sommer geschlachtet wird, in der Hitze, die alle Geräusche lauter macht, hörst du das Geschrei der Schweine kilometerweit. Vielen Badegästen ist das unangenehm. Einige wenige kennen das Geräusch nicht. Sie fragen nach, und dann ist es auch ihnen unangenehm, das Geräusch, aber auch, dass sie gefragt haben. Für uns sind die sterbenden Schweine kein Problem, die sterbenden Schweine sind das bisschen Industrie.

Olaf Gölow läuft über den Hof. Barbara und die Jungs schlafen. Auch Gölow hatte sich hingelegt, aber seine Gedanken zogen weiter ihre Kreise: um Barbaras anstehende Operation, um das Fest, um Fährmanns Tod, um die Holländer, die sich wieder erkundigt haben, wie es so stehe mit der Anlage.

Gölow ist aufgestanden, vorsichtig, um Barbara nicht zu wecken. Jetzt ist er beim Stall, bei der klimatisierten Süße seiner Schweine, ihrem schläfrigen Grunzen. Er steckt sich eine an, atmet den Rauch weg von den Schweinen, dreht am Lüftungsregler.

Gölow ist so ein Mann, du würdest sagen, eine ehrliche Haut. Es sind so Augenblicke, zum Beispiel lag da mal an einem verregneten Tag was im Matsch vor dem Stall. Es sind so körperliche Eigenarten des Bückens, vielleicht lösen die einen Reflex aus, sein könnte es schon, einen alten Reflex, dass du denkst, da dient einer, so wie er sich bückt. Es sind so Augenblicke, da liegt also was im Matsch, ein Gegenstand, und Gölow bückt sich – breitschultrig, Latzhose, links ein goldener Ohrring – und hebt es auf. Und wie er sich damit Zeit nimmt trotz Regen, wie er es sich aus großer Nähe ansieht und dabei ein wenig schielt, das ist eine so selbstvergessene Geste: Was liegt hier bei meinen Schweinen, was ist denn das, ist das ein Goldklumpen, ist das ein Stift, ein Stift ist das, warum liegt der hier – so jemandem sehen wir gern zu, wir stellen uns vor, er ist gut zu seinen Kindern und gerecht, wenn er den schmutzigen Stift jetzt auch noch auf die Hand drückt, eine Schleife zieht, um zu gucken, ob er geht, und er geht, und Gölow steckt ihn ein, und später fragt er sie alle, Jürgen, Matze, den stummen Suzi, vermisst einer von euch eigentlich einen Stift?

Oder auch: Der Fährmann hat Gölow Geld geschuldet. Nicht viel. Nicht viel für Gölow. Vermutlich viel für den Fährmann. Und Gölow geht hin und kauft ihm einen Sarg. Er kauft ausdrücklich einen bequemen Sarg. Er recherchiert im Internet zwei Nächte lang, Barbara wird ungeduldig: Warum bequem, was macht das noch für einen Unterschied? Gölow sagt, der Fährmann hatte einen kaputten Rücken. Das seien so Bewegungen beim Rudern, beim Seilanziehen, ganz egal, ob du die jahrelang richtig oder falsch ausgeführt hast, am Ende brauchst du einen bequemen Sarg.

Den Fährmann hat Gölow seit eigentlich immer gekannt. Ein alter Mann, so lange Gölow zurückdenken kann. Er fuhr mit ihm zuletzt mehrmals raus, nahm die Jungs mit. Die sind endlich in dem Alter, dass du ihnen auch was Hartes erzählen darfst, ohne dass es gleich Geflenne gibt, und das konnte der Fährmann eins a – erschüttern. Kinder lieben Erschütterung.

Gölow drückt die Zigarette aus. Er raucht ungern und viel. Vorn in der Latzhose immer das Metallkästchen, der mobile Aschenbecher, Alaska-Logo auf dem Deckel. Er spaziert an den Pferchen entlang. Notiert, Gölow notiert. Mit dem einen Stift aus dem Matsch. Wir vertrauen darauf, dass er die besten sechs Schweine aussucht. Obama verschont immer einen Truthahn vor Thanksgiving.

Den mag Gölow nicht so, den Obama. Dampfplauderer. Von denen allen mochte er nur Clinton irgendwie. Dem haben sie mal einen Brief geschickt. Die Jugos, Barbara und er. ’95 war das. Ein Bosnier und ein Serbe waren bei ihm angestellt, er hatte keine Ahnung, was der Unterschied genau war. Und dann hat er erfahren, dass die es auch nicht wirklich wussten. Den Krieg haben sie beide verdammt. Ein Mal nur ging es um die Schuldfrage, weil es ein Mal halt immer bei allen Dingen um die Schuldfrage geht, aber das haben sie friedlich gelöst und danach beschlossen, nur noch deutsche Nachrichten zu gucken, weil da seien alle gleich schuld, nur die Deutschen nicht – die dürften sich für die nächsten tausend Jahre keine Schuld mehr leisten, und damit konnten beide leben.

Zu Hause waren die beiden Schweinebauer gewesen und wussten eine Menge über Schweinehaltung. Jedenfalls hatten sie das beim Vorstellungsgespräch behauptet. Bald genug hat Gölow festgestellt, dass die keine Ahnung hatten, aber die Bezahlung war ihnen recht, und Gölow konnte damals nur soundsoviel zahlen. Schwarz. Klar, schwarz, sonst wäre es gar nicht gegangen, auch wegen dem Visum. Duldung hieß das, die wurden hier geduldet.

Seit Jahren hat Gölow an die beiden nicht gedacht, so eine Nacht ist das. Jedenfalls, der Brief an Clinton. Gerade waren die ganzen Grausamkeiten rausgekommen, die Massengräber, die Lager. Und der Serbe hat dann gesagt, die müssen uns, die Serben, bomben. Wenn die immer nur drohen, hört das nie auf. Nur nicht die Zivilisten. Zerbombte Zivilisten mag niemand. Der Bosnier hatte an der Idee nichts auszusetzen. Ja, und da hat Gölow vorgeschlagen, schreiben wir doch einen Brief an den Präsidenten. Fanden beide sofort gut, obwohl es ein Witz war. Der Serbe hat diktiert, der Bosnier konnte besser Deutsch und hat übersetzt, Gölow hat dann versucht zu erraten, was gemeint war, und Barbara hat das auf Englisch aufgeschrieben. Ging bis spät in die Nacht, am Ende wurde umarmt und geweint und der Brief eingeworfen, adressiert an das Weiße Haus. Als Absender hat der Serbe seine Adresse vor der Flucht aufgeschrieben, um der Bitte Nachdruck zu verleihen. Am nächsten Tag meinte er, dass das wohl ein Fehler war, weil wenn die sehen, dass da ein Serbe schreibt, sprengen sie das Teil sofort.

Gölow glaubt nicht, dass der Brief gelesen wurde. Aber gebombt wurde bald, und dann war auch Ruhe.

Uns war das nicht ganz recht gewesen mit den Jugoslawen. So kurz nach der Wende. Arbeitsmangel und Wut, und der stellt die ein. Soll jetzt nicht so klingen, wie es klingt. Das Dorf hat sich gewundert. Sein eigener Vater, der alte Gölow, früher selber Schweinezüchter, privat und kollektiv, hat sich gewundert. Alle hatten Gölow für jemanden gehalten, der lokal dachte. Vielleicht hat er zu lokal gedacht. An sich. Jetzt ist er allerdings da, wo er ist. Beschäftigt dreizehn Mann. Jetzt geht es Gölow mehrheitlich gut.

Gölow im Büro. Die Luft immer wie alte Socken. Er legt den Zettel mit den sechs Nummern dem stummen Suzi ins Fach. Soll der Junge die morgen raustun, wenn die Kids kommen.

An der Tür ein Poster von Alaska. Alles blau, blaue Berge, Himmel, Wasser, Eisbären. Gölow würde gern nach Alaska. Geld wäre nicht mal das Problem, aber finde mal Zeit. Auch wäre Barbara vielleicht – vielleicht wäre solch eine Reise für Barbara jetzt nicht gut.

Eine Anlage in Alaska, das wäre doch was. Mit den heutigen Klimasystemen ginge sogar der Mond. Kajakfahren, Lachs angeln, und die schneebedeckten Berge spiegeln sich in allem, was spiegeln kann. Blau. Die blaue Abgeschiedenheit und Ruhe. Sehr schön alles. Schlittenhunde. Aber das ist es nicht, was Gölow anzieht. Kajakfahren geht bei uns auch. Gibt andere Spiegelungen. Schilf, gibt Schilfspiegelungen, und eine braune Abgeschiedenheit und Ruhe.

Es ist das Gold. Die Goldgräberzeit. Die neuen Funde. Kürzlich erst in einem alten Goldgräberdorf namens Chicken. Was die Amis als alt bezeichnen, ist ja für unsereinen ein Witz. Chicken ist ausgestorben wie die Hoffnungen auf Wohlstand. Sieben Leute leben da, knappes Geisterdorf. Und dann findet ein Japaner zwanzig Unzen in der Gegend.

Gölow als Goldgräber mit Hut am Klondike River. Er hat als Kind Jack London gelesen. Klar ist alles immer Kindheit. Der hatte nie etwas gefunden. Die Mieten und Lebenskosten sind viel höher als bei uns. Die Holländer haben Gölow eine halbe Million geboten. Zum Lesen kommt er schon lange nicht mehr.

Wir beklagen die toten Tiere nicht.

Wir klagen nicht über verpasste Chancen. Geisterchancen.

Die Ärzte sagen, Barbaras Chancen stehen 50 : 50.

Gölow macht das mit der Begnadigung vor dem Fest, seit er die Anlage übernommen hat, seit ’92. Das ausgewählte Schwein wird auch später nicht geschlachtet, es stirbt eines natürlichen Todes. Wobei, was heißt schon natürlich für ein Schwein, das zum Schlachten gezüchtet wurde? Eher stirbt es also eines unnatürlichen und unwahrscheinlichen Todes. Auch klingt Begnadigung, als wären Schweine Verbrecher. Das Gegenteil ist der Fall. Ein Tier, das weiß Olaf Gölow, ist immer unschuldig; die Gesetze der Natur kennen Strafe nicht. Amnestie vielleicht.

Barbara hat mit der Perücke etwas von dieser Gouverneurin von Alaska. Auch haben beide fettige Haut. Gölow mag das – Barbaras Haut glänzt. Er begreift nicht, mischt sich aber nicht ein, warum sie es bekämpft. Überhaupt, warum glänzendes Haar als schön durchgeht, nicht aber glänzende Haut.

Die Schweine schnarchen. Gölow hätte die Auktion morgen selbst gern geleitet. Wollten die aber nichts davon wissen im Kreativkomitee. Geklüngel alles. Seit Jahren ist sie in Zieschkes Hand. Der...