Jugendwerkhöfe in der DDR. Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau

von: Daniel Krausz

Diplomica Verlag GmbH, 2010

ISBN: 9783836636179 , 118 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Jugendwerkhöfe in der DDR. Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau


 

Textprobe: Kapitel 5.4, Die Einweisungsgründe krimineller Jugendlicher und die Einweisungspraxis der Jugendwerkhöfe: Zu den Einweisungsgründen in einen Jugendwerkhof der DDR heißt es in einem Bericht aus dem Jahre 1973: 'Der Anlaß für die Einweisung in einen Jugendwerkhof ist in jedem Fall die Verletzung der öffentlichen Ordnung durch die Jugendlichen. Sie zeigt sich in: Arbeits- und Berufsschulbummelei; Herumtreiberei - Landstreicherei; undiszipliniertes und rowdyhaftes Verhalten; sexuelle Auffälligkeiten; schwere und leichte kriminelle Delikte: Diebstähle, unbefugte Kfz-Benutzung, Körperverletzung, Bandenbildung, Passvergehen, Sittlichkeitsdelikte, Unterschlagungen, Urkundenfälschungen, Staatsverleumdung.' Ergänzt werden die Einweisungsgründe noch durch 'Alkoholmißbrauch' und 'übermäßigen Nikotingenuß' (oft vom 12. Lebensjahr an). Weiter heißt es, dass die Einweisungsgründe 'Ausdruck einer langjährigen Fehlentwicklung der Jugendlichen' seien, welche hauptsächlich durch die Situation in der Familie verursacht würden, die durch 'Instabilität, gleichgültiges oder ablehnendes Verhalten gegenüber den Kindern' sowie 'Asozialität' gekennzeichnet sei. Eingewiesen würden aber auch Jugendliche, 'an deren äußeren Bedingungen keine dieser Anzeichen erkennbar sind'. Diese Jugendlichen kämen vielmehr aus Familien, die 'oft auf falsche Erziehungsmethoden - Verwöhnung oder Mangel an liebevoller Zuwendung' setzten. Für die 'Fehlentwicklung' Jugendlicher, die in ein Jugendwerkhof der DDR eingewiesen wurden, seien 'in den meisten Fällen' aber auch die anderen Erziehungsträger, wie Schule, Betrieb, Organisation und Heime verantwortlich, 'da sie ihre Aufgaben nicht allseitig wahrgenommen und voll erfüllt' hätten. An einer anderen Stelle heißt es ergänzend, dass eine Einweisung in einen Jugendwerkhof der DDR notwendig wird, 'wenn ausgeprägte Fehlverhaltensweisen Jugendlicher trotz intensiver erzieherischer Einflußnahme der Schule, des Betriebes und gesellschaftlicher Kräfte sowie trotz Unterstützung der Erziehungsarbeit der Eltern nicht wirkungsvoll korrigiert werden konnten und eine positive Persönlichkeitsentwicklung dieser Jugendlichen unter den bisherigen Erziehungs- und Lebensbedingungen nicht gewährleistet ist'. Bei einem Teil dieser Jugendlichen sei 'die soziale Verwahrlosung als Ergebnis einer langjährigen Fehlentwicklung' besonders stark ausgeprägt und äußere sich z.B. in der Zugehörigkeit 'negativer Gruppierungen' und 'übermäßigem Alkoholgenuß'. Außerdem sei ein Teil dieser Jugendlichen bereits wegen kleinerer 'Gesetzesübertretungen' sowie 'kriminellen Handlungen' vorbestraft. Diese Behauptung wird in Interviews von ehemaligen Insassen und Erziehern von Jugendwerkhöfen bestätigt. So erinnert sich ein ehemaliger Erzieher aus dem Jugendwerkhof Drehna, in der Nähe von Cottbus, an Folgendes: 'Die Hauptgründe, möchte ich vielleicht festhalten, eben Schulbummelei, Arbeitsbummelei (...) Diebstahlshandlungen vom einfachen Ladenhausdiebstahl bis zum Entwenden von Kfz (...).' Neben Diebstahl bei den Jungen war laut einem Erzieher bei den Mädchen vor allem Prostitution ein Haupteinweisungsgrund. '(...) 70 % war Verwahrlosung, Rumtreiberei, auf den Strich gehen und so was, schon zur damaligen Zeit. 70 Prozent unserer Mädchen kamen aus Leipzig und Berlin (...) Leipzig, Berlin und Rostock galten ja immer als die drei Zentren der Prostitution.' Ein ehemaliger Insasse erinnert sich an seine Einweisungsgründe: '(...) na ja, Scheiße jebaut, geklaut. Mopeds, da ham' wa unten im Keller eingebrochen, Konserven geklaut und verkooft (...)' Bei einem anderen Jugendlichen heißt es dazu: ' (...) bin abjehaun von zu Hause, hab Mumpitz jeklaut, na ja, und 4 Einbrüche jemacht (...)'. Laut Verena Zimmermann betraf die Einweisung in einen Jugendwerkhof der DDR vor allem Jugendliche, 'die durch sozial abweichendes Verhalten auffielen oder straffällig geworden waren und deren Familien oft zu den am wenigsten integrierten Gesellschaftsmitgliedern gehörten'. Diese Jugendlichen traf 'die ganze Härte des Systems der erzieherischen Bemühungen und zwangsweisen Eingriffe'. Mit dem Ziel der Umerziehung sollten schließlich bestimmte Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale der Jugendlichen 'im gesellschaftlich erwünschten Sinne' 'umdisponiert' werden. Die Einweisung Jugendlicher in ein Jugendwerkhof der DDR erfolgte unterdessen auf Grund einer Entscheidung der Jugendhilfe oder eines Gerichtsurteils über ein zentrales Aufnahmeheim in Eilenburg bei Leipzig (später auch Berlin) und ab dem 1.9.1964 zusätzlich über die Zentralstelle für Spezialheime der Jugendhilfe, die als zentrales Organ des Ministeriums für Volksbildung alle Aufnahmen und Einweisungen organisierte und kontrollierte. In einem Bericht heißt es dazu: 'Die Einweisung in die Jugendwerkhöfe erfolgt durch Beschluß der Jugendhilfeausschüsse der Räte der Kreise (Städte, Stadtbezirke) auf der Grundlage des Familiengesetzbuches § 50 und der Jugendhilfeverordnung § 23'. Wie schon unter Punkt 4. erwähnt, waren die Organe der Jugendhilfe befugt, Jugendliche auch ohne die Zustimmung der Eltern in einen Jugendwerkhof der DDR einzuweisen. In der Jugendhilfeverordnung heißt es hierzu: 'Die Heimerziehung für Kinder und Jugendliche kann angeordnet werden: zur Unterstützung von Eltern, die Schwierigkeiten bei der Erziehung ihrer Kinder haben, zu deren Überwindung andere Maßnahmen wirkungslos geblieben sind - zur Sicherung der Persönlichkeitsentwicklung Minderjähriger, wenn deren Erziehung und Entwicklung oder Gesundheit unter Verantwortung der Eltern gefährdet sind und die Einflußnahme unter den Bedingungen des weiteren Verbleibens in der eigenen Familie keinen ausreichenden Erfolg gewährleistet'. Meist erfolgte die Einweisung eines Jugendlichen in einen Jugendwerkhof auch auf Bitten der Eltern oder Lehrer, die mit dem Jugendlichen nicht mehr zurechtkamen. Dazu ein ehemaliger Erzieher: 'Eltern oder andere Anverwandte oder Lehrer wendeten sich ans Referat Jugendhilfe und sagten: Dieser Junge wird immer komplizierter. Die Jugendhilfe setzt die Jugendberatungskommission ein, das sind ehrenamtliche Kräfte im Wohnbezirk, die solchen Eltern helfen sollten bei der Erziehung ihrer Kinder, die kapitulieren und raten dem Referat Jugendhilfe Heimunterbringung. (...) In Leipzig in der Einweisungsstelle wurde dann entschieden, in welchen Jugendwerkhof er kam (...)'. Laut Sandra Kaczymarek führte jedoch nicht die so genannte Schwererziehbarkeit von Jugendlichen zur Einweisung in ein Jugendwerkhof, sondern die 'subjektive Sichtweise der Jugendhilfeorgane sowie der Mangel an alternativen Lösungsstrategien'. Vor allem Unangepasstheit und das Abweichen von gesellschaftlichen Normen, die sich strikt an den 'Errungenschaften des Sozialismus' richteten, konnten laut Verena Zimmermann zur Einweisung der Betroffenen in ein Spezialheim, also in einen Jugendwerkhof der Jugendhilfe, führen. Besonders gefährdet waren hierbei die so genannten Randgruppen, wie zum Beispiel Obdachlose, Punks oder Prostituierte, die allesamt nicht in das Bild einer homogenen sozialistischen Gesellschaft passten. Für diese und andere Gruppen war der Jugendwerkhof daher ein adäquater Ort zur Disziplinierung und Umerziehung.