Bedenke, was du tust - Roman

von: Elizabeth George

Goldmann, 2015

ISBN: 9783641165895 , 704 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Bedenke, was du tust - Roman


 

14. Dezember

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SPITALFIELDS

LONDON

Will hatte nicht damit gerechnet, dass Lily als Erste aus der Wohnung ausziehen würde. Er hatte sich mehr oder weniger darauf verlassen, dass sie noch bleiben würde – eine Konstante in seinem Leben –, bis er seine Sachen gepackt hatte und den Umzug in die Wege leitete. Aber zwei Tage später war sie gegangen, und so blieben ihm vier Tage, in denen er allein zurechtkommen musste, vier Tage, bis seine Mutter und sein Stiefvater mit dem Bäckereilieferwagen kamen, um alles nach Dorset zu transportieren, was nicht in seinen Fiesta passte.

Vier Tage allein, das bedeutete, dass er dazu verdammt war, vier Tage lang mit seinem Kopf allein zu sein. In seinem Kopf waren Stimmen zu hören. Sie sagten ihm Dinge, die er bereits wusste: Er konnte die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit Lily aufgeben; er hatte einmal mehr bewiesen, was für ein Versager er war; er war seit dem Tag, an dem er das Licht der Welt erblickt hatte, ein verdammter Spinner, du brauchst nur in den Spiegel zu sehen, Will, dann weißt du Bescheid. Und genau das tat er. Er ging ins Bad und schaute in den Spiegel und sah alles, was er an sich verabscheute. Seine lächerliche Größe. Was bist du, ein Zwerg? Das deformierte rechte Ohr. Dein Vater ist Schönheitschirurg und war nicht bereit, dich zu operieren? Dichte Brauen, die sich über seinen Augen wölbten. Ist unter deinen Vorfahren ein Gorilla, du Affengesicht? Ein Schmollmund wie bei einer Puppe.

Du bist so hässlich wie die Nacht, mein Junge. Sie konnte dich nicht ansehen. Wer kann das schon? Du hast sie von der Leine gelassen, und sie ist natürlich abgehauen. Kann man es ihr verdenken? Wie lange wird sie wohl brauchen, bis sie für einen anderen die Beine breitmacht? Für einen, der weiß, was er tut. Keine Ausreden, keine Pillen, kein Gerammel, kein tut mir leid, aber du machst mich ganz heiß. Jetzt hat sie einen, der es ihr richtig gut besorgt, was du – seien wir ehrlich – nie gebracht hast.

Er rief seine Großmutter an. Um sich von dem abzulenken, was sich in seinem Kopf abspielte. Aber als er ihr erzählte, dass er nach Dorset zurückgehen würde, sagte sie mit ihrer rauen kolumbianischen Raucherstimme: »Sei nicht verrückt, Guillermo. Verrückte Idee. Du machst einen Fehler. Rede mit Carlos, ? Er wird dir dasselbe sagen.«

Aber es hatte keinen Zweck, mit Charlie zu reden. Wills Bruder führte ein Traumleben, in jeder Hinsicht das krasse Gegenteil zu Wills Mickerexistenz.

»Dorset?«, würde er sagen. »Scheiße, Will, was willst du in Dorset? Wie kannst du ausgerechnet sie als Lösung betrachten, wo sie seit fünfundzwanzig Jahren dein Problem ist?«

Charlie würde nicht glauben, was seine Großmutter und Lily auch nicht glaubten, nämlich, dass es nur eine Übergangslösung war. Denn Caroline Goldacre wollte ihren Sohn ebenso wenig für immer und ewig bei sich aufnehmen, wie er für immer und ewig bei ihr wohnen wollte. Sie selbst hatte gesagt: »Du kannst nur für kurze Zeit hier unterkommen, Will, das verstehst du doch?«, und sie hatte sich auf nichts eingelassen, ehe er ihr nicht ebendies versprochen hatte: ein paar Wochen, um sich einzuleben und einen neuen Kundenkreis aufzubauen. Sherborne, dachte er. Er würde sich in Sherborne umsehen müssen.

Sie hatte ihm erklärt, er müsse in London warten, bis sie und sein Stiefvater sich loseisen konnten. Da die Bäckerei sonntags geschlossen war, würden sie am Sonntag nach London rauffahren. Das sei doch kein Problem, oder? Überhaupt nicht, hatte er geantwortet. Aber dann war Lily fortgegangen.

Kurz darauf hatten die Stimmen in seinem Kopf sich gemeldet und wollten nicht mehr verstummen. Nach vierundzwanzig Stunden rief er seine Mutter an und fragte, ob er nicht schon vor Sonntag nach Dorset kommen könne. Er würde einen Teil seiner Sachen in seinem Fiesta transportieren, und am Sonntag könnten sie dann alle zusammen noch einmal nach London fahren, um den Rest abzuholen.

»Was soll der Unsinn?«, erwiderte seine Mutter liebevoll. »Bis Sonntag wirst du es doch wohl aushalten können, oder?« Dann fragte sie vorsichtig: »Will, du nimmst doch regelmäßig deine Medikamente, nicht wahr?«

Er bejahte ihre Frage. Er erzählte ihr nicht, dass Lily gegangen war. Er wollte nicht, dass sie das eine mit dem anderen in Verbindung brachte: Lily und seine Medikamente. Es hatte keinen Zweck.

Die vier Tage zogen sich hin wie eine Ewigkeit. Nichts konnte ihn davon ablenken, darüber nachzugrübeln, wer er war. Nach zwei Tagen begann er, in der Wohnung auf und ab zu gehen und sich gegen die Stirn zu schlagen. Am Sonntag stellte er sich ans Fenster und verbrachte die zähen Stunden des Wartens wie ein ausgesetzter Hund.

Und so sah er, wie der Lieferwagen in die Straße einbog. Er sah, wie seine Mutter ausstieg und wie immer seinen Stiefvater in die Parklücke einwies. Sie wedelte mit den Armen und trat ans Fahrerfenster, um ihm etwas zu sagen. Dann fuchtelte sie wieder mit den Armen, bis der arme Alastair es geschafft hatte, den Wagen zu parken, ohne ein anderes Fahrzeug zu rammen.

Will spürte, wie das Böse in ihm aufstieg, während er das alles beobachtete. Er versuchte, es zu unterdrücken. Aber er begann unwillkürlich zu blinzeln, und aus den Tiefen seines Inneren, über das er keine Kontrolle hatte, sprudelten die Worte hervor. »Hier kommt die schwanzlutschende Sturmtruppe.« Er schlug sich eine Hand vor den Mund, und seine Lider flatterten. »Ficker Ficker Ficker Drecksau Regen Eis.« Er wich vom Fenster zurück und versuchte, die Stimmen zu ersticken. Aber sie drangen heraus wie der faulige Gestank aus einem defekten Abwasserrohr. »Hure Schlampe Hurensohn Loddel.«

Es klingelte. Er stolperte zur Tür und drückte auf den Knopf, der den Aufzug freigab. Er schlug sich heftig, spürte jedoch keinen Schmerz. »Ficken poppen blasen wichsen alles Schweine.«

Er riss die Wohnungstür auf und zog sich dann ans hintere Ende des Zimmers zurück. Er hob die Hand und biss sich fest ins Handgelenk.

Er hörte ihre Stimmen näher kommen, die seiner Mutter klang weich, Alastairs rau. Er hörte seine Mutter sagen: »Es wird schon alles gut gehen.« Und dann kamen sie in seine Wohnung.

Sie ergriff als Erste das Wort. »Du solltest lieber nicht den Aufzug freigeben, ohne dich vorher zu erkundigen, wer geklingelt hat, Will«, sagte sie. »Das könnte doch sonst wer sein, gerade hier in der Gegend …« Ihre Worte drangen in die Stille ein, während sie ihn anschaute.

Er blinzelte heftig. Er hielt sich den Bauch, um zurückzuhalten, was herausdrang wie eine nur für sie bestimmte Geißel. »Heiße Fotze kalte Fotze Hundefutter Dreck.«

Sie sagte nur: »Ach herrje.« Mit schnellen Schritten durchquerte sie das Zimmer. Sie nahm ihn in die Arme. Er klammerte sich an sie, aber die Worte sprudelten weiter aus ihm hervor, also löste er sich von ihr und drehte sich um. Er schlug mit dem Kopf gegen die Wand, aber es wollte nicht aufhören.

Er hörte seine Mutter sagen: »Das ist nur ein Anfall, mein Liebling. Es sind nur Wörter. Das ist nichts Schlimmes. Du solltest versuchen …«

Er lachte hysterisch. »Schlampe Schwanz Irrenhaus.«

»Keine schlechte Idee«, hörte er Alastair murmeln.

»Überlass das mir, Alastair«, sagte seine Mutter in scharfem Ton. »Vielleicht könntest du ja schon mal damit anfangen, seine Sachen einzusammeln und ins Auto runterzutragen.«

»Wo ist denn sein ganzer Krempel?«, fragte Alastair. »Hast du denn nicht gepackt, Will? Hast du vergessen, dass deine Mutter und ich heute kommen würden?«

»Offensichtlich war er nicht dazu in der Lage … Du musst wohl … Nein. Nein, wir packen jetzt nur die nötigsten Sachen zum Anziehen in einen Koffer, den Rest kann Lily später nachschicken. Ich werde ihr einen Zettel schreiben. Warum ist sie eigentlich nicht hier? Wo ist Lily, Will?«

»Lily Fotze Schwanz ficken der Troubadour singt.«

Die Wörter kamen jetzt lauter heraus. Er schlug mit der Faust gegen die Wand. Er spürte die Hand seiner Mutter an seinem Arm. Sie versuchte, ihn in die Mitte des Zimmers zu ziehen, aber er riss sich los und lief in die Küche, denn dort gab es Messer, damit konnte er sich die Zunge herausschneiden oder sich irgendeinen starken Schmerz zufügen, denn jetzt konnten nur noch intensive Schmerzen den Strom der Wörter stoppen.

»Lass das, William!«, rief seine Mutter. Er hörte, wie sie hinter ihm hergelaufen kam. Er spürte, wie ihre Arme sich um ihn legten. »Bitte.«

»Caro«, sagte Alastair aus dem Wohnzimmer. »Vielleicht will der Junge gar nicht mitkommen.«

»Er muss«, antwortete sie. »Sieh dir doch an, in welchem Zustand er ist. Will, hör mir zu. Soll ich einen Krankenwagen rufen? Möchtest du ins Krankenhaus? Oder woandershin? Ich glaube nicht, dass du das möchtest, also reiß dich bitte zusammen.«

»Ich könnte Lily auf ihrem Handy anrufen«, schlug Alastair vor, »und sie bitten herzukommen. Ist ihr Laden nicht ganz hier in der Nähe? Arbeitet sie heute?«

»Unsinn, heute ist Sonntag. Sieh dich doch mal um. Sie ist weg. Und Lily ist das Problem, nicht die Lösung. Du brauchst dir ihn doch nur anzuhören.«

»Aber die Wörter bedeuten doch nicht …«

»Sie bedeuten, was sie bedeuten.«

Will riss sich von seiner Mutter los und presste sich die Hände an den Schädel. »Gabeln Messer und Löffel und ihr zwei am Ficken wie die Ziegen damit ich ficken ficken ficken kann denn so hat sie’s gern wie Jesus und Maria es gemacht haben was soll er...