Die Psychologie des Schuleschwänzens - Rat für Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker

von: Margrit Stamm

Hogrefe AG, 2008

ISBN: 9783456946092 , 221 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 15,99 EUR

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Die Psychologie des Schuleschwänzens - Rat für Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker


 

6 Die Perspektive des Schuleschwänzers und die Rolle der Familie (S. 127-128)

Bisher sind die Schuleschwänzer aus der Außenperspektive dargestellt worden. In diesem Kapitel wird versucht, die Perspektive der Schuleschwänzer selbst und ihrer Familien zu beleuchten. Dies ist notwendig, weil in unserer Gesellschaft die Ansicht überwiegt, das Schuleschwänzen sei nichts als eine schlechte Eigenschaft von Schülern und ein Vorläufer von Delinquenz und Schulversagen. Diese einseitige Sichtweise hat unsere Gesellschaft daran gehindert, Schuleschwänzer in einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Vor allem in Deutschland und England haben verschiedene Behörden mit repressiven Maßnahmenpaketen reagiert: Weil das Schuleschwänzen als von den Schülern und ihren Familien verantwortetes, unangebrachtes Verhalten definiert und als einer der Hauptgründe für Kriminalität gilt, wird vielerorts die physische Präsenz des Schülers in der Schule als Hauptziel solcher Maßnahmen erachtet. Erreicht werden soll sie mit Rückführungen durch die Polizei, mit Bußgeldern oder mit Handymeldungen an die Eltern, sobald ihr Kind nicht in der Schule erscheint. Unglaubliches konnte man am 2 . Oktober 2003 in der «Bild-Zeitung» lesen, wo ein Brandenburgischer Innenminister sogar der Einsatz elektronischer Fußfesseln für Schuleschwänzer forderte. Seiner Ansicht nach könnten sie eine vorbeugende und abschreckende Möglichkeit sein, um die Gesellschaft vor extrem kriminellen Schuleschwänzern zu schützen!

Weshalb reaktive Maßnahmen wenig Erfolg haben

Allein, d. h. ohne flankierende pädagogische Interventionen, sind solche Maßnahmen unangemessen. Sie sind vergleichbar mit der Situation, in der ein Autofahrer die Warnlampe an seinem Armaturenbrett zerstört, die ihm aufzeigt, dass der Tank leer ist, anstatt dass er neues Benzin einfüllt. Indem er die Warnlampe zerstört, möchte er verhindern, dass der Tank leer wird. Damit verdeckt er jedoch lediglich das eigentliche Problem.

Denn dieses liegt an einem anderen Ort. Das eigentliche Problem der Schuleschwänzer wird erst ersichtlich, wenn man die Perspektive der Schuleschwänzer selbst betrachtet. Dies ist jedoch keine einfache Angelegenheit, müssen dann Lehrkräfte und Schulen zur Kenntnis nehmen, dass Schuleschwänzer ihr Fernbleiben aus der Eigenperspektive häufig mit einer Kritik an der Schule und an der Arbeit der Lehrerschaft legitimieren. Auch unser Fallbeispiel Sonja sieht dies so. Berücksichtigt man die Perspektive der Schuleschwänzer, dann sind Schule und Lehrkräfte ursächlich am Zustandekommen von Schulabsentismus beteiligt. Das Schuleschwänzen ist aus der Sicht der Schwänzer selbst ein gewichtiges Thema.

Sonja (1 Jahre)

Seit zwei Jahren besucht Sonja eine Sekundarschule, nachdem sie zuvor in der Realschule war. Dass sie diesen Sprung geschafft hat ist erstaunlich, weil Sonja, seit sie in die Schule geht, wenig Anforderungen an sich selbst stellt. Das spiegelt sich auch in den Noten wider. Aktuell sind sie besonders schlecht. Sonja hat immer wieder und bereits erstmals in der vierten Klasse die Schule geschwänzt. Anfänglich wussten es die Eltern nicht, dann tolerierten sie Sonjas Verhalten, nicht zuletzt deshalb, weil sie selbst Schwänzer gewesen waren und sie damit an ihre eigene, nicht sehr glückliche Schulzeit erinnert wurden.

Der Auslöser für das Schuleschwänzen waren immer Konflikte mit einzelnen Lehrern. Die Ursache war dabei meist die Weigerung Sonjas, bestimmte Hausaufgaben zu machen, die sie ihrer Ansicht nach schon lange beherrsche. Sonja ist heute überzeugt, dass die Lehrer es nicht gerne sahen, dass sie so leicht lernte und sie dafür bestrafen wollten. Sonjas Eltern sind beide berufstätig. Zwar sind sie motiviert, Sonjas Verhalten zu ändern, erleben sich jedoch als machtlos die Schule als wenig kooperativ und die Lehrkräfte als desinteressiert am Problem ihrer Tochter.