Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht - Ein pädagogisches Handbuch für die Praxis

von: Ernst Anselm

Schott Music, 2016

ISBN: 9783795786052 , 232 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht - Ein pädagogisches Handbuch für die Praxis


 

Einleitung

Vor mehr als zehn Jahren stellten Popharn und Baker – zwei Forscher in den USA – ein Experiment an, dessen Ergebnisse geradezu entlarvend sind. Die beiden Wissenschaftler wollten herausfinden, ob zwischen Lehrern und Nicht-Lehrern ein Unterschied in den Lehrfertigkeiten besteht. Der Unterricht von Lehrern, so könnte man mit Recht erwarten, sollte eigentlich aufgrund von Ausbildung und Berufserfahrung qualifiziertere Ergebnisse aufweisen als der von Nicht-Lehrern. Ausgestattet mit einer Liste von Lernzielen und methodischen Hinweisen sollte nun eine jeweils gleich große Anzahl von Lehrern und Nicht-Lehrern eine vierstündige Unterrichtseinheit über einen festgelegten und ausgearbeiteten Lehrstoff erteilen. Die Lehr-Erfolge wurden anschließend verglichen. Das Ergebnis veranlaßte Popharn und Baker, ironisch festzustellen, daß Hausfrauen in dieser Situation ebenso effektiv unterrichten wie ausgebildete Lehrer. Die beiden Forscher wiederholten den Versuch mit einer weit größeren Gruppe von Versuchspersonen und kamen zu den gleichen Einsichten1.

Zwangsläufig stellt sich die Frage, ob das Experiment auch eine Aussagekraft für die Berufstätigkeit von Instrumentallehrern hat. Wie sieht es mit der Professionalisierung ihres Lehrens aus? Ist ihr Unterrichten ähnlich laienhaft und unentwickelt wie das der oben apostrophierten Nicht-Lehrer?

Wenn man nachfragt, worin die pädagogische Professionalität im einzelnen besteht, und wenn man offen Rechenschaft über das erreichte Niveau ablegt, muß man die Frage mit Ja beantworten. Im Gesamtspektrum der beruflichen Qualifikationen des Instrumentallehrers kommen die pädagogischen Fähigkeiten immer noch zu kurz.

Da erscheint der Unterricht eher wie eine Blattspielübung: Ohne spezielle Vorbereitung begibt man sich ans Unterrichten. Man weiß noch nicht so recht, was einem begegnet. Spontan versucht man die Situation zu erfassen und zu bewältigen. Man lebt sozusagen von der Hand in den Mund, weil ein fundiertes pädagogisches Wissen und Können nicht zur Verfügung steht. Gerade unter solchen Bedingungen wächst dann die Neigung, sich pädagogischen Alltagstheorien anzuschließen. Oft tritt im Laufe der Berufstätigkeit eine dogmatische Verhärtung in zentralen und grundlegenden Fragen ein. Unterrichtsgewohnheiten bilden sich aus, die kaum befragt, geschweige denn einer Revision unterzogen werden. Man kann sich nicht darauf verlassen, daß mit wachsender Berufser fahrung das Verhalten von Lehrern automatisch vielseitiger und flexibler wird. Wie jeder aus seiner eigenen Schulzeit weiß, kann das Lehrerverhalten manchmal so schematisch werden, daß die Schüler die Lehrerreaktionen teilweise wörtlich vorhersagen und geradezu experimentell auslösen können. Die Berufssituation begünstigt eher Rigidität des Verhaltens als Variabilität und Flexibilität.2

Gleichwohl regt sich Widerspruch: Unbestritten dürfte sein, daß es eine große Zahl wirklich erfolgreicher Instrumentallehrer gibt, die beweisen, daß der pädagogische Professionalitätsanspruch erfüllt wird. Und schließlich: Muß man nicht letztlich als Pädagoge „geboren“ sein?

Unter Musikern ist diese Meinung erstaunlich oft zu hören. Erstaunlich deshalb, weil gerade Musiker keine Anstrengung scheuen, durch unablässiges Üben ihre sogenannte Begabung auszuschöpfen. Und das widerspricht nun einmal dem Festgelegtsein durch angeborene Fähigkeiten.

Was hat es also mit dem „geborenen“ Pädagogen auf sich? Mit etwas Ironie könnte man zunächst fragen: Ist nicht jeder ein „geborener“ Pädagoge? Lehren ist ein derart alltägliches Phänomen, daß jeder Mensch oft genug in diese Situation gerät. Es ist frappierend zu beobachten, wie schon ein vierjähriges Kind spontan und geradezu förmlich seinen noch jüngeren Bruder oder seine Schwester belehrt. Dennoch soll nicht geleugnet werden, daß manche Menschen vielleicht aufgrund angeborener, sicherlich aber auch aufgrund zufällig und nebenbei erworbener Dispositionen ein auffälliges Geschick im Unterrichten besitzen. Forscher haben sich denn auch die Frage gestellt, was einen außergewöhnlichen Lehrer auszeichnet. Die Entschlüsselung seines Erfolgsgeheimnisses erbrachte nicht einmal sonderlich überraschende Ergebnisse. Die Aussagen konzentrieren sich auf einige wenige Punkte:

Als erstes wären die menschlichen Qualitäten zu nennen, die einen Lehrer zur Gestaltung einer ausgesprochen achtungsvollen Beziehung zum Schüler befähigen. Auf dieser tragfähigen Unterrichtsbasis bemüht sich der „gute“ Lehrer, den Schüler für sich selbst zu mobilisieren, so daß er sich zunehmend für sein Lernen verantwortlich fühlt. Deshalb kommt es dem Lehrer vorrangig auf die Lernfreude, Anstrengungsbereitschaft und Konzentrationsfähigkeit des Schülers an. Definierbare Lernerfolge und vorweisbare Leistungen gelten demgegenüber wenig. Durch die eigene Begeisterungsfähigkeit für die Sache und durch ein reges Interesse an der Person des Schülers trägt der Lehrer indirekt, aber wirkungsvoll dazu bei, daß der Schüler die gewünschte Lernhaltung ausprägt. Was außerdem hervorsticht, sind die Fähigkeiten, sich wendig den wechselnden Unterrichtssituationen anzupassen (Flexibilität) und zugleich ein reichhaltiges Verhaltensrepertoire kreativ einzusetzen (Variabilität).

Insgesamt betrachtet ist dies eine recht grobe Beschreibung. Konkrete Hinweise kann man den komplexen Lehrqualitäten kaum entnehmen. Vorerst bleiben die Feststellungen der Forscher für den Praktiker unbefriedigend. Sie bilden jedoch den Grundriß für ein Verhaltenskonzept, das in seinen Einzelheiten konkret und praxisnah entfaltet werden kann. Mit den zentralen Begriffen Flexibilität und Variabilität besitzen wir zugleich eine Leitlinie für die pädagogische Professionalisierung. Beweglichkeit und Vielseitigkeit im pädagogischen Verhalten sind wahrscheinlich das „Geheimnis“ des erfolgreichen Lehrers3.

Bei Lehrberufen verschiedenster Art ist oft zu beobachten, daß ihre Professionalisierung mit dem Fachlichen beginnt, zum Fachdidaktischen fortschreitet und erst zuletzt – in meist geringerem Umfange – das Pädagogische mit einbezieht. Das heißt, daß man dem Fachlichen die Priorität einräumt, bald auch die speziellen Vermittlungsprobleme erkennt und anerkennt (Fachdidaktik), die Vielzahl der pädagogischen Fragestellungen des Unterrichts jedoch gerne vernachlässigt. Beim Instrumentallehrerberuf ist etwas Ähnliches zu beobachten.

Es ist nun an der Zeit zu klären, was mit dem Wortungetüm „Professionalisierung“ gemeint ist und worin die Professionalisierung des Instrumentallehrer-Berufs besteht, insbesondere auf pädagogischem Gebiet.

Beginnen wir mit der musikalischen Ausbildung: Noch bevor sich der Instrumentallehrer auf seine berufliche Laufbahn begibt, lernt er ein Instrument, und zwar systematisch und kontrolliert. Er eignet sich ein handwerkliches Können an, das während der Hochschulausbildung erweitert und vertieft wird. Schon von Beginn an wird dieses Können auf eine Wissensbasis gestellt, die aus Musiktheorie, Musikgeschichte und ähnlichem besteht. Im Verlaufe der gesamten Entwicklung tritt eine weitere Komponente hinzu; sie umfaßt die kritische Reflexion des Erlernten und die Selbstkontrolle. In Eigenständigkeit und Kreativität erreicht der fachliche Entwicklungsprozeß seinen Höhepunkt. Nun haben wir die wesentlichen Bestimmungsmomente für das, was mit Professionalisierung gemeint ist, beisammen:

–  systematische und förmliche Ausbildung

–  Aneignung von klar benennbaren Fertigkeiten

–  Erwerb einer breiten Wissensbasis

–  Fähigkeit zur kritischen Reflexion und Kontrolle des selbstverständlich gewordenen Könnens und Wissens

–  eigenständige kreative Weiterentwicklung.

Daß der Prozeß der fachlichen Qualifizierung als erster genannt wurde, liegt in mehrfacher Hinsicht nahe: Ein Instrumentallehrer versteht sich in der Regel zuerst als Musiker, als Fachmann für sein Instrument. Dieses Selbstverständnis entspricht der persönlichen Entwicklung, denn die Motivationen für den Beruf sind ursprünglich musikalischer Natur: das große Interesse am Instrument und die Leidenschaft zur Musik. Die pädagogische Berufsperspektive kommt oft erst im Laufe des Studiums hinzu.

Den zweiten Teil der Professionalisierung bildet die instrumentale Fachdidaktik. Sie ist ein exakt umschreibbares Gebiet, das alle Fragen der Lehr- und Lernbarkeit eines Instruments umfaßt. Diese Fragen entstehen zwangsläufig, denn der. angehende Instrumentallehrer ist ja zunächst nur Musiker. Er könnte den Schüler nicht unvermittelt mit seiner entwickelten fachlichen Kompetenz konfrontieren. Er...