Der Wettflug der Nationen (Science-Fiction-Klassiker)

von: Hans Dominik

e-artnow, 2016

ISBN: 9788026864646 , 305 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Der Wettflug der Nationen (Science-Fiction-Klassiker)


 

In den Eggerth-Werken


Nordwestlich von Bitterfeld liegen die Eggerth-Werke. Mehrere Montagehallen bilden einen langgestreckten Komplex, flankiert von einer Reihe mehrstöckiger Bauten, in denen sich die Werkstätten und Laboratorien befinden. Äußerlich nimmt sich das ganze ziemlich bescheiden aus. Irgendein kleineres Werk unter den vielen Werken dieser industriereichen Gegend, könnte wohl ein oberflächlicher Beobachter denken. Auffallend vielleicht nur, daß die hohe, aus gelben Bitterfelder Ziegelsteinen errichtete Fabrikmauer nicht nur die Baulichkeiten des Werkes, sondern auch noch eine ebene und völlig unbebaute Fläche von etwa anderthalb Kilometern im Quadrat umschließt. Aber dieses scheinbar nutzlose Gelände ist keineswegs unwichtig. Es ist der Flugplatz, über dem die von den Eggerth-Werken herausgebrachten Flugzeuge eingeflogen werden und von dem aus sie danach immer weiter ausgedehnte Probeflüge in die Umgebung unternehmen.

Als Professor Eggerth sich hier mehrere Jahre vor dem Weltkriege niederließ und zuerst ganz bescheiden mit einer kleinen Werkstatt anfing, wurde manch absprechendes Urteil über ihn gefällt. Der typische deutsche Gelehrte, sagte man, der allen Dingen mit professoraler Wissenschaftlichkeit auf den Grund gehen will, in einer Baracke, die er hochtrabend »Forschungsinstitut« nennt, zwecklose, kostspielige Versuche anstellt, und vor lauter Versuchen nicht zum Bauen kommt. Doch die folgenden Jahre hatten solche Kritiken bald verstummen lassen. Die Flugzeuge, die Professor Eggerth nach einer freilich nicht eben kurzen Vorbereitungszeit herausbrachte, erwiesen sich als unübertrefflich und eroberten den Eggerth-Werken schnell eine führende Stellung in der deutschen Flugzeug-Industrie.

Dabei scheute sich dieser wissenschaftliche Revolutionär nicht, alte, von der Technik als gut befundene Wege kurz entschlossen zu verlassen, sobald er bessere Möglichkeiten sah. So hatte er schon während des Weltkrieges gegen den Widerspruch der gesamten Fachwelt und der militärischen Stellen das erste Ganzmetall-Flugzeug herausgebracht. Wie hatte man damals über die »fliegende Konservenbüchse« gespottet. Und doch begann sich die neue Bauart schon während des Krieges allgemein durchzusetzen und um 1940 erinnerte man sich nur noch dunkel, daß man dreißig Jahre früher einmal Flugzeuge aus Holz, Leinewand und ähnlichen brennbaren und auch sonst bedenklichen Stoffen gefertigt hatte.

Es ging oft so mit den bahnbrechenden Erfindungen des Professors, daß man sie erst verlachte, dann allgemein annahm und den Erfinder darüber vergaß. Der alte Eggerth war es nachgerade gewohnt und ertrug es mit philosophischer Gelassenheit. Dabei arbeitete er heute noch ebenso unermüdlich wie vor einem Vierteljahrhundert und vertrat die Ansicht, daß das Flugzeug von einem Abschluß seiner Entwicklung noch weit entfernt sei.

Im Gegensatz zu manchen anderen Flugzeugfabriken befaßten sich die Eggerth-Werke auch mit dem Bau der Flugzeugmotoren, und ein gutes Stück der Lebensarbeit des Professors steckte darin. »Der Motor ist das Herz des großen Vogels«, pflegte er zu sagen. »Wie kann ich die Herzen meiner Flugzeuge, von denen alles abhängt, bei fremden Leuten kaufen?« Nach diesem Grundsatz arbeitete er und hatte schließlich schnellaufende Dieselmotoren geschaffen, die höchste Zuverlässigkeit und Lebensdauer mit geringstem Gewicht und einem phantastisch niedrigen Brennstoffverbrauch vereinigten. –

Bei solcher Lage der Dinge ist es selbstverständlich, daß das Vermächtnis Morgan Readings Professor Eggerth in höchstem Maße interessierte. Er war nicht nur entschlossen, sich am Wettflug der Nationen zu beteiligen, er hatte auch die feste Absicht, den großen Preis unter Einsatz des Besten, was seine Werke je hervorgebracht, für sein Land und für sich zu gewinnen. –

Es war ein trüber Dezembertag in der Woche zwischen den Festen. Der Himmel, diesig grau, ließ die Sonne nicht durchkommen. Die weite Ebene um Bitterfeld lag unter einer leichten Schneedecke. Professor Eggerth saß in seinem Arbeitszimmer, einen Folioblock mit vielen Notizen vor sich, einen Bleistift in der Hand. In den Sessel zurückgelehnt, hörte er, was der Lautsprecher auf dem Schreibtisch vor ihm in kürzeren und längeren Zwischenpausen zu sagen hatte und notierte sofort, was in Morsezeichen von der Membrane zu ihm klang.

So jetzt wieder: »Von Bord der ›Seeschwalbe‹. Flugzeit 19 Stunden 30 Minuten. Flugstrecke 5850 Kilometer. Noch Brennstoff für eine gute Stunde. Wollen das Dreieck noch dreimal abfliegen.«

Der Professor strich sich durch das volle weiße Haar. Ein Lächeln der Befriedigung glitt über sein Gesicht. Die »Seeschwalbe« erfüllte genau die Bedingungen, die er bei ihrer Berechnung und Konstruktion zugrunde gelegt hatte. Um vier Uhr nachmittags war sie gestern vom Flugplatz des Werkes aufgestiegen. Unablässig flog sie seitdem das 100 Kilometer lange Dreieck Bitterfeld, Halle, Köthen ab und vollendete ihre Runden mit mathematischer Regelmäßigkeit. Fast auf die Sekunde genau strich sie alle 20 Minuten in 1000 Meter Höhe über den Flugplatz des Werkes hin. Man hätte eine Uhr nach dem Kommen und Wiederverschwinden des Motorgeräusches stellen können.

Professor Eggerth schrieb ein paar Zeilen auf den Notizblock. 40 000 Kilometer der Flug für den Reading-Preis. 300 Stundenkilometer die Geschwindigkeit der »Seeschwalbe«. In 133 Stunden reiner Flugzeit würde sie es schaffen.

Er fuhr sich über die Stirn. Sollte er die »Seeschwalbe« in das Rennen schicken? Ihre Zuverlässigkeit war hundertprozentig, davon war er überzeugt. Sie würde nicht nur 133, sie würde auch 500, ja 1000 Stunden ebenso sicher durch den Äther ziehen wie jetzt. Doch, wenn nun ein anderer Bewerber eine Maschine in das Rennen brachte, die ebenso zuverlässig war und vielleicht zehn, oder zwanzig, oder fünfzig Kilometer mehr in der Stunde flog? Was dann? …

Ein Klopfen an der Tür riß den Professor aus seinen Gedanken.

»Herein! … Sie sind’s Vollmar. Was gibt’s denn?«

»Ich habe die Japaner durch das Werk geführt, Herr Professor. Augenblicklich sitzen die Herren im Kasino und tun dem dargebotenen Frühstück alle Ehre an.«

»So … so. Bitte, lieber Vollmar, nehmen Sie Platz.« Der Professor bot seinem Oberingenieur einen Stuhl an. »Wer von unseren Herren war an der Führung beteiligt?«

»Außer mir selbst Hansen und Berkoff, Herr Professor. Die frühstücken jetzt mit ihnen im Kasino. Ich hielt es im Interesse einer besseren Überwachung für angebracht, für jeden unserer Gäste einen Führer zu nehmen. Wir haben, wie verabredet, nach Schema C geführt. Der neue Windstromkanal und der Erweiterungsbau des Motorenwerkes sind nicht gezeigt worden.«

Professor Eggerth nickte zustimmend. »Ist auch besser so. Wir haben zwar sonst die besten Beziehungen zu ihnen. Aber die besonderen Verhältnisse – – Sie wissen, der Reading-Preis – – Vorsicht ist geboten. Der Wissensdurst der Herrschaften schien mir ungewöhnlich stark zu sein. Wie war es bei der Führung?«

Der Oberingenieur zuckte die Achseln. »Natürlich die alte Geschichte, Herr Professor. Jeder von den dreien hatte die bewußte Knopflochkamera unter der Weste. Was ihnen interessant erschien, haben sie mit ziemlicher Unverfrorenheit geknipst.«

Professor Eggerth lachte. »Nun, ich werde die Herrschaften selber über den langen Gang in unsere Forschungsanstalt führen.«

Oberingenieur Wollmar konnte nicht umhin, ebenfalls zu lachen. Der »lange Gang« war eine Spezialerfindung des Professors. Hinter den dünnen Holzplanken, die seine Seitenwände bildeten, standen gewaltige Röntgenröhren, die eine Strahlung von größter Stärke und Härte quer über den Gang aussandten. Wer da mit einer photographischen Kamera durchkam, dem wurden die Filme restlos geschwärzt. Schon mancher allzuneugierige Besucher der Eggerth-Werke hatte das zu seinem Schaden erfahren müssen.

Professor Eggerth fragte weiter. »Haben sich die Herren über den kaufmännischen Teil ihrer Mission geäußert?«

»Doch etwas. Sie haben die Absicht, mit schnellster Lieferfrist zwei Maschinen vom Typ der ›Seeschwalbe‹ zu erwerben. Außerdem fragten sie recht interessiert nach unseren letzten Fortschritten auf dem Gebiete des Höhenflugzeuges.«

Professor Eggerth pfiff durch die Zähne. »Was haben Sie ihnen gesagt?«

»Daß wir noch in den Entwicklungsarbeiten stecken und an eine Lieferung vor ein bis anderthalb Jahren nicht zu denken ist.«

Eggerth horchte auf ein Motorengeräusch in den Lüften. »Die ›Seeschwalbe‹ beginnt eben ihre letzte Runde. In zwanzig Minuten dürfte sie hier landen. Gehen Sie einstweilen auch zu unseren Gästen ins Kasino. Ich will unsere braven Piloten bei der Landung in Empfang nehmen. Dann werde ich auch hinüberkommen.«

Der Oberingenieur empfahl sich. Professor Eggerth war wieder allein und überlegte. Der Geschäftsgang des Werkes ließ im Augenblick zu wünschen übrig … zwei Maschinen vom Typ der »Seeschwalbe« … es würde sich lohnen, den Auftrag mitzunehmen. Vor dem März konnten die Maschinen kaum geliefert werden. Dann war’s noch ein halbes Jahr, bis zu dem Wettflug um den Reading-Preis. Natürlich würden die Käufer die beiden Flugzeuge in Japan sofort auseinandernehmen und für ihre eigenen Rennmaschinen davon zu kopieren versuchen, was ihnen brauchbar schien. In sechs Monaten ließ sich mancherlei nachbauen. Damit mußte man rechnen … versuchen einen Weg zu finden … der Professor grübelte lange Minuten, wie er den Auftrag ausführen könne, ohne seine eigenen Aussichten bei dem Wettflug zu verschlechtern....