No heartbeat before coffee

von: Maria M. Lacroix

Drachenmond Verlag, 2016

ISBN: 9783959912495 , 230 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 5,99 EUR

Mehr zum Inhalt

No heartbeat before coffee


 

Zwei


Ich saß in einem gemütlichen, ziemlich biederen Wohnzimmer auf einem mit dunkelgrünem, ausgefranstem Samt bezogenen Dreiersofa und wartete darauf, dass der Hexer und der Werwolf aus dem anderen Zimmer zurückkamen.

Die hölzernen Armlehnen waren nicht gepolstert, dafür befanden sich links und rechts längliche Kissen, auf die man die Arme abstützen konnte. Über der Rückenlehne lag eine weiße Spitzendecke ausgebreitet. Der Rest der Einrichtung bestand aus Holzmöbeln im Chippendale-Stil. Alt, filigran und mit vielen Verzierungen, wie Füße in der Form von Löwentatzen.

In einer Vitrine standen allerhand kitschige Figürchen. Staubfänger aus Kristall, Glas und Keramik. Ein großes Eckbücherregal voller alter Klassiker erstreckte sich über zwei Wände. Ich wusste das, weil ich mir die Buchrücken schon angesehen hatte. Neugierde – manche nannten es auch Herumschnüffeln – gehörte zu den Berufskrankheiten meines Jobs. Dort, wo die Wände nicht zugestellt waren, hingen zahlreiche Bilder. Stillleben in gedeckten, erdigen Tönen. Zur Einrichtung hätte gut ein muffeliger Geruch gepasst, eine Mischung aus Staub und Mottenkugeln etwa, stattdessen roch es hier sehr angenehm nach getrockneten Blumen und Patchouli-Räucherstäbchen.

Vor mir stand ein kleiner hölzerner Couchtisch, auf dem ebenfalls ein weißes Spitzendeckchen und akkurat angeordnete Zeitschriften ausgebreitet lagen, und gegenüber von mir befanden sich passend zum Sofa zwei Ohrensessel. Sogar eine antike Standuhr gab es.

Viel hatte ich von unserem Gastgeber bisher nicht mitbekommen. Ein Blick auf meine kugelsichere Weste, auf der fett das RIPA Emblem prangte, hatte genügt, um die Begrüßungs- und Vorstellungsphase deutlich abzukürzen. Im feinsten British English hatte er sich, kaum dass wir die Wohnung betreten hatten, entschuldigt und war mit dem Werwolf in ein anderes Zimmer gegangen. Dort diskutierten sie seitdem miteinander. Der Hexer hatte die Tür geschlossen, dennoch konnte ich durch die dünne Wand jedes Wort hören. Es ging hauptsächlich darum, was sich der Werwolf nur dabei gedacht hätte, mich hierherzuschleppen. Nachdem die magischen Überfälle durch den dunklen Clan losgegangen waren, hätten die Behörden den Hexer wegen seines Esoterik-Shops sowieso schon ins Visier genommen.

Ich hatte am Rande mitbekommen, dass derzeit verstärkt Kontrollen durchgeführt wurden, dabei handelte es sich aber eher um adminis­trative Formalitäten, um die Menschen zu beruhigen und den Politikern das Gefühl zu geben, dass etwas gemacht wurde. Da wir den Clan jetzt ausgeräuchert hatten, würden die Kontrollen sicher wieder abnehmen.

Wie es der Hexer geschafft hatte, durch das Netz der großen DNA-Razzia vor zehn Jahren zu fallen, war mir allerdings ein Rätsel. Auf der anderen Seite interessierte es mich nicht wirklich. Ich war mit vierzehn schon gegen eine Meldepflicht von Magiebegabten, aber leider zu jung zum Wählen gewesen. Hätte vermutlich sowieso nichts gebracht. Das Gesetz wurde mit einer fünfundachtzigprozentigen Mehrheit beschlossen. Nach Werwolfgate herrschte eine verängstigte Grundstimmung unter den Menschen.

Die Standuhr schlug halb fünf morgens. Sie klang wie der Big Ben in London. Ob da jemand Heimweh hatte?

Seufzend fuhr ich mir mit den Fingern durch die Locken. Nicht mehr lang bis Sonnenaufgang …

Kurz überlegte ich, ob ich jemanden anrufen sollte, als mir bewusst wurde, dass es niemanden zum Anrufen gab. Ich war Single – das brachte der Job mit sich, zumindest kannte ich keinen Kämpfer, der in einer längerfristigen Beziehung steckte –, zu meinen Eltern hatte ich keinen Kontakt und Freunde, außer den einen oder anderen Ko­llegen, hatte ich auch nicht. Bis auf die Wohnung und ein paar Fische gab es eigentlich überhaupt nichts, das ich zurücklassen würde. Doch auch das war das typische Los von uns Kämpfern. Wir lebten für den Moment. Gezwungenermaßen.

Eigentlich ein ziemlich deprimierender Gedanke.

»Ich denke nicht, dass sie dich melden wird, Marcus«, hörte ich den Werwolf durch die Tür hindurch sagen.

»Sie ist eine RIPA-Agentin«, erwiderte der Hexer. Er sagte RIPA-Agentin statt ›Ripper‹. Interessant. »Und anhand von dem, was du mir erzählt hast, hat sie gerade fast einen kompletten Clan ausgelöscht und jetzt erwartest du von mir, dass ich ihr helfe? Was geht es mich an, ob sie verflucht wurde? Berufsrisiko, würde ich sagen. Das hat sie sich selbst zuzuschreiben.«

»So verbittert kenne ich dich gar nicht.«

»Wie würdest du dich denn fühlen, wenn sie gerade ein komplettes Rudel ausgelöscht hätte?«

»Wenn es sich um ein Rudel von Rogues gehandelt hätte, würde ich mich freuen, denn das hieße weniger Arbeit für uns. Dir war dieser Clan doch selbst ein Dorn im Auge. Erst vor wenigen Wochen hast du mir erzählt, wie sehr du dir gewünscht hast, dass irgendjemand etwas gegen ihn unternimmt. Er würde ein schlechtes Licht auf euch alle werfen und vor allem würden die, die sich zu ihrer Magiebegabung öffentlich bekannt haben, sehr unter der aktuellen Lage leiden.«

»Ja, schon, aber …«

»Die Ripper haben ihr Leben eingesetzt, so muss man das auch mal sehen. Das Mädchen hat ihren Hals riskiert, in gewisser Weise auch für dich, Marcus!«

Der Hexer seufzte lautstark. »Ja, James, ich weiß.«

Der Werwolf hieß also James.

»Trotzdem«, beharrte der Hexer. »Ich weiß ja noch nicht einmal genau, um was für einen Fluch es sich handelt. Wie soll ich bitte innerhalb der kurzen Zeit ein Gegenmittel finden?«

»Versuch’s doch wenigstens.«

»James«, sagte der Hexer nachdrücklich. »Dieser Clan war über die Landesgrenzen hinaus berühmt-berüchtigt. Jeder, der sich ihm in den Weg gestellt hat, ist früher oder später auf mysteriöse Weise verschwunden. Diese Hexen waren mächtig. Bevor wir vom Gegenteil hören, lebt die Clan-Anführerin noch, und sie ist niemand, mit dem man sich anlegen will. Wenn du meine ehrliche Meinung hören willst: Ich halte es für recht aussichtslos.«

»Dir fällt doch sonst immer etwas ein.«

»Es tut mir leid, James.«

»Kannst du nicht oder willst du nicht?«

»Ich habe keine Lust, mich da in etwas hineinziehen zu lassen.«

»Schisser.«

Nun klang der Hexer zornig. »Davon abgesehen ist sie, wie bereits erwähnt, eine RIPA-Agentin.«

»Dann willst du sie also einfach sterben lassen? Schön, wir bleiben solange hier. Viel Spaß beim Entsorgen ihrer Leiche.«

Daraufhin blieb es ruhig.

»Das ist Erpressung«, grummelte der Hexer nach einer langen Pause. »Ich kann mir das Ganze mal ansehen. Aber ich verspreche nichts.«

Die Tür öffnete sich und beide kamen heraus. Ruckartig stand ich vom Sofa auf. Ich war hellwach, mein Körper fühlte sich an, als bestünden die Sehnen und Muskeln aus gespannten Drahtseilen. Ein bebender Atemzug entwich meinen Lungen, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Auch Stunden nach dem Einsatz schien mein Adrenalinpegel noch ziemlich hoch zu sein. Gott, wie ich diese Hilflosigkeit hasste. Keine Schwäche zeigen, nicht vor Fremden und schon gar nicht vor einem Hexer und einem Werwolf.

»James also«, sagte ich und hielt dem Werwolf die Hand entgegen.

Überrascht ergriff er sie und lächelte. »Ja, für Freunde Jamie. Nur der formelle Brite hier …«, mit dem Daumen zeigte er auf den Hexer, »… weigert sich seit Jahren vehement.« Der Werwolf – Jamie – wandte sich ihm zu. »Sie hat offenbar alles gehört, wie schön.«

Seine große Hand wärmte meine eiskalten Finger. Es fühlte sich sehr angenehm an.

»Das macht nichts«, erwiderte ich. »Immerhin weiß ich so, woran ich bin. Ich heiße Diana. Aber Freunde nennen mich Di.«

»Freut mich, Di«, sagte er, ließ meine Hand wieder los und nahm die Wärme mit.

Der Hexer stand mit vor der Brust verschränkten Armen neben uns und machte keinerlei Anzeichen, die Hände aus der Verschränkung zu lösen. »Marcus Bennet. Mich nennen alle Marcus Bennet.«

Sein britischer Akzent war noch zu hören, kam aber nicht mehr ganz so deutlich hervor. Er schien zu den Leuten zu gehören, bei denen der Heimatakzent stärker durchkam, wenn sie sich ärgerten, unter Stress standen oder nervös waren.

Dass Hexenmeister nicht wie Dumbledore oder Gandalf aussahen, mit langem weißen Bart und Spitzhut, wusste ich. Doch während ich mir die Details seiner Erscheinung einprägte – noch eine Berufskrankheit –, begann ich zu verstehen, wie er so lang durch das Raster hatte fallen können.

Er sah ganz und gar durchschnittlich aus. Niemand, an den man sich erinnern würde. Nullachtfünfzehn in seiner Reinform. Durchschnittliches Gesicht, durchschnittliche Figur – dünn, mit kleinem Wohlstandsbäuchlein –, durchschnittlicher Kleidungsstil. Nur seine Augen blitzten anders als die anderer Menschen. Als steckte hinter ihnen eine ganze Menge Wissen und, ja, Weisheit. Doch um das zu sehen, musste man sich die Zeit nehmen, ihn genauer zu mustern.

Die Standuhr schlug in der Big Ben-Melodie drei viertel fünf.

»Wir sollten keine Zeit verschwenden«, sagte er. »Was genau können Sie mir über diesen Fluch erzählen, Ms …?«

»Einfach Diana, mehr müssen Sie nicht wissen. Das letzte Mal, als eine Hexe meinen vollen Namen kannte, wurde ich mit einem Todesfluch belegt.«

Es war mir herausgerutscht und sein Blick verriet mir, dass ich mir den Kommentar besser hätte verkneifen sollen. Aber was sollte ich machen? Ich war von Natur aus sehr direkt. Unter Übermüdung, Angst, Stress und Schock schienen gewisse Charakterzüge intensiviert zu werden. Mein Hirn hatte den Betrieb wieder aufgenommen, allerdings funktionierten im Moment nur die...