Feel Again

von: Mona Kasten

LYX, 2017

ISBN: 9783736304727 , 467 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Feel Again


 

KAPITEL 1


Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?

Diese Frage stellte ich mir nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Eigentlich war es wie immer: Ich war umgeben von lauter Menschen und kam mir trotzdem vollkommen allein vor. Das Gefühl war für mich nicht neu. Genau genommen war es mein Dauerzustand. Aber hier, in diesem Club, in Gegenwart von lauter frisch verliebten Pärchen, die nicht mal eine Sekunde lang die Blicke voneinander losreißen konnten, erschien es mir einfach besonders unerträglich.

Oder anders gesagt: Ich musste mich beherrschen, nicht quer über den Tisch zu kotzen.

Dass ich mit zwei der Typen unserer überschaubaren Gruppe vor einiger Zeit selbst etwas gehabt hatte, machte die Sache nicht gerade besser. Zumal beide Geschichten ziemlich demütigend für mich geendet hatten. Ethan hatte mich damals, ohne mit der Wimper zu zucken, für »die Liebe seines Lebens« – Monica – abserviert, und auch Kaden hatte mich keines zweiten Blickes mehr gewürdigt von dem Moment an, in dem Allie auf seiner Türschwelle aufgetaucht war. Das war mittlerweile ein Jahr her.

Ob ich irgendetwas an mir hatte, dass Kerle in die Flucht schlug und dafür sorgte, dass sie sich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit in eine feste Beziehung stürzten?

Und wenn schon. Es war ja nicht so, als ob ich an etwas Ernsthaftem interessiert wäre.

Ich wandte den Blick von den turtelnden Pärchen um mich herum ab und ließ ihn stattdessen über die Tanzfläche schweifen. Dort entdeckte ich den rothaarigen Flummi, der der Grund für meine Anwesenheit in diesem Schuppen war. Ein Verlag hatte vor Kurzem eines von Dawns Büchern unter Vertrag genommen, weshalb sie uns zum Feiern hierher eingeladen hatte. Und da Dawn nicht nur meine Mitbewohnerin, sondern auch meine einzige wirkliche Freundin war, war ich mitgekommen. Denn auch wenn ich ihr das nur selten offen zeigte: Ihre Freundschaft war mir wichtig.

Ein feuchtes Geräusch ertönte zu meiner Rechten und ich bemühte mich darum, mein Gesicht nicht angeekelt zu verziehen. So gern ich Dawn auch hatte: Kaden und Allie beim Mandelhockey zuzusehen und -hören, war einfach zu viel des Guten. Ich brauchte dringend noch einen Drink, wenn ich den Abend überstehen wollte.

»Ich gehe zur Bar. Willst du auch noch was?«, fragte ich den Kerl, der neben mir saß. Ich hatte blöderweise seinen Namen vergessen, obwohl Dawn uns einander bestimmt schon hundertmal vorgestellt hatte. Es war irgendetwas mit I. Ian, Idris, Illias … Mit Namen hatte ich mich schon immer schwergetan. Deshalb dachte ich mir für die meisten Menschen Spitznamen aus, wenn ich sie zum ersten Mal traf. Seiner war »Nerd«.

Er wirkte völlig fehl am Platz hier. Zum einen trug er ein Jeanshemd mit Fliege. Im Ernst, er trug eine Fliege. Sie war weiß mit blauen Punkten, und ich starrte sie nicht zum ersten Mal an diesem Abend einen Moment zu lange an, bevor ich meinen Blick über den Rest von ihm schweifen ließ. Seine Locken, von denen ich nicht sagen konnte, ob sie hellbraun oder dunkelblond waren, hatte er mit Gel oder Haarspray fixiert, damit sie ihm nicht in die Stirn fielen. Abgerundet wurde der geschniegelte Look mit einem halbrunden Brillengestell aus braunem Kunststoff.

Er war viel zu overdressed für das Hillhouse, und ich konnte dem Drang, seine geordneten Federn einmal gehörig durcheinanderzubringen, nur gerade so widerstehen.

Der Nerd erwiderte meinen kritischen Blick. Auch seine Augen hatten eine undefinierbare Farbe. Irgendwo zwischen Braun und Grün, von dunklen Wimpern umrahmt.

»Also?«, hakte ich nach.

»Was?«, fragte er, und eine leichte Röte trat auf seine Wangen.

Niedlich.

»Ob du einen Drink möchtest«, wiederholte ich langsam.

Er schluckte schwer. Es wirkte beinahe, als hätte er Angst vor mir. Wenn ich ehrlich war, wunderte mich das nicht. Alles an mir war ein einziges Warnschild: von dem schwarzen Eyeliner, den ich zu großzügig um meine Augen auftrug, über das Oberteil, dessen Cutouts die Form eines riesigen Totenkopfs hatten, bis zu den Stiefeln, mit denen ich schwere Metalltüren hätte eintreten können. Ich konnte ihm nicht verdenken, dass er erst mal vorsichtig war und einen gesunden Abstand zu mir hielt.

Aber da er und ich die Einzigen waren, die nicht mit der Zunge im Mund von jemand anders hingen, blieb uns wohl nichts anderes übrig, als uns miteinander zu beschäftigen. Wenigstens für diesen einen Abend.

»Danke. Ich habe noch«, sagte er mit einiger Verspätung und hob ein Glas mit rotem Cocktailschirmchen hoch.

»Bist du sicher, dass das dein Glas ist?«

Sein Blick schoss zu dem Glas in seiner Hand, und er zuckte zusammen. Seine Wangen wurden noch dunkler und nahmen ziemlich genau die Farbe des Schirmchens an. »Shit.«

Ich stand auf und nickte zur Bar. »Kommst du mit? Oder willst du den anderen lieber weiter zuschauen? Ich meine, ich habe kein Problem mit Spannern. Nur mir gibt das irgendwie nicht so den Kick, den ich heute Abend brauche.«

»Wie witzig, Sawyer«, meldete sich Monica zu Wort, erstarrte allerdings sofort, als ich ihr einen Schweig-oder-Stirb-Blick zuwarf.

Wenn ich etwas auf Knopfdruck beherrschte, dann diesen Blick, in dessen Genuss vor allem Leute kamen, von denen ich wusste, dass sie gern und viel hinter meinem Rücken über mich redeten. Oder die mir einen der wenigen Typen ausgespannt hatten, die ich jemals auch nur annähernd interessant gefunden hatte.

Ich brauchte wirklich dringend einen Drink. Oder drei. Zum Glück erhob sich auch der Nerd. Ich griff nach seiner Hand, ohne Monica und die anderen eines weiteren Blickes zu würdigen. Seine Finger waren ganz kalt, aber ich würde nicht riskieren, dass er mir auf dem Weg über die Tanzfläche verloren ging, weil er zu höflich war, seine Ellenbogen einzusetzen.

Bei der Bar angekommen, lehnte ich mich über den Tresen und lächelte Chase zu. Er war Barkeeper im Hillhouse, und unsere letzte Begegnung hatte nackt in seiner Wohnung geendet.

»Lange nicht mehr gesehen, Babe«, sagte er zur Begrüßung und schenkte mir ein träges Halblächeln. »Was darf’s sein?«

Er stützte sich mit beiden Händen zu den Seiten meiner Arme ab und beugte sich zu mir nach vorne. Er war genau mein Typ: düstere Aura, Tattoos, zerzauste dunkle Haare und ein kantiges Gesicht, das von Bartstoppeln umrahmt war. Ich erinnerte mich genau daran, wie sie sich an den Innenseiten meiner Schenkel angefühlt hatten. Zu schade, dass er mittlerweile eine Freundin hatte.

»Ich hätte gerne einen Bourbon. Und für meinen Freund hier …« Ich sah den Nerd an.

»Ein Bier«, sagte dieser schnell, ohne mir oder Chase in die Augen zu sehen. Die roten Flecken hatten sich mittlerweile auf seinem Hals ausgebreitet und verschwanden unter dem engen Kragen seines Hemds.

»Ein Bier«, wiederholte ich.

Für einen kurzen Moment blickte Chase zwischen uns hin und her, eine Augenbraue nach oben gezogen. Es sah so aus, als wollte er etwas sagen, doch dann nickte er nur.

Mit einem »Geht aufs Haus« stellte er unsere Drinks wenig später vor uns auf den Tresen.

»Cool. Danke.«

Ich griff nach meinem Glas und warf dem Nerd einen zerknirschten Blick zu. »Ich bin echt schlecht, was Namen angeht«, fing ich an. »Wie heißt du noch mal?«

Zum ersten Mal an diesem Abend zeigte sich der Ansatz eines Lächelns auf seinem Gesicht. »Grant. Isaac Grant.«

Dieser Typ stellte sich allen Ernstes mit seinem Nachnamen vor. Als wäre er bei einem Bewerbungsgespräch. Oder James Bond.

»Dixon. Sawyer Dixon«, ahmte ich ihn nach und hob mein Glas. »Auf einen guten Abend, Grant, Isaac Grant.«

Kopfschüttelnd stieß er mit mir an.

»Also, Grant, Isaac Grant, was machst du hier?« Ich lehnte mich rücklings gegen die Bar, um die Tanzfläche überblicken zu können. Unsere Gruppe war von hier aus kaum zu erkennen, bloß ab und zu sah ich Dawns Haare in den bunten Lichtern aufleuchten.

»Dasselbe wie du, schätze ich.«

Ich nippte an meinem Bourbon. »Bist du gut mit Dawn befreundet?«

Er hob eine Schulter, als wüsste er nicht genau, was er darauf antworten sollte.

»Auf jeden Fall bist du kein großer Freund von Small Talk, oder?«, fragte ich.

Wieder der Ansatz eines Lächelns. Schade. Er hätte eigentlich ganz attraktiv sein können – wäre da nicht dieser Stock gewesen, der in seinem Hintern steckte.

»Und du bist sehr direkt«, erwiderte er so leise, dass seine Stimme beinahe von den wummernden Bässen verschluckt wurde.

»Ein Fluch oder Segen. Alles eine Frage der Perspektive, Grant, Isaac Grant.«

Er stöhnte auf. »Wirst du mich jetzt immer so nennen?«

Ich drehte mich zu ihm und lehnte mich seitlich gegen die Bar. »Was erwartest du denn, wenn du dich Leuten so vorstellst? Eigentlich bin ich sogar ein bisschen enttäuscht, dass du mir nicht auch gleich deinen zweiten Vornamen gesagt hast.«

In seine Augen trat ein amüsiertes Funkeln. Im Halbdunkel der Bar war es noch schwerer, ihre genaue Farbe auszumachen. Ich beugte mich ein Stück weiter vor und stellte fest, dass er genauso roch, wie er aussah: geschniegelt, sauber und akkurat. Mit Sicherheit benutzte er irgendein teures Aftershave.

Es überraschte mich, dass es mir gefiel.

»Verrätst du ihn mir?«, wisperte ich.

Seine Augen weiteten sich. Es machte Spaß, ihn aus dem Konzept zu bringen, stellte ich fest.

»Nur wenn du versprichst, nicht...