Blutebbe - Thriller

von: Derek Meister

Blanvalet, 2017

ISBN: 9783641209193 , 400 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Blutebbe - Thriller


 

2

»Komm schon, Veith. Hör auf zu kichern.« Knut Jansen zog seine E-Gitarre von der Rückbank. Die 59er Telecaster hatte er diesen April zu seinem Dreißigsten geschenkt bekommen. Ein wunderbares Instrument mit schmeichelnd geschwungenen Linien. »Das Outfit passt doch perfekt. Ich weiß gar nicht, was du hast.«

Der junge Polizeirevierleiter von Valandsiel hatte sich in Schale geworfen: blaue Westernstiefel mit Goldnaht, Wildlederweste und stonewashed Levi’s.

Knuts Freund verkniff sich ein weiteres Grinsen. »Na, wenn du meinst.«

»Bisschen Show muss sein.« Gut gelaunt tätschelte Knut seinen Labrador Butch, bevor er auch ihn aus dem Landrover hob. Der gute Kerl war in die Jahre gekommen.

»Da hast du wohl recht.« Veith fädelte aus dem Heck seines Volvos einen Kontrabass und streifte sich ein schnittiges Sakko über sein edles schwarzes Hemd.

Eine Brise wehte über den kargen Parkplatz des Dock-5. Die Bar lag abseits der Touristenströme an einem Seitenbecken des Hafens, der zur größten Werft Valandsiels gehörte. Keine sehr ansehnliche Ecke, auch wenn die Barbesitzerin mit Strandsand und Palmen tapfer gegen den Industrielook ankämpfte.

»Oh nein!« Veith tat, als falle er gleich in Ohnmacht. »Haben die etwa auch Fransen?«

»Was?« Knut, der ein weiteres Mal in den Rover gegriffen hatte, sah auf das Bündel in seiner Hand. »Sicher. Das sind Chaps. Chaps müssen Fransen haben. Keine Fransen, keine Chaps.« Er hielt sich die ledernen Beinkleider für Cowboys an.

»Na, immerhin sind sie braun und nicht elvisblau.« Amüsiert schüttelte Veith den Kopf und schloss den Wagen ab.

»Sieht doch cool aus. Ich mein, Pia will mehr Show, also kriegt sie mehr Show. Entweder richtig oder gar nich’.«

»Dann bin ich eindeutig für ›gar nich’‹.«

»Nur weil wir Ring of Fire im Repertoire haben, muss ich ja nicht wie Johnny Cash rumlaufen, oder?« Knut deutete mit einem Nicken auf Veiths Hemd und Sakko.

»Nur weil wir Tumbling Tumbleweeds im Repertoire haben, musst du ja nicht wie John Wayne rumlaufen, oder?«

»Touché.«

»Avec plaisir.«

»Avec was?« Knut winkte ab, zögerte dann aber doch. »Okay. Ist wahrscheinlich zu dicke.« Schweren Herzens packte er die Chaps zurück.

»Wyatt Earp sei Dank.«

»Aber der! Der gehört echt dazu!« Unvermittelt zog er aus dem Wagen einen weißen Prunkwesternhut und setzte ihn auf.

Veith lachte lauthals.

»Ich muss schon bitten, Herr Kollege. Der muss sein. Original Rodeoking mit 4-Zoll-Brim.«

Hilflos vor Lachen, winkte Veith ab. »Okay, okay … Sheriff.«

Mit einem schelmischen Grinsen warf sich Knut prompt in Elvis-Pose. »Rock ’n’ Roll, Baby!«

Pia goutierte seine Aufmachung mit einem Pfiff. Die Barbesitzerin stand am Hintereingang, ein Spültuch über der Schulter und eine Getränkekiste vor dem Bauch. »Du siehst echt … echt … äh … schillernd aus.«

»Hörst du’s, Veith? Im Gegensatz zu dir hat die Lady Geschmack.« Lässig schulterte Knut seine Gitarre und schlappte mit ausladenden Schritten, Butch an seiner Seite, zur Bar. Seine Cowboystiefel klackten auf den Pflastersteinen, während der leichte Seewind Sand über den Parkplatz wehte.

»Ich glaub, du hast deine Sporen vergessen«, rief Veith ihm feixend hinterher, bevor er seinen Bass nahm und Knut folgte.

Normalerweise spielte Knut im Dock-5 allein und gab ein paar Klassiker zum Besten: Stairway to Heaven, Babe I’m Gonna Leave You, My Secret Live, Suzanne, Leyla … Und das vor einer sehr überschaubaren Anzahl Zuhörer.

Heute füllten sich jedoch die Überseecontainer, in denen Pia ihre Bar eingerichtet hatte, zusehends. Die Stimmung war ausgelassen, die Theke umlagert und kein Platz mehr vor der winzigen Bühne frei.

Knut, der die Gästeflut beim Aufbau und dem Soundcheck registrierte, wurde ein wenig flau im Magen. Er sah an sich herunter, und mit einem Mal kam ihm sein Sheriff-Outfit unglaublich kindisch vor, und er wünschte sich inständig, sie hätten die letzten Tage mehr geprobt.

Pia und ihre Werbeaktionen, dachte er.

Vor einem Monat hatte er noch über das Motiv geschmunzelt: »Sheriff Knut Jansen & Begleitung«, prangte auf ihren Flyern – direkt über einem Cowboy, der in den Sonnenuntergang ritt. Sehr komisch.

Warum war er auch so doof und pflasterte in Pias Auftrag halb Valandsiel mit Plakaten? Als hätte er auf Streife nichts Besseres zu tun.

Die Wahrheit war, er hatte nichts Besseres zu tun.

Meistens jedenfalls. Wenn nicht gerade ein Bewohner des Altenheims vermisst wurde, die üblichen Teenager mit frisierten Mopeds irgendwelche Touristen verschreckten oder der Hund des Metzgers wieder einmal an einen Strandkorb pinkelte.

Knut sah Helen, die sich einen Weg nach vorne bahnte, und gab Veith die Kabel für das Mischpult. »Mach du das mal eben. Bin gleich wieder da.«

Mit einem lässigen Sprung setzte er über die Monitorboxen und landete direkt vor ihr.

»Miss«, begrüßte er sie und tippte charmant an seine Hutkrempe.

»Wow«, stieß sie angesichts seiner Klamotten aus und umarmte ihn freudig. Ihr Geruch ließ sein Herz schneller schlagen, und das Kitzeln ihrer Haare bei der Umarmung war wie ein wohliger elektrischer Schlag. Er traute sich, ihr die Wange zu küssen.

Sie hatten zwar beinahe miteinander geschlafen, aber die Betonung lag auf »beinahe«, und nach jenem Zwischenfall war nichts mehr in dieser Art geschehen. Keine Liebkosungen, keine eindeutigen Rendezvous. Es war zum Verrücktwerden. Nur ein paar Verabredungen zum Essen, einige Ausflüge und gemeinsame Abende hier im Dock-5. Lediglich das Du war von dem Abend auf dem Schrottplatz, als er sie voller Begierde auf die Motorhaube gehoben hatte, übrig geblieben. Immerhin das. Ein Anfang.

Nachdem sie sich begrüßt hatten, lächelte sie und meinte unvermittelt: »Sobald du auf der Bühne stehst, wird es besser.«

Knut musste schmunzeln. Ab und an machte sie sich einen Witz draus, seine Fragen im Voraus zu beantworten.

»Ist das ein Punkt?«, fragte sie.

»Eindeutig. Dafür gibt es auf jeden Fall ’n Punkt.«

»Die Frage?«

»Glaubst du, dass mein Lampenfieber weggeht? … Du hast voll ins Schwarze getroffen.«

»War ja auch nicht schwer. Du hast zu den ganzen Leuten gesehen, kurz bevor du mit mir Augenkontakt gesucht hast. Als würden dich die Gäste stören, als fändest du es unangenehm, dass sie hier sind, dass sie dich beobachten.«

»Und weil du ganz egoistisch davon ausgehen kannst, dass es nicht an dir liegt …«

»Genau. Weil du es nicht peinlich findest, mit mir gesehen zu werden, ist es höchstwahrscheinlich das Konzert. Außerdem bist du ziemlich nervös.«

»Niemals.«

Helen lachte. »Du grübelst, versuchst deine Unsicherheit zu überspielen, indem du deine Hände knetest. Ach – und das Zucken deines Mundwinkels verrät dich auch. Das Zucken des kissing muscle.«

»Kissing muscle?« Er musste schmunzeln, denn ihm war ihr flirtender Ton nicht entgangen.

»Musculus orbicularis oris.« Verschmitzt spitzte sie die Lippen, um es zu demonstrieren. »Kissing muscle … Oder liegt es etwa doch an mir?«

Küss sie doch einfach. Trau dich, sagte er sich. Entweder, sie knallt dir eine, oder … Das ist doch ’ne Steilvorlage. Mach schon …

Er tat es nicht.

Feiger Sheriff.

Na toll, schoss es ihm durch den Kopf. Bei Helen bist du zu feige, mal durchzustarten, das Outfit ist dir zu kindisch, aber das willst du nicht zugeben, und das Lampenfieber schickt dich gleich aufs Klo. Knut Jansen, du hast deine Gefühle voll im Griff.

»Schade«, stellte sie leicht enttäuscht fest. »Anscheinend wirklich nur Lampenfieber.«

»Was? Nein, nein. Du … Also … Äh, was hältst du davon, wenn wir im Anschluss noch was trinken?«

Helen nickte, während sie sich beide stumm in die Augen sahen.

Veiths und Pias Rufe störten ihre Zweisamkeit. Die beiden winkten von der Bühne. Es sollte losgehen.

»Morgen kommt der Makler mit zwei Käufern fürs Haus. Wehe, du lenkst mich heute Abend nicht ab.« Aufmunternd drückte sie ihm den Hut fester auf den Kopf. »Los, Cowboy. Lass es ordentlich krachen da oben.«

Er zwinkerte ihr cool zu, holte dann aber so seufzend Luft, als trüge er fünfzehn schwere Lautsprecher auf der Schulter.

Drei Minuten später führten sie den letzten Soundcheck durch, und Knut spürte, dass sein Lampenfieber tatsächlich nachließ. Wahrscheinlich weil er sich auf die Stücke und sein Spiel konzentrierte, anstatt über die ganzen Gäste zu grübeln. Das bunte Licht der Bühnenstrahler schien ihn aufzuheizen und ihm Kraft zu geben.

»Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?« Pia hatte sich das Mikro geschnappt. Mit knappen Worten stellte sie die beiden vor, verkniff sich aber Gott sei Dank jeden Sheriff-Gag.

Showtime, dachte Knut, als er von Pia das Mikro bekam und in den Ständer steckte.

Er lüpfte cool seinen Cowboyhut und fing Helens Blick ein, die ihm lachend ein »Daumen hoch!« schenkte.

»Howdy! Ihr Greenhorns«, begrüßte er das Publikum. »Wir starten sofort. Erste Nummer heißt Communication Breakdown. Das Ding ist zweieinhalb Minuten lang, wir schaffen es in einer! … Uuuuund los geht’s.« Er nickte Veith zu, hob das Plektron und wollte in die Saiten …

Da klingelte Veiths Handy.

»Oh. ’tschuldigung. ’tschuldigung.«...