Please don't hurt me - Die Entführung

von: Jennifer Nanik

Jennifer Nanik, 2017

ISBN: 9783961649419 , 189 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 4,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Please don't hurt me - Die Entführung


 

DER SUPERMARKT


Heute ist Freitag, der 30.01.2015. Ich bin vor zwei Wochen achtzehn geworden und sitze mit meiner Mutter am Esstisch. Meine Mutter ist eine ganz liebe Frau mit kleinen Grübchen und blonden, schulterlangen Haaren. Sie achtet sehr auf ihr Äußeres und betont ihre körperlichen Vorzüge; dies erst seit einiger Zeit.

Denn als sie sich vor drei Jahren von Ralf trennte, begann sie sich zu verändern. Nach der Scheidung von meinem Vater hatte meine Mutter lange keine feste Beziehung mehr. Ralf war der erste Mann, den sie wieder in ihr Leben ließ und dem sie vertraute. Sie wirkte wirklich glücklich und lachte viel an seiner Seite. Sie unternahmen viel und waren am Wochenende immer unterwegs.

Leider erwischte meine Mutter Ralf mit ihrer besten Freundin im Bett. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, hatte er es auch noch in unserer Wohnung getrieben – in Mutters Bett. Meine Mutter war außer sich und warf beide in hohem Bogen hinaus. Sie beendete die Beziehung sofort und ließ ihn die Sache nicht wiedergutmachen. Ihr Herz war zum zweiten Mal gebrochen.

Auch mein Vater war kein treuer Mann. Er war viel auf Geschäftsreise und hatte immer seine persönliche Assistentin dabei. Ihr Name war Viola, und sie war einige Male bei uns zu Hause gewesen. Als mein Vater erfuhr, dass meine Mutter mit mir schwanger war, brachte er Viola nicht mehr mit nach Hause und machte regelmäßig Überstunden. Er spielte meiner Mutter dieses Spiel zwei Jahre lang vor. Irgendwann fand sie in seiner Hosentasche eine leere Kondomverpackung. Sie wurde misstrauisch. Alsbald entdeckte sie in seiner Schublade unzählige Briefe Violas. Von gemeinsamen Wochenendein in Paris bis zum Winterurlaub in Österreich war darin die Rede. Meine Mutter hatte genug gelesen und begriff das ganze Ausmaß, in dem sie hintergangen wurde. Sie erzählte mir diese Geschichte, als ich zwölf war, damit ich mit der ganzen Scheidungssache besser umgehen könne.

Heute haben wir uns, und ich bin froh, dass sie sich etwas von der Trennung erholt hat.

„Sunny, warst du gestern einkaufen?“, fragt sie mich.

„Nein, Mama, das habe ich total vergessen. Ich war gestern mit Sina noch in der Stadt. Ich hatte dir doch erzählt, dass ich mir neue Schuhe kaufen wollte.“

Genervt räumt meine Mutter den Frühstückstisch ab und stellt das schmutzige Geschirr in die Spüle.

„Sunny, ich hatte dich gebeten, einkaufen zu gehen. Jetzt muss ich das auch noch machen und muss später noch ins Büro. Wie soll ich das alles alleine schaffen? Ich brauche wirklich mehr Unterstützung von dir.“

„Okay, okay, ich verspreche dir, dass wir gleich zusammen einkaufen fahren.“

Zufrieden nickt meine Mutter mir zu, und ich gehe in mein Zimmer. Unsere Wohnung ist nicht sehr groß, aber wir haben jeder unserer eigenes Reich. Mein Zimmer ist gemütlich eingerichtet: Ich habe eine große Ausziehcouch, auf der locker zwei Personen schlafen können, und einen ovalen Tisch. Mein Kleiderschrank ist weiß, und ich habe seine Kapazität völlig ausgeschöpft. Ich werfe mich auf die Couch und schalte den Fernseher an. Ich brauche jetzt Musik und entscheide mich für Viva. Dann nehme ich mein Handy und prüfe die sozialen Netzwerke. Heute ist Freitag, und Sina und ich haben noch keinen Plan, was wir heute Abend unternehmen sollen.

Ich finde eine Anfrage von Tom. Er möchte heute Abend auf Kneipentour gehen und fragt, wer noch alles Lust habe mitzukommen. Schnell schreibe ich Sina eine Nachricht und frage, ob sie uns begleiten würde. Ich habe Tom schon lange nicht mehr gesehen und hätte mich gefreut, ihn wieder einmal zu treffen. Tom und ich kennen uns aus der Schule und waren immer schon auf ein und derselben Wellenlänge.

Als ich weiter nach Anfragen schaue, ruft meine Mutter mich: „Sunny, wir müssen los, sonst komme ich zur spät zur Arbeit.“

„Okay, ich komme!“, rufe ich ihr entgegen.

„Gut, beeile dich! Aber ich gehe schon mal zum Auto. Bring bitte die leeren Flaschen mit!“, ergänzt sie noch.

„Okay, mache ich.“

Mein Handy vibriert, und ich sehe eine Nachricht von Sina. Hey, Süße, hast du Lust, kurz zu telefonieren? Schnell antworte ich ihr, dass ich gerade auf dem weg zum Supermarkt sei mit meiner Mutter und dass ich mich gleich melden würde. Ich schicke die Nachricht ab und stecke das Handy in die Hosentasche. Dann schnappe ich mir Jacke und Schal und nehme die leeren Flaschen. Schnell bin ich unten am Auto meiner Mutter, und wir steigen ein. Meine Mutter fährt einen alten, schwarzen Golf IV, der schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Im Radio läuft Love me like you do von Ellie Goulding.

Leise summe ich mit, da meine Mutter ununterbrochen auf mich einredet: „Sunny, wann hast du dein Vorstellungsgespräch? Hast du schon die Unterlagen vorbereitet? Was ist mit deinem Outfit?“

Seit einer Woche ständig die gleichen Fragen. Immer macht sie das. Sie fragt und nervt so lange, bis ich ihr immer alles erzählen muss, damit sie mich endlich in Ruhe lässt.

„Ich habe dir doch schon alles erzählt. Warum muss ich dir immer alles drei Mal erzählen? Hörst du etwa nicht zu?“

„Doch, meine Liebe, aber bei dir ändern deine Pläne sich wie das Wetter, und damit ich auf dem Laufenden bleibe, frage ich dich halt öfter.“

Ich komme ihrer Bitte nach und erzähle ihr, dass ich bestens vorbereitet sei. Ich habe die Unterlagen schon bei Sina fertiggestellt, da wir uns beide auf einen Ausbildungsplatz in Düsseldorf beworben haben und uns dort vorstellen möchten. Zu meiner Überraschung habe ich nur fünf Bewerbungen losgeschickt und prompt eine Einladung in eine Werbeagentur bekommen. Sina hatte leider noch nicht so viel Glück: Trotz elf Bewerbungen hat sie bisher noch keine Einladung erhalten. Ich möchte Mediengestalterin werden und freue mich schon sehr darauf. Über mein Outfit mache ich mir weniger Sorgen, da ich vorhabe, recht normal hinzugehen. Mit den Antworten ist meine Mutter einigermaßen zufrieden und schweigt endlich mal für zwei Minuten. Wahrscheinlich grübelt sie schon über die nächsten Fragen nach.

Zu meinem Glück biegen wir gerade auf den überfüllten Parkplatz des Supermarktes ein. Wie immer sind alle Parkplätze schon vergeben. War ja klar, denn wir haben Freitag. Ich entdecke einen in der zweiten Reihe.

„Mama, hier! Hier ist einer“, zeige ich mit dem Finger hin, und meine Mutter fährt in die gewünschte Richtung.

„Das ist ja super – und diesmal so nah!“

Als sie gerade in die Parklücke einfahren möchte, kommt ein schwarzer Mercedes, der sich vor meiner Mutter in dieselbe Parklücke stellt. Meine Mutter hupt und fährt das Fenster herunter.

„Hey, Sie Idiot! Ich habe den Parkplatz zuerst gesehen.“

Der Mann steigt aus und zeigt meiner Mutter unhöflich nur den Mittelfinger.

„Was für ein Arschloch!“, stimme ich meiner Mutter zu. „Komm, Mama, lass. Reg dich nicht auf. Wir finden schon noch einen anderen Parkplatz.“

Nach gefühlten fünf Minuten ergattert meine Mutter endlich einen Parkplatz fast am Ende des Supermarktes.

„Sunny, nimmst du die Flaschen? Ich hole uns einen Einkaufswagen.“

Völlig genervt sage ich meine Mutter, dass ich im Auto warten wolle, da ich überhaupt keine Lust auf einen überfüllten Markt hätte. Außerdem sei ich heute überhaupt nicht vorzeigbar.

Ich trage zerrissene Jeans und habe meinen Schmuddelpulli an. Meine Daunenjacke habe ich bis oben zugeschnürt, und mein Schal ist drei Mal um meinen Hals gewickelt. Dazu trage ich meine blauen Chucks und habe meine blonden Haare zu einem Zopf hochgebunden. Von Make-up ist heute keine Spur an mir zu finden.

„Sunny, ist das dein Ernst? Ich muss für die ganze Woche einkaufen, und mein Chef hat mir auch noch eine Einkaufsliste in die Hand gedrückt. Du weißt genau, dass ich kaum Zeit habe.“

„Mama, es tut mir leid, aber ich fühle mich echt scheiße heute. Komm, sei nicht sauer. Ich bin doch mitgekommen, und wenn du gleich wiederkommst, helfe ich dir beim Tütenpacken, okay?“

Beleidigt steigt meine Mutter aus dem Wagen und knallt die Tür zu.

Ich atme erleichternd auf und hole mein Handy raus. Sina hat mir schon drei Nachrichten über WhatsApp geschrieben. Sofort öffne ich die erste Nachricht und lese: Hey, Sunny, du Nudel, du wolltest dich doch melden. Ach ja, ich habe sie total vergessen. Schnell öffne ich die zweite Nachricht: Ich habe zwei Konzertkarten bekommen für Pink in Köln. Da müssen wir heute Abend hin.

Sina ist eine echt durchgeknallte Trulla, aber total liebevoll und die beste Freundin, die ich mir vorstellen kann. Sie hat lilafarbene, kurze Haare und kleidet sich auch sonst eher punkmäßig. Wer sie nicht kennt, könnte sich leicht ein falsches Bild von ihr machen, da sie mit ihren vielen Piercings und Tattoos echt ins Klischee passt. Sie steht total auf Punk. Sie liebt Pink und wollte schon lange auf deren Konzerte gehen.

Als ich die dritte Nachricht gerade öffnen möchte, werden die Fahrer- sowie die Hintertür geöffnet. Statt meiner Mutter setzen sich jedoch zwei Männer ins Auto: einer auf den Fahrersitz und der andere genau hinter mich. Der Mann auf dem Fahrersitz hat schwarzes Haar und trägt eine blaue, dicke Jacke. Er wirkt auf den ersten Blick sympathisch und hat sich vielleicht nur im Auto geirrt. Hektisch schaue ich mich um und verstehe überhaupt nicht, was hier gerade passiert. Der Mann auf dem Fahrersitz nimmt meinen Arm und hält mich fest. Er schmunzelt dabei leicht und wirkt auf mich unheimlich. Ich bekomme Angst! Schnell versuche ich, die Tür zu öffnen, und schreie laut um Hilfe, aber der Typ hinter mir zieht mit solch einer Gewalt...