Lore-Roman 12 - Geliebter fremder Mann

von: Erika Sommer

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN: 9783732554768 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Lore-Roman 12 - Geliebter fremder Mann


 

Wie ein verwunschenes Märchenschloss sah der Sommersitz der Fürsten zu Brangen-Schönstein im Licht der untergehenden Sonne aus.

Doch Fürstin Carolin hatte dafür keinen Blick. Mit besorgter Miene spazierte sie langsam durch den Park. Seit dem Tod ihres Mannes musste sie um den Erhalt des großen Besitzes bangen. Dabei hätte sie mit einem Schlag aller Sorgen ledig sein können, wenn ihr Sohn endlich seinen Widerstand gegen eine Ehe aufgeben würde.

Doch Fürst Michael dachte gar nicht daran. Obwohl er wusste, dass ihm seine Tante ein nicht unerhebliches Vermögen hinterlassen hatte, wenn er bis zu seinem dreißigsten Geburtstag heiratete, kümmerte er sich nur um sein Hobby.

Seine ganze Liebe galt schnellen Autos. Etwa drei Kilometer vom Schloss entfernt hatte er sich eine Werkstatt eingerichtet. Hier verbrachte er jede freie Minute.

Fürstin Carolin hob den Kopf, als sie Schritte hörte. Ihre Augen leuchteten auf, liebevoll blickte sie dem hochgewachsenen, jungen Mann entgegen, der schnell näher kam.

Fürst Michael war wirklich ein sehr stattlicher junger Mann. Seine breiten ausladenden Schultern verrieten Kraft und Ausdauer. Er hatte das typisch goldblonde Haar der Brangen-Schönstein und die eisgrauen Augen, die schon sprichwörtlich für die Familie waren. Niemand, der diesen schlicht gekleideten Mann sah, hätte ihn für seine Durchlaucht, den Fürsten Michael von Brangen-Schönstein gehalten. Er wirkte eher wie ein Bauer in seiner derben Cordhose seinem buntkarierten Hemd, das weit offen stand.

„Grüß dich Gott, Ma“, begrüßte er seine Mutter und gab ihr einen zärtlichen Kuss. Dann wandte er sich an den alten Krause, der im Schloss als Mädchen für alles arbeitete. Im Augenblick machte er sich in der Nähe als Gärtner zu schaffen.

„Es gibt wohl viel zu tun, Piet?“, fragte er teilnahmsvoll.

„Ja, sehr viel“, ergriff die Fürstin schnell das Wort, ehe der alte Mann etwas sagen konnte. „Es wird zu viel für den alten Piet, und ich sehe mich gezwungen, eine Hilfe einzustellen. Das heißt, wenn du nicht einspringen willst, Michael. Es wäre doch wie eine ausgleichende Beschäftigung, und die Arbeit an der frischen Luft würde dir guttun.“

„Aber Ma, das ist doch nicht dein Ernst? Davon verstehe ich wirklich nichts. Nein, Piet braucht eine Hilfe, die von der Arbeit etwas versteht. Ich wäre nur eine Belastung für ihn“, wehrte der junge Fürst ab.

Obwohl Krause die Fürstin sehr gut verstand, musste er dem Fürstensohn zustimmen. Er konnte ihm doch keine Befehle erteilen.

Seufzend gab die Fürstin nach. Sie war es gewohnt, dass alle ihre Vorschläge auf Widerstand stießen.

„Komm ins Haus. Meta kann uns einen Kaffee kochen. Oder hast du keine Zeit?“, konnte sie sich nicht verkneifen, anzüglich zu fragen.

Er legte zärtlich seinen Arm um ihre Schultern und zog die zarte Frau an sich.

Er liebte seine schöne, zarte Mutter, betete sie an wie eine Heilige. Sie war eine wundervolle Frau. Nur einen Fehler hatte sie, sie wollte ihn unbedingt ins Ehejoch einspannen und begriff einfach nicht, dass er damit nichts im Sinn hatte.

Wenn ihm eine Frau wie seine Mutter begegnen würde, dann könnte er vielleicht seine Meinung ändern. Aber eine Frau wie seine Mutter gab es nur einmal.

Fürstin Carolin wäre gerührt gewesen, hätte sie die Gedanken ihres Sohnes erraten können. Wie ein Liebespaar sahen die beiden aus, als sie engumschlungen auf das Haus zugingen.

***

Mutter und Sohn saßen gemütlich auf der Terrasse. Der junge Fürst ließ sich den Kaffee und den frischen Napfkuchen schmecken.

Eine Weile saßen die beiden Menschen schweigend und sahen in den sinkenden Tag hinaus. Glutrot versank die Sonne hinter den hohen Bäumen, tauchte alles ringsum in ein rötliches Licht.

Fürst Michael liebte diese Stunden ganz besonders. Es war wundervoll, hier mit der Mutter zu sitzen. Es brauchte zwischen ihnen nicht viele Worte, um sich zu verstehen. Sie waren sich in ihrem ganzen Denken und Fühlen so ähnlich, dass oft ein kurzer Blick genügte, um den anderen wissen zu lassen, was man gerade dachte.

„Wir bekommen in den nächsten Tagen Besuch, Micha“, brach die Fürstin nach einer Weile das Schweigen.

Der leise Seufzer, der ihre Worte begleitete, ließ den jungen Fürst aufhorchen. Er sah seine Mutter prüfend an.

„Sehr erfreut scheinst du aber nicht zu sein, Ma?“, stellte er sachlich fest.

„Erfreut? Ich weiß es selbst nicht, Micha. Einerseits freue ich mich, Elvira wiederzusehen, anderseits fürchte ich mich vor dem Wirbel, den sie verbreitet. Du kennst sie ja. Wenn sie auftaucht, ist es jedes Mal, als ob ein Taifun durch das Haus rast.“

Und ob Fürst Michael seine Tante Elvira kannte. Ihr Temperament war seiner stillen Natur so fremd, dass er schon als Kind die Flucht ergriffen hatte, wenn die Tante in Schönstein auftauchte.

„Oh je, arme Ma, du tust mir von Herzen leid. Kommt sie wenigstens allein oder hat sie wieder ihr ganzes Gefolge hinter sich?“, wollte er wissen.

Die Fürstin zuckte die Schultern. „Das steht in den Sternen, Micha. Aber wie ich sie kenne, bringt sie ihre Begleitmannschaft mit. Elvira ohne ihr Gefolge, das ist doch einfach undenkbar.“

Dem jungen Fürst grauste allein schon bei dem Gedanken, die wundervolle Ruhe dieses Hauses durch so viele Menschen gestört zu sehen. Er schüttelte den Kopf und meinte nachdenklich: „Vielleicht ist deine Furcht diesmal unbegründet, Ma. Tante Elvira ist ja schließlich auch kein junges Mädchen mehr, sondern eine gestandene Frau. Sie wird ruhiger geworden sein.“

Hell lachte die Fürstin auf. Schon die Vorstellung, dass ihre um zehn Jahre jüngere Schwester sich plötzlich wie eine gesetzte Matrone aufführen sollte, erheiterte sie.

„Mein Gott, Junge, eine Frau in ihrem Alter gehört doch noch nicht zum alten Eisen. Sie steht in der Blüte ihres Lebens. Und was deine Tante angeht, die wird noch im Alter genauso lebenshungrig und temperamentvoll sein, wie sie es heute ist. Es ist ihre Natur. Nein, diesen Zahn von wegen Ruhe und Ausgeglichenheit kannst du dir ziehen lassen.“

„Aber von einer Frau, die schon zwei erwachsene Söhne hat, kann man doch wirklich etwas mehr Würde erwarten, Ma?“, entfuhr es ihm entrüstet.

„Würde?“, wiederholte die Fürstin nachdenklich und sah mit ernsten, sinnenden Augen in den Park hinaus. „Ist es denn unwürdig sich seines Lebens zu freuen? Das Beste daraus zu machen? Als junges Mädchen habe ich Elvira oft um ihre Leichtigkeit beneidet, habe mir heimlich gewünscht, etwas von ihrer Unbekümmertheit zu besitzen und nicht alles so schwer zu nehmen. Aber wir beide waren schon immer ein Unterschied wie Tag und Nacht. Nicht nur äußerlich unterschieden wir uns voneinander, nein, auch im Charakter. Sie war wie ein schillernder Schmetterling, der von einer Blume zur anderen tanzte. Schon als Fünfzehnjährige zog sie alle Männerblicke auf sich, verstand es sich ins rechte Licht zu rücken.“ Leise lachte die Fürstin bei dieser Erinnerung auf. „Sie ging schon immer mit dem Kopf durch die Wand. Aber Elvira war ein Sonntagskind. Selbst eine Katastrophe wurde bei ihr zu einem Glücksfall.“

Nachdenklich sah der junge Fürst hinaus in den stillen Park.

„Eigentlich ist Tante Elvira um ihre glückliche Natur zu beneiden, Ma. Sie macht das Beste aus ihrem Leben und nimmt es von der leichten Seite. Umso unverständlicher ist mir, warum sie ausgerechnet nach Schönstein kommt. Die Stille und Abgeschiedenheit hier muss ihr doch auf die Nerven gehen.“

Wehmütig lachte die Fürstin und meinte mit leichtem Galgenhumor: „Stille, Abgeschiedenheit, davon wird hier bald nichts mehr zu merken sein, Micha. Wetten, dass es hier zugeht, wie in einem Taubenschlag, wenn sie erst angekommen ist. Zudem mache ich mir Gedanken darüber, wie Meta und Piet das alles bewältigen sollen. Sie haben schon genug am Hals, und die Jüngsten sind sie auch nicht mehr“, schloss die Fürstin seufzend.

Unwillig wehrte Fürst Micha ab. „Das soll doch eigentlich nicht deine Sorge sein, Ma. Tante Elvira weiß doch, wie zurückgezogen du hier lebst. Also soll sie gefälligst ihr Personal mitbringen.“

„Aber was sollen denn unsere Gäste von uns denken, Micha? Schließlich legt uns unsere gesellschaftliche Stellung auch gewisse Pflichten auf, denen wir uns nicht entziehen können.“

Fürst Micha schnitt eine Grimasse. Er war da ganz anderer Meinung als seine Mutter, aber er hütete sich, mit ihr darüber zu streiten. Wenn er hier draußen war, fiel alle gesellschaftliche Tünche von ihm ab, dann lebte er, wie er wollte und tat, was ihm Freude bereitete. Wenn auch die anderen darüber die Nasen rümpften.

Freilich, wenn er im Dienst war, gab er sich korrekt und diszipliniert. Seine Vorgesetzten schätzten ihn sehr und vertrauten ihm voll und ganz. Seine Kollegen hielten ihn zwar für etwas sonderbar, aber sie wussten, dass sie auf sein Wort bauen konnten. Alles das fiel schlagartig von ihm, wenn er in seiner Werkstatt war. In dem verschmutzten Arbeitsanzug hätte niemand den jungen Fürsten vermutet. Jeder hielt ihn für einen einfachen Monteur.

Liebevoll sah er in das bekümmerte Gesicht seiner Mutter. Einen Moment spürte er einen leichten Zorn auf seine Tante, die hier so einfach hereinplatzte und das ganze Haus mit ihrem Besuch auf den Kopf stellte.

„Ich werde mich im Dorf umhören, Ma. Vielleicht kennt jemand zwei junge Mädchen, die bereit sind, sich etwas Taschengeld zu verdienen.“

„Daran habe ich auch schon gedacht, Micha. Aber ich schrecke vor den...