Das Berghotel 151 - Sag einfach Ja!

von: Verena Kufsteiner

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN: 9783732554584 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Das Berghotel 151 - Sag einfach Ja!


 

Laut prasselte der Regen auf das Dach und gegen die hölzernen Fensterläden. Der Wind heulte um das kleine Haus, als wollte er es einreißen oder einfach mit sich forttragen.

Schon am Nachmittag waren im Zillertal dunkle, unheilverkündende Wolken aufgezogen. Die Urlaubsgäste des Sporthotels »Am Sonnenhang« waren überstürzt von ihren Ausflügen und Wanderungen zurückgekehrt, um sich in ihren gemütlichen Hotelzimmern in Sicherheit zu bringen. Die Hotelangestellten hatten vorsichtshalber die Tische und Stühle auf der Panoramaterrasse abgedeckt. Bis zum Abend hatte das Wetter noch gehalten, dann jedoch hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet. Jetzt herrschte das reinste Weltuntergangswetter.

Hedi Kastler schmiegte sich an ihren Mann Andi und blickte in das knisternde Kaminfeuer. Als der Donner grollte, zog sich eine wohlige Gänsehaut über ihre Arme. Das Hoteliers-Ehepaar hatte sich nach getaner Arbeit in ihr gemütliches Wohnhaus zurückgezogen, dass ein kleines Stückerl von dem Hotel entfernt im Grünen lag. Nun kuschelten sie sich auf dem Sofa aneinander.

»Solang ich net raus muss, lieb ich solche Wolkenbrüche«, murmelte Hedi lächelnd. »Ist’s net herrlich stimmungsvoll? Gerade richtig, um sich Geistergeschichten zu erzählen und heißen Kakao mit einem ordentlichen Schuss Rum zu trinken, gell?«

Andi schmunzelte. »Jetzt lobst du das Wetter noch. Aber ich glaub, wenn du morgen früh unsere neuen weißen Gartenmöbel siehst, bist du nimmer so begeistert.«

Erschrocken fuhr sie hoch. »Ach herrje, die schönen Gartenmöbel! Stehen die etwa mitten im Unwetter?«

Andi grinste frech. »Aber geh, Hedi, du kennst doch deinen gescheiten Mann. Freilich hab ich deine kostbaren Schätze in weiser Voraussicht ins Gartenhaus geschleppt.«

Mit einem Seufzer ließ sie sich zurück auf das Sofa sinken und piekte ihm zur Strafe ihren Finger in den Bauch.

»Du Schlawiner«, schimpfte sie lachend. »Willst du mir einen Herzinfarkt bescheren? Ich hab schon vor mir gesehen, wie der Sturm die schönen neuen Stühle durcheinanderwirbelt und bis rüber in den Wald schleudert. Ober wie ein riesiger Ast abbricht, mitten auf dem tollen, weiß lackierten Tisch landet, und die Platte zerstört.«

Er legte den Arm fest um ihre Schultern und zog sie an sich. »Was du dich wieder sorgst, mein Spatzl. Als tät ich je zulassen, dass so was geschieht.«

Kichernd schmiegte sie sich an ihn und gab ihm ein Busserl. Doch plötzlich wurde sie in seinen Armen ganz starr und steif. Mit geweiteten Augen blickte sie in Richtung Tür.

»Was ist denn?«, fragte er stirnrunzelnd.

»Pst, hörst du das net?«, flüsterte sie. »Sei doch einmal kurz leise.«

Er lauschte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Was meinst du denn? Da ist nix. Nur der Regen und der Wind. Oder meinst du das Knarren? Das sind die Äste der Bäume draußen, die im Sturm ächzen.«

»Nein, nein!«, wisperte sie. »Lausch doch, Anderl. Da war was, ich bin mir ganz sicher.«

In dem Moment ertönte ein leises, schwaches Klopfen an der Haustür, das kaum das Heulen des Windes übertönte. Gleichzeitig sprangen die Kastlers auf.

»Wer kommt uns denn so spät besuchen, und das noch dazu bei dem Wetter?«, fragte Hedi irritiert.

Andi war bereits auf dem Weg zur Tür. »Setz du dich ruhig wieder hin, ich mach auf.«

Doch dazu war Hedi viel zu neugierig. Sie folgte ihrem Mann und spähte über seine Schulter, als er die Türkette vorlegte und dann die Tür öffnete. Gleichzeitig schnappten sie beide nach Luft, als sie sahen, wer da draußen in Sturm und Regen stand: eine junge Frau, die den Eindruck machte, als könnte sie sich kaum auf den Beinen halten. Ihr klatschnasses Dirndl klebte an ihr, wie eine zweite Haut. Frierend hatte sie die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und zitterte wie Espenlaub. Ihre Lippen waren bläulich verfärbt. Hedi wunderte sich einen Moment lang benommen über den großen roten Fleck in den langen blonden Haaren des Madels, bis ihr bewusst wurde, dass da eine große Kopfwunde war.

»Wo … wo bin ich hier?«, stammelte die junge Frau fast unhörbar. Ihre Zähne klapperten so stark, dass die Worte kaum verständlich waren.

Einen Herzschlag lang waren die Kastlers starr vor Überraschung und Schreck. Hedi war die Erste, die ihre Fassung wiederfand. Sie schob sich an ihrem Mann vorbei, entfernte die Sicherheitskette und machte die Tür ganz auf. Behutsam legte sie einen Arm um die Schultern der jungen Frau und schob sie mit sanfter Gewalt ins Haus.

»Kommen Sie herein, da draußen holen Sie sich ja noch den Tod! Was, um alles in der Welt, machen Sie denn bei dem Wetter da draußen? Was ist passiert? Wer sind Sie denn?« Die Fragen brachen einfach aus Hedi heraus.

In den seegrünen Augen der Fremden schimmerten Tränen. »Ich … ich weiß es nicht«, flüsterte sie. Sie geriet ins Taumeln und wäre beinahe umgefallen, wenn Hedi den Griff um ihre Schultern nicht instinktiv verstärkt und sie festgehalten hätte.

»Sie armes Ding, setzen Sie sich«, sagte die Hotelchefin erschrocken und führte sie zum Sofa. Dann rief sie ihrem Mann über die Schulter hinweg zu: »Andi, ruf den Bergdoktor! Das arme Madel braucht Hilfe.«

Während Andi zum Telefon eilte, wickelte Hedi der frierenden Frau eine Wolldecke um die Schultern und drückte ihr eine heiße Tasse Kakao in die Hand. Besorgt sah sie sie an und seufzte bekümmert.

»Wie ist denn ihr Name?«, fragte sie noch einmal mit sanfter Stimme.

»Ich weiß es wirklich net«, schluchzte das Madel. »Oh Gott, ich hab keine Ahnung.«

Hedi warf Andi, der das Telefonat gerade beendet hatte, einen ratlosen Blick zu und zuckte mit den Schultern. Das arme Ding schien ja ganz verwirrt und durcheinander zu sein.

Es dauerte nicht lange, dann drang das Motorengeräusch eines Autos durch den Regen: Dr. Burger war angekommen. Der Arzt hatte keine Sekunde gezögert, obwohl es bereits spät am Abend war, und hatte sich sofort durch das Unwetter hierher durchgekämpft. Mit hochgeklapptem Jackenkragen lief er die paar Schritte von seinem Auto zum Haus herüber. Obwohl er nur kurz im Regen gewesen war, tropfte Wasser aus seinen vollen braunen Haaren.

»Grüß euch, Hedi und Andi.« Die vollklingende Stimme des Landarztes flößte jedem auf Anhieb Vertrauen ein, ebenso wie sein warmherziges Lächeln. »Wo ist denn die Patientin?«

»Im Wohnzimmer«, antwortete Hedi mit unterdrückter Stimme. »Sie sagt, sie weiß net einmal, wie sie heißt. Das arme Ding scheint ganz verwirrt zu sein.«

Bedachtsam untersuchte Dr. Burger die junge Frau. Abgesehen von der Kopfverletzung und ein paar Schrammen und blauen Flecken schien sie unversehrt zu sein.

»So, wie die Verletzung ausschaut, sind Sie vermutlich in den Bergen gestürzt und haben sich den Kopf gestoßen, gell? Da sind ein paar kleine Steinchen und Tannennadeln in der Wunde«, stellte der Arzt fest.

»Ich weiß net. Kann sein«, wisperte die Fremde leise. Dicke Tränen kullerten über ihre blassen Wangen. »Ich weiß es doch auch net.«

Mitfühlend seufzte Dr. Burger. »Sie können sich also wirklich an überhaupt nix erinnern?«

Verzweifelt schüttelte die junge Frau den Kopf. »Wenn ich’s doch sag! Ich weiß net, wohin ich gehör, wer ich bin, wie ich hierhergekommen bin. Ich weiß bloß, dass ich durch die Berge geirrt bin. Mir kam’s wie Tage vor, aber vielleicht waren’s nur Stunden. Ich hatte Angst und hab so fürchterlich gefroren. Und dann … dann hab ich dieses Haus hier gesehen und hab mich mit letzter Kraft hierhergeschleppt.«

Mit einem kleinen Lämpchen leuchtete der Arzt ihr in die Augen und testete die Pupillenreaktion.

»Sie haben wohl eine leichte Gehirnerschütterung. An sich ist das nix Bedrohliches. Sie sollten es einige Tage ruhig angehen lassen. Gedächtnislücken können durchaus vorkommen, aber dass Sie sich an so gar nichts erinnern können …« Nachdenklich tippte er sich ans kantige Kinn. »Das mag vielleicht vom Schock kommen. Wahrscheinlich kehren die Erinnerungen ganz von selbst zurück, lang sollte das nicht dauern.«

Langsam nickte die junge Frau. Dann hielt sie ganz still, während er die Wunde sorgfältig reinigte und einen Verband anlegte.

»Armes Ding«, murmelte Hedi mitleidig und tätschelte die Schulter des Madels. »Alles, was man weiß, ist also, dass sie in den Bergen gestürzt ist. Wohin soll sie denn jetzt, wenn sie gar net weiß, wo sie wohnt?«

Sie und Andi tauschten einen Blick miteinander aus und nickten dann beide entschlossen. Auf keinen Fall würden sie eine junge Frau vor die Tür setzen, die sich in einer Notlage befand.

»Sie können freilich hier übernachten«, erklärte Andi freundlich. »Das Gästezimmer wird’s für die eine Nacht sicherlich tun. Und morgen sehen wir weiter, vielleicht schaut die Welt dann schon ganz anders aus.«

***

Aus weit aufgerissenen Augen starrte die junge Frau in die Dunkelheit des Gästezimmers und lauschte dem Gewitter. Der dröhnend laute Donner ließ sie zusammenzucken. Das gleichmäßige Prasseln des Regens hätte unter anderen Bedingungen vielleicht beruhigend wirken können, aber auf sie machte es einen trostlosen Eindruck. Es führte ihr noch deutlicher vor Augen, wie einsam und allein sie war.

Einer der Fensterläden hatte sich gelöst, klapperte im Wind und wurde immer wieder polternd zugeschlagen. Sie kauerte sich noch enger zusammen und zog sich das Kissen über den Kopf, aber das...