No Billag? - Die Gründe und die Folgen

von: Roger Schawinski

Wörterseh Verlag, 2018

ISBN: 9783037637432 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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No Billag? - Die Gründe und die Folgen


 

 

Und dafür soll ich Billag zahlen?


Die grosse Krise begann mit einem Sieg der SRG, der sich aber wie eine Niederlage anfühlte. Am 14. Juni 2015 gewann die SRG die Abstimmung über ein neues Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) nur um Haaresbreite, nämlich mit bloss 50,08 Prozent der Stimmen. Dieses knappe Resultat kam deshalb völlig unerwartet, weil die Vorlage eine massive Senkung der Billag-Gebühren von 451 Franken auf unter 400 Franken vorsah, was eigentlich ein unschlagbares Argument für ein deutliches Ja hätte sein müssen. Doch das war es zur Verblüffung vieler Kommentatoren nicht. »Das ist eine Ohrfeige für die SRG«, titelte der »Blick« am nächsten Tag. Und die NZZ orakelte: »Die SRG wird mit härterem Gegenwind rechnen müssen.«

Doch diese Analysen griffen zu kurz, da sie das Resultat bloss als ernsthaftes Misstrauen gegenüber der SRG und ihrer Führungscrew deuteten. Diese soll in Zukunft mehr Demut zeigen, wurde ultimativ gefordert, und zusätzlich müsse der Service-public-Begriff endlich klar definiert werden. Was damals aber von niemandem richtig erkannt wurde, war der in weiten Kreisen tief verwurzelte Hass auf die SRG. Das grosse Nein-Votum war in Wirklichkeit nämlich ein ohrenbetäubender Warnschuss, der bei nächster Gelegenheit von einer echten Explosion abgelöst werden könnte. Und mit der No-Billag-Initiative ist nun genau diese Situation eingetreten.

Für die SRG-Führung war das RTVG-Ergebnis ein gewaltiger Schock und wurde von ihr als ungerechter Liebensentzug empfunden. In Umfragen war ihrer Institution doch immer ein hervorragendes Image bestätigt worden. Und nun diese öffentliche Klatsche? Was war denn schiefgelaufen? Etwas musste getan werden, aber was?

Als Erstes gelobte man öffentlich Bescheidenheit und versprach, sich vermehrt um die Anliegen des Publikums zu kümmern. Sichtbare Folge dieser Strategie war die neue Sendung »Hallo SRF!«, in der man Zuschauer ins Studio einlud, wo sie Kritik und Vorschläge anbringen sollten. Anwesend war jeweils auch der Radio- und Fernsehdirektor Ruedi Matter, der betonte, dass die vorgebrachten Anliegen ernsthaft geprüft würden. Doch diese Inszenierung war eine hilflose Augenwischerei, mit der man Publikumsnähe bloss simulierte, da eine professionelle Programmplanung anderen Kriterien folgen muss als der Umsetzung der Einzelkritik zufällig ausgewählter Laien. Auch die im Oktober 2017 neu gewählte neue Form von »Hallo SRF!«, in der Zuschauer während einer Woche selbst Programme gestalten durften, war kaum mehr als ein weiterer Versuch zur Imageverbesserung, mit dem man zudem das professionelle Fernsehhandwerk abwertete.

Eigentlicher Kern der RTVG-Vorlage war nicht die gross angekündigte Gebührensenkung, sondern ein kompletter Systemwechsel. Neu sollten nicht nur die Besitzer von Radio- und Fernsehgeräten Gebühren entrichten müssen, sondern alle. Als Begründung für diese Umstellung wurde die technische Entwicklung mit ihren vielfältigen neuen Empfangsmöglichkeiten via Computer und Handy genannt. Zudem sollten auch Firmen bezahlen müssen, und zwar abhängig von ihren Jahresumsätzen, was den aufgebrachten Gewerbeverband dazu veranlasste, gegen diese Vorlage das Referendum zu ergreifen.

Das Konzept der Haushaltsabgabe hatte man von Deutschland übernommen, wo es 2013 per Parlamentsbeschluss eingeführt worden war. Doch was rational erklärbar war, stiess auch dort von Anfang an auf emotionale Mauern. Es gab viel Kritik, dass man die psychologischen Aspekte dieses Modells ausgeklammert habe. Die flächendeckende Haushaltsabgabe ist darauf in einen immer stärkeren Erklärungsnotstand geraten, was sich in vielen Medienberichten niederschlug. Doch da Deutschland die direkte Demokratie nicht kennt, in der das Volk an der Urne Protest gegen Parlamentsentscheide einlegen kann, köchelt dieser Unmut ohne konkrete Folgen bis heute weiter vor sich hin.

Dies ist bei uns anders, wie wir zurzeit erleben. Die Schweiz kennt mehrere Grundpfeiler, auf die man sich geeinigt hat. Einer davon ist das in der Bevölkerung stark verankerte Solidaritätsprinzip. So subventionieren die Deutschschweizer mit happigen 340 Millionen Franken aus den von ihnen bezahlten Gebühren die Programme der anderen Sprachregionen. Dieses bisher klaglos akzeptierte Prinzip gilt als Musterbeispiel für die freundeidgenössische Solidarität, die den Schutz der sprachlichen Minderheiten und damit den Zusammenhalt des Landes sichern hilft. Der Solidaritätsansatz bestimmt in der Schweiz auch das Krankenkassenmodell, in dem die Gesunden mit ihren Prämienzahlungen die Kranken subventionieren. Auch dieses vor vielen Jahren eingeführte System wird nicht infrage gestellt.

Bei der neuen SRG-Haushaltsabgabe, bei der selbst jene zur Kasse gebeten werden, die weder ein Radio noch einen Fernsehapparat besitzen, ist dies anders. Dieses System stiess auf viel Unverständnis. Und nun kann jeder mit einem Ja zu No Billag sein Missvergnügen über diese »Zwangsgebühr« kundtun und damit gleichzeitig richtig viel Geld sparen.

Es gibt eine Vielzahl von Gründen, weshalb diese Initiative auf grosse Zustimmung gestossen ist. So widerspricht ein allumfassender Gebührenzwang diametral dem Zeitgeist, der immer stärker von einer Gratismentalität geprägt wird. So ist eine ganze Generation mit dem Internet gross geworden, wo ihnen alles für sie Nützliche auf allen Geräten kostenlos angeboten wird. Die von den Zeitungsverlegern mit ihren Internetportalen angefixten Digital Natives haben noch nie eine Zeitung abonniert und werden es wohl auch nie tun. Und am Kiosk kaufen sie immer weniger Zeitschriften. Zudem meiden sie in grosser Zahl die öffentlich-rechtlichen TV-Sender mit ihren Programmen für ein vorwiegend älteres Publikum. Und viele von ihnen nutzen überhaupt kein Radio und Fernsehen mehr, sondern sind ausschliesslich im Internet unterwegs.

Aber nicht nur die junge Generation wendet sich zunehmend von Printmedien ab, für die sie bezahlen müsste. Auch andere Bevölkerungsgruppen verhalten sich so und konsumieren immer häufiger Gratisangebote im Internet. Dies geschieht aufgrund der seit Jahren stagnierenden Einkommen und laufend steigender Gesundheitskosten, die die Haushaltsbudgets immer stärker belasten. In diesem garstigen wirtschaftlichen Umfeld sucht man besonders intensiv nach Sparmöglichkeiten. Und eine solche bietet nun die No-Billag-Initiative. Mit einem einzigen Federstrich und einem kurzen Gang zum nächsten Briefkasten kann man sich gleich 365 Franken im Jahr schenken. Eine solch einmalige Sparmöglichkeit wird wohl von sehr vielen als extrem attraktiv eingeschätzt, sodass sich für einmal sogar ein grosser Teil der jungen Bevölkerungsschicht an einer Abstimmung beteiligen wird.

Doch das ist noch längst nicht alles. Zusätzlich ist das aktuelle politische Umfeld ausserordentlich günstig für die No-Billag-Forderungen. Da gibt es einmal eine wachsende Staatsverdrossenheit, also das Gefühl, dass der Staat in immer weitere Bereiche des täglichen Lebens eingreife. Das führt bei vielen zu Unbehagen und einem Gefühl der Entmündigung. Institutionen, die als übermächtige Monopole empfunden werden, erlebt man als besonders negativ. Und nun besteht die einmalige Gelegenheit, zurückzuschlagen. Ein einziges Mal kann man sich aktiv dagegen zur Wehr setzen – indem man Ja stimmt.

Verschärft wird diese Entwicklung dadurch, dass die meisten nur noch Medien konsumieren, die die eigene Meinung widerspiegeln. Und wenn man für einmal mit anderen Ansichten konfrontiert wird, reagiert man in den ständig überquellenden Kommentarspalten vieler Online-Portale mit wüsten Beschimpfungen. Dort rotten sich regelmässig informelle Gemeinden zusammen, um ihrem Ärger Luft zu verschaffen und um die Gegenseite einzuschüchtern. Bei der Kritik missliebiger Fernsehsendungen der SRG kann man nicht nur wettern, sondern zusätzlich auch drohen. Und so ist die Floskel »Und dafür soll ich Billag zahlen?« zum fast schon gebetsmühlenartig eingesetzten Kampfruf geworden.

Auch der heute grassierende Rechtspopulismus und die damit einhergehende Medienverunglimpfung kommt No Billag entgegen. Die von diesen Kreisen oft verwendeten Begriffe wie Lügen- oder Fake-News-Medien befeuern den Widerstand gegen eine riesige und deshalb als privilegiert erlebte Institution, wie es die SRG ist. Die einmalige Chance, ihr mit einem Ja zu No Billag den Mittelfinger zu zeigen, liefert vielen Leuten ein seltenes und deshalb umso berauschenderes Machtgefühl. Und da die SRG-Führung in vielen Social-Media-Plattformen als extrem arrogant und mit viel zu hohen Gehältern ausgestattet präsentiert wird, erscheint die Gelegenheit für eine solche Strafaktion als besonders verlockend.

Ebenfalls nicht zu unterschätzen sind die ewigen SRG-Kritiker, -Hasser und -Nörgler aus dem rechten politischen Lager, die seit Jahrzehnten davon träumen, das von ihnen verteufelte »Staatsfernsehen« zu kastrieren. Auch wenn der No-Billag-Ansatz für viele SVPler etwas gar extrem ist und sie sich eine mildere Abstrafvariante für die SRG gewünscht hätten, werden sie im Zweifelsfall ein Ja einlegen, wie es ihr Übervater Christoph Blocher als einer der Ersten angekündigt hat. Direkt nach diesem Rauchzeichen aus...