Das Glück hat lange Ohren - Was mich ein heimatloser Esel über das Leben, den Glauben und zweite Chancen lehrte. Eine wahre Geschichte.

von: Rachel Anne Ridge

Gerth Medien, 2018

ISBN: 9783961223084 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 7,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Das Glück hat lange Ohren - Was mich ein heimatloser Esel über das Leben, den Glauben und zweite Chancen lehrte. Eine wahre Geschichte.


 

2.

Namen und ihre Bedeutung

Das vorübergehend verlängerte Bleiberecht des Esels bescherte uns eine gedankliche Atempause von unseren Sorgen. Und es half mir das Gefühl der Niederlage zu verdrängen, das sich in meinem Bauch breitgemacht hatte wie eine Handvoll Plätzchenteig, den man nie auf leeren Magen essen sollte. Unseren neuen Mitbewohner dabei zu beobachten, wie er sich an sein neues Zuhause gewöhnte, war wie ein Ventil für uns und zugleich ein beliebtes Gesprächsthema beim Abendessen.

„Habt ihr schon gesehen, wie der Esel beinahe jeden Teil seines Körpers mit seinen Zähnen erreichen und sich überall dort kratzen kann, wo es ihn juckt? Gib mir mal bitte die Butter.“

„Ich weiß. Ich habe heute gesehen, wie er die Stelle unter seinem Schwanz erreichte. Er hatte sich komplett bis auf die Hälfte zusammengekrümmt, den Schwanz hochgeklappt und dann mit den Zähnen zu kratzen begonnen. Möchte jemand Brötchen?“

„Im Ernst, ich glaube, er ist sehr gelenkig. Ich hätte gern noch etwas Spaghetti, danke.“

Wir lernten bald, auf seine samtigen Ohren zu achten, die sich fortlaufend bewegten. Waren sie nach vorn gestellt, signalisierte er Interesse und Neugier. Waren sie nach hinten gelegt, war er ängstlich, unsicher, unzufrieden. Ein Ohr nach vorn und eins nach hinten – nun, das verlangte nach Interpretation, insbesondere, wenn er gleichzeitig mit dem Huf stampfte oder mit dem Schwanz wedelte. Seine Ohren waren der Schlüssel seiner Kommunikation, eine stille Art, sich auszudrücken, die uns verzückte.

Wir begannen, uns in Sachen Eselpflege schlauzumachen: Welches Futter war das beste für ihn, wie war er am besten zu striegeln, wie waren seine Hufe zu versorgen, welche Impfungen benötigte er? Unsere Weide, von den Behörden als „Magerrasen“ deklariert, war für dieses Tier, das für das Leben in kargem Ödland geschaffen war, geradezu perfekt. Das harte, einheimische Gras auf unserer zweieinhalb Hektar großen Weide, die stets der texanischen Sonne und ständigem Wind ausgesetzt ist, würde genügend Raufutter liefern, ohne zu reichhaltig zu sein. Der hintere Teil der Einzäunung schloss ein Stück Wald ein, das er zur selbstständigen Futtersuche und für Schatten nutzen konnte. Er würde nur wenig Zusatzfutter brauchen, außer in den Wintermonaten oder bei extremer Hitze im Sommer, wenn das Gras zu braunem Staub verdorrte. Es gab mehr zu lernen, als wir angenommen hatten, doch das liebenswürdige Temperament des Esels schürte weiter unsere Aufmerksamkeit und Zuneigung.

Da er sich nicht nur einen Weg zu unserer Scheune, sondern auch zu unseren Herzen gebahnt hatte, war es an der Zeit, ihm einen Namen zu geben. In unserer Familienchronik hatten wir bereits eine Reihe von Haustieren getauft: Checkers, den braunweißen Springer Spaniel; Buttons und Twix, zwei hübsche Katzenbrüder; Wilson, den Sittich, den wir gerettet hatten, als wir ihn auf der Straße wie einen Tennisball aufprallen sahen. Und dann war da Angel, der Habicht mit dem roten Schwanz, der Tom gehörte, als er die Falknerei betrieb. Sogar die Rennmäuse und Fische, die nur ein kurzes Leben bei uns verbrachten, wurden mit ausgefallenen Namen versehen.

Die Herausforderung hatte immer darin bestanden, einen Namen zu finden, der die Persönlichkeit des Tieres widerspiegelte und den wir ohne Verlegenheit in der Öffentlichkeit rufen konnten. So hatte im Laufe der Jahre Tom in seiner Männlichkeit ein Veto gegen Namen wie „Schmoozy“, „Fluffy“ oder „Schätzchen“ eingelegt, und wir fanden es nur vernünftig, dieser Linie treu zu folgen. Man kann von einem Mann, der sich am liebsten in Tarnkleidung bewegt, nicht verlangen, ein Haustier zu haben, dessen Namen suggeriert, dass es in einer rosafarbenen Handtasche getragen wird.

„Wie sollen wir ihn nennen?“, fragte ich Tom, den ich hinter mir im Spiegel sah, während ich meine doppelte Aufgabe erledigte – Zähne putzen und die Krähenfüße rund um meine Augen inspizieren. „Sollen wir einen lustigen Namen wählen, da er ja nun mal ein Esel ist? Oder soll es lieber etwas Würdevolles sein?“ Bei unseren anderen Tieren hatten wir nie Probleme, den richtigen Namen zu finden, aber dieses Mal standen wir – warum auch immer – vor einem Dilemma.

Tom saß auf dem Bett und zog seine Arbeitsschuhe an. „Ich will ja nicht alles noch komplizierter machen, aber da wir in Texas leben, könnten wir auch über einen spanischen Namen nachdenken.“

„Stimmt!“ Er wusste, wie sehr ich die Esel meiner Kindheit geliebt hatte. Es wurde von Minute zu Minute schwieriger.

Wir jonglierten eine Zeit lang mit verschiedenen Ideen, bevor wir uns an unser Tagewerk machten und beschlossen, dort weiter darüber nachzudenken.

Auf dem Gerüst stehend dachten wir über die gängigen Ideen nach: Brae, Harry, Eeyore.

„Es ist lustig, einen Esel zu haben, aber ich möchte mich nicht über ihn lustig machen“, warf Tom ein, während er seinen Pinsel in blaue Farbe tauchte und am Dosenrand abtupfte. Also strichen wir all diese Namen von unserer Liste.

Den ganzen Tag über waren wir mit der Namensgebung beschäftigt. Noch am Abend, während sie eine Fülle von Brautzeitschriften sichteten und Popcorn aßen, schlugen die Mädchen vor, etwas Ernsteres, Würdigeres zu wählen. „Wie wäre es mit Jefferson oder Winston? Henry? Roosevelt?“ Schon besser, aber noch nicht perfekt.

Vielleicht sollten wir uns von der Bibel inspirieren lassen? Beim Zubettgehen dachten wir über Balaam nach; Ikabod; auch Jona und Micha und all die anderen kleinen Propheten.

Was wir auch versuchten, nichts schien zu passen. Er war der „Namenlose, der auf der Weide schrie“, und wir waren nicht zufrieden damit. Wochen vergingen, ohne dass wir eine Lösung fanden.

„Wir können ihn nicht weiterhin guter Junge nennen“, sagte ich, als Tom und ich eines Nachmittags die Leitern in die Scheune trugen. „Es ist so unpersönlich und klingt, als ob er uns egal wäre.“ Wir hielten inne, um ihn vorüberschlendern zu sehen, während er den Sonnenschein genoss und von einem Ende der Weide zum anderen spazierte.

„Ich weiß. Aber ein Name ist wichtig. Das will man nicht vermasseln, nicht mal für einen Esel, für den wir keine fünf Dollar bekommen würden.“ Tom zwinkerte und legte einen Arm um meine Schulter, zog ihn aber wegen der stickigen Hitze bald wieder zurück. „Weißt du“, sinnierte er, „dieser Kerl ist nie in Eile, so als lebte er in einer Zeitschleife. Er würde nie irgendwo wegen Geschwindigkeitsübertretung geblitzt werden.“

Wir sahen uns an und es dämmerte uns. Flash (Blitz)! Das war er!

Flash. Wie der Comicheld, der einem in Bedrängnis zu Hilfe eilt. Wir kicherten bei der Vorstellung, unser Esel trüge eine Maske mit Blitzen an den Seiten und wie er auf dem Weg in eine Krisensituation eine Pause einlegen würde, um ein Schläfchen zu halten. Ja, Flash war perfekt. Die Kinder waren einverstanden.

Nachdem Flash nun seinen Namen bekommen hatte, wussten wir alle, ohne je darüber zu sprechen, dass damit seine Probezeit vorüber war und er fortan als fester Bestandteil der Familie zu betrachten war.

Flash war nun für immer unser Esel und wir verliebten uns in ihn. Er verlor bald darauf sein struppiges Winterfell, das einem weichen, graubraunen Mantel Platz machte, der ihn seidig glänzend aussehen ließ. Sogar seine Ohren verloren den größten Teil der Winterwolle und wurden seidenweich, besonders nahe dem Höcker auf seinem Kopf. Er liebte es, wenn wir die Innenseiten seiner langen, rohrförmigen Ohren streichelten, und freute sich über jede Aufmerksamkeit.

Das Striegeln wurde sein liebster Zeitvertreib, und ich nutzte es, um unsere Beziehung zu festigen: Ich sprach mit ihm, während ich mit der Bürste über seinen Körper strich. Er schien sich für mein Geplauder zu interessieren, also erzählte ich ihm von unseren Projekten, hielt ihn über unsere Familienaktivitäten auf dem Laufenden und erzählte ihm, was mir in den Sinn kam. Seine Ohren folgten meinen Worten, bewegten sich hin und her, und dann und wann nickte er, so als wollte er sagen: „Mach weiter, erzähl mir noch mehr.“ Ich stellte schon bald fest, dass er der perfekte Zuhörer war. Die Sorte, die einem das Gefühl gibt, alle Zeit der Welt zu haben. Sobald er auch nur den Striegel sah, tauchte er in eine Wolke der Glückseligkeit ein. Man konnte ihn beinahe lächeln sehen. Seine Scheu schmolz dahin und wir begannen flüchtige Blicke auf seine kontaktfreudige Persönlichkeit zu erhaschen.

Flash fing an, sich bei uns häuslich einzurichten. Unser gelbes Haus in Form einer Scheune aus den 70er-Jahren, auch gerne als „Mansardenstil“ bezeichnet, stand neben seiner Weide, sodass wir eine erstklassige Aussicht auf seine Unternehmungen hatten. Er war angekommen: Er hatte riesig viel Platz für sich, wo er unter freiem Himmel umherstreunen konnte, außerdem eine Scheune als Obdach und rund achttausend Quadratmeter schattigen Waldes zum Erkunden.

Früher, nachdem wir das Anwesen über eine Zeitungsannonce gefunden hatten, hatten wir für den größten Teil des Landes keine Verwendung, abgesehen von der Scheune, in der wir Vorräte lagerten. Wir gaben unser Vorstadtleben auf und machten uns glücklich daran, das renovierungsbedürftige Haus in unser neues Heim zu verwandeln – natürlich ohne einen Penny auszugeben. Obwohl es nur...