Nur nicht aus Liebe weinen - Höhen und Tiefen meines Lebens

von: Dunja Rajter

adeo, 2018

ISBN: 9783863347901 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

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Nur nicht aus Liebe weinen - Höhen und Tiefen meines Lebens


 

Reich oder arm?

Danny ist mein Ein und Alles. Er ist ein Kind der Liebe. Sein Vater heißt John Lesley Humphreys, von allen Les genannt. Und ich bin Dannys Mutter. Wir wohnen in einer 18-Zimmer-Villa mit Sauna und Swimmingpool in der besten Hamburger Gegend. Ein Abend im Frühjahr 1975 wird alles verändern.

Danny ist noch ein Baby. Knapp zwei Jahre nach einer traumhaften Hochzeit 1972 mit mehr als 1000 Gästen aus Prominenz und Politik ist er auf die Welt gekommen. Les ist ein Star, ein Popmusiker. Mit den Les Humphries Singers wird er Anfang der Siebzigerjahre bekannt und verkauft bis 1976 mehr als 48 Millionen Tonträger. Die Gruppe mischt die Charts auf mit Hits wie „Mama Loo“ und „Mexico“. Sie sind in so ziemlich jeder internationalen Unterhaltungs- und Musikfernsehsendung zu sehen. Einen Samstagabend im deutschen Fernsehen ohne Musik von den Les Humphries Singers gibt es eigentlich nicht. Entweder treten sie selbst auf oder die von ihnen gespielte Titelmelodie der Krimiserie Derrick dudelt aus dem Fernseher. Les hat sie komponiert.

Ich gelte in der Musik- und Fernsehwelt mit meinen dunklen Haaren als rassige und etwas geheimnisvolle Schönheit und als diejenige Sängerin und Schauspielerin, die einen der begehrtesten Junggesellen der Siebzigerjahre abbekommen hat. Es ist eine glamouröse Welt, in der wir uns bewegen, eine Welt, über die die Boulevardblätter gerne berichten: Wie wir uns kennengelernt haben, unsere Hochzeit, wie wir umgezogen sind aus der kleinen Wohnung in Eppendorf in die Luxusvilla mit Park am Elbestrand von Blankenese. Und wie wir dort leben. Wir verkörpern die perfekte Familie, schön, reich, berühmt, begehrt, immer strahlend – ein wahr gewordener Traum.

In diesem Traum sitzt Les abends auf dem großen cremefarbenen Sofa, schwenkt Whiskey in einem Glas, lehnt sich zurück und entspannt sich nach einer stressigen Arbeitswoche, die er vor Kameras und auf Bühnen verbracht hat. Danny schlummert in seinem Bettchen. Und ich sitze bei ihm, in diesem kleinen Kinderzimmer, neben der Wickelkommode, auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die Beine angezogen, die Arme um die Knie geschlungen. Die Tür habe ich abgeschlossen. Bis eben hat Les dagegengehämmert und mich aufgefordert herauszukommen. Jetzt ist es still. Les hat sich verzogen. Er ist betrunken, wie an jedem Abend. Immer wieder trinkt er, und an jedem Morgen beteuert er, dass er damit sofort aufhören wird. Dann tut er es doch wieder.

Der Hausarzt hat gesagt, wenn Les trinke, dann solle ich ihn in Ruhe lassen, weil er sonst aggressiv werde. Das tue ich. Aber Les lässt mich nicht in Ruhe. Ich schließe mich ein und warte.

Wenn Les betrunken ist, verliert er jede Kontrolle, und ich kann ihm nichts recht machen. Kleinste Bemerkungen bringen ihn auf die Palme. Wenn ich ihn bitte, das Glas wegzustellen und es gut sein zu lassen, dann erwidert er genervt: „Darf ich bitte austrinken?“ Und dann ist das Glas einen Moment später aufs Neue gefüllt. Ich lerne bald, dass ich dazu besser nichts sage. Denn es bewirkt nichts und bringt mich nur in Gefahr, wie sich eines Abends zeigte.

„Jetzt ist das Glas ja schon wieder voll. Du hast doch gesagt, du willst nur noch austrinken. Warum schenkst du denn jetzt nochmal ein?“, rede ich auf ihn ein, stehe auf und nehme ihm die Whiskeyflasche weg. Les dreht durch. Ehe ich mich versehe, fliegt das schwere Kristallglas, in dem er eben noch den Whiskey schwenkte, in meine Richtung, trifft den Wangenknochen. Die Wucht des Aufpralls ist so groß, dass das Glas in meinem Gesicht zerspringt.

Am nächsten Tag, bei der Fernsehaufzeichnung für Ilja Richters „Disco“, habe ich eine dicke Wange. Sie ist nicht zu übersehen und nicht wegzuschminken. Ich erzähle irgendetwas von Zahnschmerzen. Dann kommt die Wiedergutmachung: Les gibt seiner Assistentin Astrid ein paar Scheine in die Hand, sie soll losgehen und mir als Entschuldigung ein schönes Schmuckstück kaufen. Sie sucht einen Brillantring aus.

Mit der Zeit wird meine Schmuckschatulle immer voller. Les denkt, er kann seine aggressiven Ausfälle, seine Übergriffe, seine Alkoholexzesse und meine Verletzungen mit Schmuck und anderen teuren Geschenken wiedergutmachen. Aber nichts ist gut. Seitdem mir das Glas ins Gesicht geflogen ist, wage ich es auch nicht mehr, ihn zurechtzuweisen. Dennoch reichen die vielen unschönen Szenen für mich nicht, die Ehe wirklich infrage zu stellen und ihn zu verlassen. Ich hoffe immer noch, dass Les sich besinnt, dass er wieder der wird, den ich glaubte, in ihm gefunden zu haben – in den ich mich verliebt hatte.

Les hat, wie er mir erzählt, nie eine richtige Familie gehabt. Ich will, dass wir zusammenbleiben, denn Danny soll nicht ohne Vater aufwachsen.

Trennung, das war in den Siebzigerjahren anders als heute. Bei einer Scheidung wurde damals ein Schuldiger bestimmt. Und ich stellte mir die Frage, wie es als alleinerziehende Mutter wäre. Über sie wurde in der Gesellschaft die Nase gerümpft. Es gab sie quasi nicht, und auch keine weitreichenden Regelungen für sie. Es ist die Zeit, in der Frauen von ihren Männern noch eine Erlaubnis brauchen, wenn sie einer Arbeit nachgehen wollen. Und Männer können über ihre Frauen bestimmen, können für sie bei ihrem Arbeitgeber kündigen, ohne sie zu fragen – so steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch. Erst im Jahr 1977 wird dieses Gesetz abgeschafft. Nein, Frauen bleiben bei ihren Männern, so ist das eben, so ist es vorgesehen. Außerdem: Die paar Missstimmungen könne man doch aushalten, erst recht dann, wenn man dank des Mannes so ein luxuriöses Leben führen kann wie ich. Menschen, die ich um Rat frage, die ich in meine Überlegungen einbeziehe, Les vielleicht doch verlassen zu wollen, reagieren mit Unverständnis.

Eines Abends rufe ich den Konzertveranstalter Fritz Rau an, der mich nach Deutschland geholt hat, und teile meine Enttäuschung mit ihm: „Ich habe immer mehr den Eindruck, dass die Riesenhochzeit nur ein Spektakel für die Presse war. Alles ist eine große Inszenierung“, erzähle ich ihm.

„Les nimmt Danny seit einiger Zeit nur noch für Pressefotos auf den Arm. Ansonsten interessiert er sich anscheinend nicht für ihn – und auch nicht für mich. Es ist alles eine große Show, es ist unerträglich. Ich habe Angst, wenn Les abends nach Hause kommt, ich habe Angst um mich, und noch mehr um das Kind“, klage ich. Aber Fritz Rau versucht, mich zu beschwichtigen und zu beruhigen. Was würde die Presse aus unserer Trennung machen? Er ist nicht der Einzige, der mir zuredet zu bleiben: „Ach, Mädchen, es wird schon nicht so schlimm sein.“ Dass Männern gegenüber ihren Ehefrauen mal die Hand ausrutsche, das sei doch normal, erklärt er mir. Ich verstehe das nicht. Man schlägt weder die Frauen noch die Kinder.

Aber Fritz sieht das anders. Dass Stars Affären mit ihren Groupies haben, das sei schließlich auch normal. Les sagt zwar immer, er mache sich nichts aus Groupies, aber ich weiß es besser. Woher ich das weiß? Die Singers aus seiner Band erzählen es mir. Groupies geben den Portiers in den Hotels ein paar Mark, damit sie sie in die Zimmer der Stars lassen. Und wenn diese dann aufs Zimmer kommen, liegen die jungen Mädchen schon nackt bereit.

Ich bekomme Anrufe und Briefe von fremden Frauen: „Glaub nicht, dass dein Mann dir treu ist. Ich habe eben mit ihm geschlafen.“ Und das Armband mit der Namensgravur „Barbara“ auf Les’ Nachtisch, das habe angeblich sein Pressechef dort vergessen, erklärt Les, nachdem ich es gefunden habe. Der Pressechef … hat etwas neben unserem Ehebett liegengelassen … auf dem Nachtisch von Les, mit Barbara … Natürlich.

Aber ich hoffe immer noch, dass alles wieder gut wird. So wird meine größte Aufgabe, meinen Sohn Danny zu beschützen.

Manchmal hämmert und schreit Les so lange an die Tür, bis ich öffne. Heute Abend ist er überhaupt nicht mehr zu beruhigen. Er ist zurückgekommen und er lässt nicht von mir ab: „Dunja, mach die Scheißtür auf!“, brüllt er und rüttelt an der Klinke. Ich fürchte, er wird nicht aufhören, vor der Tür zu toben, bis ich rauskomme. Immer noch sitze ich auf dem Teppichboden, halte mir die Ohren zu. Danny ist in seinem Bettchen wach geworden und weint. Er ist erst zwei Jahre alt. Ich stehe auf, gehe zu ihm, streiche ihm über die Wange, auf der eine kleine Träne entlanggelaufen ist. Danny verstummt, er blickt mich aus seinen Kulleraugen an, und sein Gesicht hellt sich sofort auf. Er strampelt die Decke ein wenig weg und rudert mit den Armen. Les poltert erneut gegen die Tür. „Mach auf“, schreit er. „Ach, du kleiner Junge, hast ja keine Ahnung – schlaf“, sage ich leise, gehe zur Tür, drehe den Schlüssel herum und drücke die Klinke herunter.

Les steht vor mir, wutschnaubend. Er schimpft irgendetwas Unverständliches, geht zum Kinderbettchen, beugt sich hinab und greift nach Danny. „Lass den Jungen, lass ihn schlafen!“, sage ich, aber das interessiert Les nicht. Nicht, dass ich denke, dass er Danny etwas tun wird, aber der Kleine soll schlafen. Mein Mann nimmt Danny dennoch auf den Arm und wankt an mir vorbei in Richtung Küche. Ich habe keine Ahnung, was Les mit dem Baby dort will. Vermutlich weiß er es selbst nicht. Ich gehe schnell hinterher, will den nächsten Moment abpassen, um ihm das Kind abzunehmen und es zurück ins Bett zu bringen.

Les schwankt, und es beginnt einer der längsten, ohnmächtigsten und schrecklichsten Momente in meinem Leben. Ich sehe, wie mein betrunkener Mann stolpert, wie er mit den Händen nach links und rechts greift, um sich abzufangen. Das Bündel, eben noch in seinem Arm, hängt für einen Augenblick förmlich in der Luft. Ich sehe, wie Danny fällt,...