Lea und die Pferde - Das Glück der Erde - Band 1

von: Sarah Lark

Baumhaus, 2019

ISBN: 9783732574124 , 160 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Lea und die Pferde - Das Glück der Erde - Band 1


 

Die Chance meines Lebens


Es geschah aus heiterem Himmel. Oder eigentlich doch nicht. Wenn ich richtig darüber nachdenke, gab es von Anfang an Warnsignale. Ich hatte sie nur ignoriert. Als Dreijährige zum Beispiel wünschte ich mir ein Bobbycar. Was aber kaufte meine Mutter? Ein Schaukelpferd. Und während die anderen Kinder in schnittigen roten oder blauen Kleinwagen herumflitzten, musste ich sehen, wie ich dieses sperrige Teil irgendwie vorwärtskriegte. Die Schleifspuren auf dem Parkett in unserem Wohnzimmer sind bis heute zu besichtigen.

Später bekam ich dann ein Barbiepferd und eine ganze Anzahl seltsamer Gummimonster mit pinken und hellblauen Locken, die unter der Bezeichnung »Mein süßes Pony« zum Kämmen, Föhnen und Einlegen der »Mähne« einladen sollten. Leider zeigte ich keine Friseurambitionen, und als ich dem ersten die Haare einfach abschnitt, endete diese Episode. Nicht aber die unauffällige Manipulation Richtung Pferd. Als ich mich für Dinosaurier interessierte, erhielt ich ein Buch über frühe Säugetiere: »Guck mal, und das war das Urpferdchen! War das nicht süß?«

Wie gesagt, ich hätte gewarnt sein sollen. Aber im entscheidenden Augenblick gelang es meiner Mom dann doch, mich vollständig zu überraschen. Es war an einem Montagabend, und ich schaute harmlos ein bisschen fern, als sie hereinkam und beiläufig eine Zeitung auf den Tisch legte.

»Interessiert dich das?«, fragte sie und wies auf die Quizsendung im Fernsehen.

Ich zuckte die Achseln. Natürlich konnte ich mir Prickelnderes vorstellen. Zum Beispiel eine ausführliche Reportage über meine Lieblingsband: »Tierpension«. Nicht dass ich deren Entwicklung von der musikalischen Früherziehung bis zur Bambi-Verleihung nicht schon in jeder Einzelheit kannte. Aber ich konnte ihnen nicht nur stundenlang zuhören, sondern sie auch endlos ansehen. Vor allem Nico Chico, den Leadsänger … und Bombo, den Drummer … Aber ich schweife ab. Wenn ich jetzt anfange, von »Tierpension« zu schwärmen, bin ich morgen früh noch nicht beim Thema Pferd. Doch an diesem Montag hoffte ich auf Nico Chicos Auftritt in der Show – und tat mir deshalb auch die schwachsinnigen Quizteile an.

Jedenfalls protestierte ich nicht, als Mom jetzt entschlossen den Ton abdrehte. »Ich mache mir manchmal ein bisschen Sorgen um dich …«, verfiel sie plötzlich in einen ernsthaften Tonfall.

Das war mir bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht aufgefallen. Eigentlich bin ich kein Problemkind. Ich habe halbwegs gute Noten und spiele brav ein bisschen Klavier oder lieber Keyboard – schließlich will ich mich ja über irgendwas mit Nico unterhalten können, falls ich ihn mal treffe. Ich habe Freunde, Hobbys, eigentlich bin ich völlig normal.

»Dieses dauernde Herumhängen vor der Glotze zum Beispiel«, führte meine Mutter aus. »Das ist nicht gesund.«

Ich sah verwirrt auf die Uhr. »Was soll ich denn sonst machen?«, erkundigte ich mich. »Es ist halb zehn. In einer halben Stunde schickst du mich ins Bett.«

»Ich meine ja nicht jetzt«, schränkte Mom ein. »Sondern ganz allgemein. Außerdem: Findest du nicht, dass wir beide in der letzten Zeit ein bisschen wenig zusammen unternehmen?«

Ich runzelte die Stirn. Am Samstag waren wir mit der ganzen Familie im Kino gewesen. So ein witziger Film mit Computeranimation. Hatte sogar meinem kleinen Bruder gefallen. Und gestern hatten Mom und ich gemeinsam gekocht. Noch mehr Familie an einem Wochenende hätte ich echt ungesund gefunden!

»Weißt du, was ich denke?«, fragte Mom betont fröhlich. »Wir beide brauchen ein Hobby!«

»Haben wir doch«, bemerkte ich und drehte den Ton lauter. Vielleicht kam jetzt ja »Tierpension«. »Kochen zum Beispiel.«

Meine Mutter und ich kochen regelmäßig gemeinsam. Nicht einfach so »Spiegelei vorwärts und rückwärts«, sondern richtig anspruchsvoll.

»Gerade die Kocherei …«, meine Mutter spielte mit der Zeitung, »… beunruhigt mich. Findest du nicht, dass wir in der letzten Zeit ein bisschen … äh … dick werden?«

Jetzt drehte sie völlig durch. Meine Mutter ist dünn wie eine Bohnenstange, sie hat früher sogar mal als Model gearbeitet. Und was mich angeht: Ich würde mir fast ein paar Rundungen mehr wünschen. Im Brustbereich zum Beispiel. Da ist bei mir Flachland.

»Jedenfalls dachte ich an einen Sport!«, preschte Mom jetzt vor. »Hier, was hältst du davon?«

Begeisterung heischend hielt sie mir die Zeitung hin.

»Sie träumen von Pferden? Sie wollten immer schon Reiten lernen, aber es bot sich einfach keine Möglichkeit? Und jetzt fragt Ihre Tochter nach Reitstunden? Ergreifen Sie Ihre Chance! Unser ›Mutter-Tochter-Arrangement‹ bietet den idealen Einstieg in den Reitsport. Reiterverein Wienberg, Hohenrehburg, Am Wäldchen.«

Den Reitstall kannte ich. Ein paar Mädchen aus meiner Klasse verbrachten da ihre ganze Freizeit, um sich von Pferden im Kreis herumtragen zu lassen und im Mist zu wühlen. Aber mich zog es ehrlich gesagt nie in die Nähe von Tieren, die größer waren als ein Dackel.

»Hab ich nach Reitstunden gefragt?«, erkundigte ich mich misstrauisch.

Man liest ja schon mal von »multiplen Persönlichkeiten«. Vielleicht bin auch ich ein wenig gespalten? Oder sollte ich schlafwandeln?

»Ach komm, Lea, alle Mädchen lieben Pferde!«

»Ich liebe Nico Chico«, erklärte ich mit verklärtem Lächeln.

»Tierpension« erschien eben auf der Mattscheibe, und Nico begann mit seinem Song »Engelshaar«. Darin schwärmte er von einem Mädchen mit langem, weichem, lockigem Blondhaar. Meins war leider kurz, dunkelrotbraun und struppig. Aber es war ja nur ein Lied. Sicher hatte ihm irgendjemand anders den Text aufgedrückt, und in Wirklichkeit träumte er von einem Mädchen mit rundem Gesicht und Pickeln, ohne Busen, dafür mit Spargelbeinen. Gut, das war unwahrscheinlich. Aber er war ein ernsthafter Junge. Und ich hatte innere Werte.

»Das ist keine Liebe, das ist Schwärmerei!«, entschied meine Mutter, während Nico Chico über die Bühne tobte.

Zwischendurch zeigten sie Bombo in Großaufnahme – was hatte er da für ein süßes Tattoo über der rechten Augenbraue! War das ein Einhorn? Und bei Nico Chico galoppierte es über die Nasenwurzel. Cool! Aber bestimmt nicht eintätowiert, sondern aufgeklebt. Ob es die Dinger wohl irgendwo zu kaufen gab?

»Ein Pferdetattoo!«, bemerkte meine Mutter. »Niedlich!«

Ich warf ihr einen skeptischen Blick zu. Bisher gehörte der Gedanke, ich könnte mich tätowieren lassen, eher zu ihren Albträumen.

»Du, wenn es die Dinger irgendwo zu kaufen gibt, kleben wir uns vor der ersten Reitstunde beide eins an!«

So langsam fand ich die Sache bedenklich.

»Du meinst das ernst?«, erkundigte ich mich, als sich »Tierpension« unter dem Gekreische der beneidenswerten Mädchen im Fernsehstudio zurückzog und der Quizmaster wieder den Bildschirm übernahm. »Du willst wirklich reiten?«

Mami nickte.

»Warum machst du’s dann nicht einfach?«, fragte ich. »Ich meine … wozu brauchst du mich dafür?«

Meine Mutter kaute auf ihrer Unterlippe herum. So verlegen hatte ich sie selten erlebt. Dies war wirklich ein Abend der Überraschungen.

»Na ja, weil … es sieht doch ein bisschen komisch aus … in meinem Alter in der Reitschule … die anderen Anfänger sind schließlich alle höchstens dreizehn …«

Die meisten waren noch jünger. Die Pferdeverrückten in meiner Klasse waren durchweg bereits seit zwei oder drei Jahren dabei und gänzlich abgedreht. Die wachten mit dem Gedanken an Pferde auf und gingen damit schlafen – und statt einem Poster von Nico Chico hingen irgendwelche Bilder von wilden Hengsten über ihren Betten.

»Gibt’s nicht so was wie Seniorenreitstunden?«, überlegte ich – und trat damit voll ins Fettnäpfchen. Meine Mutter blitzte mich empört an.

»Soooo alt bin ich nun auch wieder nicht. Im Grunde ist es genau wie in der Anzeige beschrieben … ich habe immer von Pferden geträumt, und nun …«

»Nun hast du eine Tochter, der die Viecher herzlich egal sind. Mein Beileid. Vielleicht kannst du mich ja noch umtauschen.«

Ich war jetzt auch etwas knatschig. »Jedenfalls setze ich mich garantiert nicht deinetwegen auf so ein lebensgefährliches Tier. Ich habe Höhenangst, ich brauche Bodenhaftung.«

Von meiner Seite aus war die Sache damit erledigt. Aber meine Mutter lächelte sadistisch. »Wetten, dass du gleich anders darüber denkst«, bemerkte sie mit einem Gesicht wie unsere Katze, wenn sich der Dosenöffner in die Whiskasdose gräbt. »Schließlich bist du doch … äh … ›tierlieb‹. Und die hier kann ich durchaus noch umtauschen.«

Theatralisch zog sie zwei Konzertkarten aus der Hosentasche. Mir fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. »Tierpension«! Nächste Woche in Düsseldorf.

»Und das ist nicht alles«, fügte Mom hinzu. »Ich hab mit der Konzertveranstalterin gesprochen. Dein Nico Chico empfängt ein paar Mädchen backstage. Die Siegerinnen von so einem Preisausschreiben. Zwei mehr würden da gar nicht auffallen …«

Meine Mutter arbeitet in einem Reisebüro, das auch Konzertkarten vertreibt. Wahrscheinlich hatte sie die kostbaren Tickets umsonst oder doch stark verbilligt bekommen. Und jetzt nutzte sie das, um mich zu erpressen. Sie hat einen schlechten Charakter.

Ich besann mich ebenfalls auf fragwürdige Erbanlagen und begann zu handeln. »Also gut. Wie...