London Sins - The Promise

von: Rhyannon Byrd

LYX, 2019

ISBN: 9783736310636 , 214 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,99 EUR

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London Sins - The Promise


 

ERSTES KAPITEL


Donnerstagnachmittag


EMMY

Warum ist das so, dass wir uns im Leben immer nach den Dingen verzehren, die wir nicht haben können? Nach den Dingen, die uns zerstören könnten? Die das Zeug dazu haben, uns zu ruinieren? Uns in Stücke zu zerreißen und in etwas zu verwandeln, das wir selbst nicht mehr wiedererkennen können? Warum muss die menschliche Natur so verdammt destruktiv sein?

Das sind die Gedanken, die mir in dem Moment, in dem ich ihn zum ersten Mal sehe, durch den Kopf schießen. Ich weiß nicht, wie er heißt. Er ist nichts weiter als ein ausgesprochen attraktiver Fremder in einem tadellos sitzenden, teuer aussehenden grauen Anzug, der in dem stickigen und muffig stinkenden Wagen der Londoner Underground, in dem auch ich unterwegs bin, völlig deplatziert wirkt. Ein Unbekannter, der die Verkörperung all dessen ist, wovon mein Unterbewusstsein in der bleiernen Stille der Nacht sehnsüchtig fantasiert, was ich im hellen Licht des Tages aber immer weit von mir weisen würde. Ich meide diesen Typ von Mann aus so vielen Gründen, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Einer davon und der noch am wenigsten ausschlaggebende ist meine geringe Toleranz für Egoismus und diese Ich- habe-einen-großen-Schwanz-und-Geld,-also-bin-ich-ein- Gott-Scheiße, die Männer wie er so wahnsinnig gut abziehen können.

Trotzdem ist mir nicht verboten, hinzuschauen und mich an dem Anblick zu erfreuen.

Ich sitze auf einem der schmuddeligen Sitze im rechten Teil des Wagens, und er steht keine anderthalb Meter von mir entfernt und hält sich an dem metallenen Handlauf fest, der unter der Decke installiert ist. Ich weiß, dass er mich beobachtet, denn er spiegelt sich im Fenster, und ich tue nur so, als würde ich den Liebesroman lesen, den ich mir auf meinen E-Book-Reader geladen habe. Ich stelle mir vor, wie er aussehen würde, wenn er all diese teuren Seidenhüllen fallen ließe, und spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt, was lächerlich ist. Ich bin schließlich keine Jungfrau wider Willen, die an nichts anderes denken kann als an Sex. Das bin ich schon nicht mehr, seit ich in meinem ersten Jahr im College mit meinem damaligen Freund geschlafen habe. Mit einem Mann wie ihm habe ich allerdings keine sexuellen Erfahrungen. Um verführerische Alphamänner mache ich nämlich einen großen Bogen; wie attraktiv sie sind, spielt da überhaupt keine Rolle. Ich bin ohnehin nicht ihr Typ. Da ich nicht gerade groß bin und eine eher kurvige Figur, honigblonde Locken und Grübchen habe, sehe ich weder aus wie ein Betthäschen noch wie eine High-Society-Lady. Was mir die Möglichkeit gibt, meine Zeit mit guten Freunden zu verbringen und mich auf meine beginnende Karriere in der Kunstwelt zu konzentrieren.

Es ist aber noch nie ein Mädchen daran gestorben, ein bisschen fantasiert zu haben. Und er wäre eine erstklassige Fantasie für ein mitternächtliches Intermezzo mit meinem batteriebetriebenen Freund. Also nutze ich die kurze Zeit, die mir noch bis zum Aussteigen bleibt, um ihn so eingehend wie möglich zu beobachten.

Das Jackett, das sich über seinen breiten Schultern spannt, hat ohne jeden Zweifel mehr gekostet als die Miete, die ich zu Hause in San Diego jeden Monat für mein winziges Apartment zahle. Es ist aus einem mit hellen Nadelstreifen durchzogenen anthrazitfarbenen Stoff und wurde eindeutig für seine groß gewachsene und muskulöse Statur maßgeschneidert. Ich kann diese Muskeln, die sich unter dem Jackett verbergen, zwar nicht sehen, weiß aber aufgrund dessen, wie er das Teil ausfüllt, dass sie da sind. Es bereitet mir größtes Vergnügen, mir Mr Teufelskerl Spitzenunternehmer dürftig bekleidet vorzustellen, mit nichts weiter am Leib als hauchdünnen Sportshorts, und mir vor meinem geistigen Auge auszumalen, wie dieser große Körper vom Schweiß glänzt, und seine Muskeln sich beim Trainieren unter der glatten Haut wölben. Diese Haut hat im Gegensatz zu der Haut der meisten Briten einen eher olivfarbenen Ton, was vermutlich bedeutet, dass eine seiner Ahnen eine traumschöne italienische oder spanische Gräfin war – es sei denn, er ist überhaupt nicht von hier und in Wahrheit genau wie ich Ausländer.

Doch ganz egal, woher er stammt, eines ist klar: Diese intelligenten blauen Augen in Verbindung mit seiner Hautfarbe haben eine frappierende Wirkung, und die Götter waren offenbar in Geberlaune, als sie dieses Gesicht modelliert haben. Die markante, gerade Nase. Den breiten, entschlossen wirkenden Mund. Die geraden, dunklen Augenbrauen und das pechschwarze Haar, das von Natur aus diesen wuscheligen Look hat, der so unverschämt sexy aussieht. Oh ja, dieser Typ wird bei meinen künftigen Fantasien mit hundertprozentiger Sicherheit eine Zeit lang die Hauptrolle spielen.

Da mir plötzlich warm wird, fange ich an, auf meinem Sitz hin und her zu rutschen. Ich greife in mein langes Haar und drehe es zu einem Zopf, den ich über meine Schulter lege, um es von meinem Rücken und Nacken wegzubekommen. Er beobachtet mich immer noch, was ungefähr genauso verwirrend ist wie die Tatsache, dass ein Mann wie er überhaupt die Londoner Underground benutzt. Im Allgemeinen verfüge ich über eine gute Menschenkenntnis, und »unheimlich« wird mir bei seinem Anblick auch nicht zumute. Ich bekomme nicht dieses Gefühl, das mich veranlassen würde, einem Mann großräumig aus dem Weg zu gehen und zuzusehen, dass noch andere Menschen um mich herum sind für den Fall, dass er sich als Irrer erweist. Wenn man als alleinstehende Frau in einer Großstadt lebt, muss man sich entscheiden: Entweder man verfeinert sein Gespür für solche Situationen oder aber man geht das Risiko ein, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein. Mr Sexy und Umwerfend lässt mich indes nicht ausflippen. Zumindest nicht vor Panik. Mir behagt allerdings überhaupt nicht, wie mein Körper auf ihn reagiert – wie mein Puls hämmert und wie sich dieser Schimmer auf meine Haut legt, der rein gar nichts mit der schwülen Sommerhitze zu tun hat, denn ich weiß, dass das zu nichts führt. Ich bin nicht sein Typ.

Ich lege die Stirn in Falten, weil mir dieser letzte Gedanke immer wieder wie ein Echo durch den Kopf schallt, und ich frage mich, warum ich mich wiederhole. Das ist so gar nicht meine Art. Und obwohl ich mich daran erfreue, mir dieses so besondere Exemplar von einem Mann anzuschauen, bin ich jetzt bereit, mental etwas Distanz zwischen uns zu schaffen, damit ich mein inneres Gleichgewicht zurückerlange.

Eine schroff klingende Stimme dröhnt aus den Lautsprechern und eröffnet uns, der nächste Halt sei Canada Water, sodass wir nicht mehr weit von der Station Canary Wharf entfernt sind. Dort werde ich aussteigen, um mich mit Lola zu treffen, einer meiner Londoner Freundinnen, die genau wie ich Kunstliebhaberin ist. Lola und ich haben uns vor vier Jahren kennengelernt, als ich im Rahmen eines Auslands-Studienprogramms meiner Universität ein Semester in London studierte. Wir waren Zimmergenossinnen und haben uns auf Anhieb gut verstanden. Und dank FaceTime konnten wir unsere Beziehung über die Jahre aufrechterhalten. Sie wird mich im kommenden Sommer sogar in San Diego besuchen, und wir haben vor, dann den Pacific Coast Highway hinaufzufahren und eine Woche in San Francisco zu verbringen.

Trotz ihres abgeschlossenen Kunstgeschichtsstudiums arbeitet Lola als Empfangsdame in einem der protzigen Bürowolkenkratzer der Canary Wharf. In der Eingangshalle gibt es eine Starbucks-Filiale, und in der treffe ich mich mit ihr während ihrer Mittagspause auf einen Kaffee.

Wir fahren in die Station Canada Water ein, und als die Stimme sich neuerlich über die Lautsprecheranlage zu Wort meldet, um uns mitzuteilen, dass es zu einer zweiten Verspätung gekommen ist, ziehe ich mein Handy aus meiner Handtasche und logge mich ins Wi-Fi ein, damit ich Lola eine SMS schicken und sie vorwarnen kann, dass ich mich verspäten werde. Doch genau in dem Moment, in dem mein Handy die Verbindung herstellt, schallt mit ohrenbetäubender Lautstärke »Go With The Flow« von Queens of the Stone Age aus meinem Handy, und ich taste hastig nach dem Lautstärkeregler und geniere mich, weil ich vergessen hatte, den Ton leiser zu stellen.

»Hey«, murmle ich, da ich nach einem kurzen Blick auf den Bildschirm weiß, dass Lola am anderen Ende der Leitung ist. »Es gab während der Fahrt ein paar Verspätungen, deshalb wird es noch so etwa eine Viertelstunde dauern, bis ich ankomme.«

Die Aufmerksamkeit, die Mr S & U (Sexy und Umwerfend ist zu lang, selbst um es nur zu denken) mir schenkt, ist so gewaltig, dass ich sie wie eine körperliche Berührung spüren kann, und jetzt lauscht er jedem Wort, das ich von mir gebe. Falls er bisher noch nicht bemerkt hatte, dass ich Amerikanerin bin – obwohl ich nicht weiß, wie ihm das vom puren Ansehen hätte aufgehen sollen –, weiß er es jetzt. Man kann das Mädchen aus Georgia verpflanzen, schafft es aber nicht, Georgia aus dem Mädchen herauszubekommen. Ich habe zwar die letzten sechs Jahre meines Lebens eine Schule in Kalifornien besucht, spreche aber immer noch den Dialekt der Südstaatler, mit dem ich aufgewachsen bin, einen Dialekt, in dem die Vokale so gedehnt werden, dass sie sich anhören, als habe man sie mit Melasse überzogen.

»Mach dir deswegen keinen Kopf«, meint Lola. »Irgendjemand hat sich krankgemeldet, sodass ich eh erst in zwanzig Minuten von meinem Schreibtisch weg kann. Hast du die Notizen dabei, die ich mir anschauen soll?«

»Ja, die Notizen habe ich alle dabei. Der Harrison Trust hat mein Gesuch aber wieder abgelehnt.« J. J. Harrison ist ein...