Blind Date - Roman

von: Joy Fielding

Goldmann, 2019

ISBN: 9783641190590 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Blind Date - Roman


 

KAPITEL 1


»Erzähl mir von dir«, sagt er und lächelt. Ein freundliches Lächeln, wie er hofft, weder zu breit noch zu schmal, sondern eins, das auf den trockenen, vielleicht sogar unkonventionellen Humor hindeutet, der ihr seiner Meinung nach gefallen würde. Er möchte sie mit seinem Charme bezaubern. Er möchte, dass sie ihn mag.

Die junge Frau, die ihm an dem makellos gedeckten Tisch gegenübersitzt, zögert. Als sie spricht, ist ihre Stimme bebend und leise. »Was möchtest du wissen?«

Sie ist schön: Ende zwanzig, eine Haut wie Porzellan, dunkelblaue Augen, langes braunes Haar und ein Dekolletee, das gerade genug vom Ansatz ihrer schönen Brüste sehen lässt. Genau wie angepriesen, was keineswegs immer der Fall ist. Normalerweise posten sie Fotos, die schon ein paar Jahre alt sind, und die Frauen selbst sind noch älter. »Nun, zunächst einmal wieso eine Dating-App? Ich meine, du bist hinreißend. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du Probleme hast, Männer zu treffen, schon gar nicht in Boston.«

Sie zögert erneut. Sie ist schüchtern, nicht selbstbezogen, sondern aufmerksam. Das gefällt ihm auch. »Ich dachte, es wäre ein Spaß«, sagt sie. »Alle meine Freundinnen ­machen es. Und ich war für eine Weile raus aus der Dating-Szene …«

»Du hattest einen Freund.«

Sie nickt. »Wir haben uns vor vier Monaten getrennt.«

»Hast du dich von ihm getrennt?«

»Nein, ehrlich gesagt. Er hat mich verlassen.«

Er lacht. »Das finde ich schwer zu glauben.«

»Er hat gesagt, er sei noch nicht bereit, sich zu binden«, fährt sie unaufgefordert fort. In ihren Augen stehen Tränen. Ein, zwei lösen sich und bleiben an ihren Wimpern hängen.

Instinktiv streckt er die Hand aus, um sie abzuwischen, sorgfältig darauf bedacht, ihre Mascara nicht zu verschmieren. »Du vermisst ihn«, sagt er.

»Nein«, erwidert sie hastig. »Eigentlich nicht. Nur manchmal ist es schwer. Ich glaube, ich vermisse es mehr, als Paar unterwegs zu sein, unsere Freunde …«

»Wart ihr lange zusammen?«

»Etwas mehr als ein Jahr. Und du?«

Er lächelt. Sie gibt sich Mühe, denkt er. Obwohl er spürt, dass sie nicht mit dem Herzen bei der Sache ist. Aber ­manche Frauen kommen gar nicht darauf zu fragen. »Ich? Nein. Es ist schon eine Weile her, dass ich in einer ernsthaften Beziehung war. Aber wir sprachen von dir.«

Sie blickt auf ihren Teller. Sie hat ihr Essen nicht angerührt, dabei hat er es stundenlang zubereitet, hat die teuren Steaks den ganzen Nachmittag mariniert, den Salat aus Feta und Melonen kunstvoll auf Porzellangeschirr mit Blumenmuster arrangiert, denn er wollte sie beeindrucken. Vielleicht ist sie Vegetarierin, denkt er, obwohl nichts auf ihrem Profil darauf hingedeutet hat.

Er hätte fragen sollen, als er das Essen vorgeschlagen hat. »Erzähl mir von deiner Kindheit.«

Sie wirkt überrascht. »Von meiner Kindheit?«

»Ich nehme an, du hattest eine.« Wieder das nette Lächeln, das größere Tiefe andeutet.

»Die war ziemlich gewöhnlich. Da gibt es nicht viel zu erzählen.«

»Ich vermute, du stammst aus der gehobenen Mittelschicht«, sagt er, in der Hoffnung, ein Gespräch in Gang zu bringen.

»Eigentlich nicht. Na ja, vielleicht am Anfang«, räumt sie zögernd ein. »Bis ich sechs war und meine Eltern sich haben scheiden lassen. Danach wurde alles anders.«

»Inwiefern?«

»Wir mussten umziehen. Meine Mom musste wieder arbeiten. Mein Dad hat noch mal geheiratet, eine Frau, die wir nicht mochten, deshalb wurden wir ständig hin und her verfrachtet.«

»Wir?«

»Meine Brüder und ich.«

»Ich mag deine Art, dich auszudrücken«, unterbricht er sie. »Die meisten Menschen haben schon Mühe, einen korrekten Hauptsatz zu bilden, von Kausalsätzen mit korrekten Konjunktionen ganz zu schweigen.« Er zuckt mit den Schultern, als er ihr wachsendes Unbehagen spürt. Nicht jeder teilt sein Interesse an Grammatik. »Wie viele Brüder hast du?«, steuert er die Unterhaltung zurück auf sicheren Boden.

»Zwei. Einer ist in New York. Der andere in L.A

»Und deine Mom? Wo lebt die?«

»Hier in Boston?«

»Weiß sie, wo du heute Abend bist? Nun, wie könnte sie?«, beantwortet er seine eigene Frage mit einer weiteren. »Sie würde es bestimmt nicht gutheißen, dass du dich auf ein Abendessen in der Wohnung eines fremden Mannes eingelassen hast, oder? Bist du immer so abenteuerlustig?« Er legt den Kopf zur Seite, eine Geste, die andere in der Vergangenheit charmant gefunden haben, und wartet auf ihre Antwort.

Wieder zögert sie. »Nein.«

»Sollte ich mich geschmeichelt fühlen? Denn ich fühle mich irgendwie geschmeichelt, muss ich zugeben.«

Sie wird rot, ob aus Verlegenheit oder in Erwartung, kann er nicht sagen.

»Ist es, weil ich so gut aussehe?« Er sagt es spielerisch, begleitet von einem weiteren Lächeln, seinem bislang nettesten, und obwohl sie nicht antwortet, weiß er, dass er recht hat. Er sieht so was von gut aus. (»Hübscher Junge«, hat sein Vater immer höhnisch gesagt.) Viel attraktiver als das Bild, das er auf der Dating-Seite gepostet hat, denn das ist in Wahrheit gar kein Bild von ihm, sondern von irgendeinem Model mit nacktem Oberkörper, Waschbrettbauch und gewöhnlichen Gesichtszügen, das er in der Men’s Health gefunden hat.

So attraktiv, dass eine Frau die nagende Stimme in ihrem Kopf, die sie zur Vorsicht mahnt, zum Schweigen bringt und ihm aus der vollen Bar, in der sie verabredet waren, in seine Wohnung in der Nähe von Sargent’s Wharf folgt, wo er ihr ein Gourmetessen versprochen hat.

»Du isst ja gar nichts«, sagt er. »Ist das Steak zu blutig?«

»Nein, ich kann bloß nicht …«

»Bitte. Du musst es wenigstens probieren.« Er schneidet auf seinem Teller ein Stück Fleisch ab, spießt es auf die Gabel und führt sie über den Tisch zu ihrem Mund. »Bitte«, sagt er noch einmal, als Blut von dem Steak auf das weiße Tischtuch tropft.

Sie öffnet den Mund, um das fast rohe Stück Fleisch entgegenzunehmen.

»Vorsichtig kauen«, ermahnt er sie. »Nicht dass du würgen musst.«

»Bitte …«, sagt sie, als das Handy in seiner Tasche zu klingeln beginnt.

»Warte. Nur einen Moment.« Er zieht das flache Telefon heraus, wischt von links nach rechts über das Display und hält das Gerät ans Ohr. »Hallo, hallo«, sagt er und senkt verführerisch die Stimme; seine Lippen streifen das Display. Endlich, denkt er.

»Hi«, antwortet die Frau am anderen Ende. »Ist da … Mr Right Now?« Sie kichert, er lacht. Mr Right Now ist der Name, unter dem er auf den zahlreichen Dating-Portalen firmiert, die er abonniert hat.

»Ja. Ist dort … Wildflower?«

»Ja«, sagt sie mehr als einen Hauch verlegen und offenbar weniger entspannt mit Pseudonymen als er.

»Nun, Wildflower«, sagt er. »Ich bin so froh, dass du anrufst.« Er wartet schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf diesen Moment.

»Bist du immer noch in Florida?«, fragt sie. »Passt es gerade nicht?«

»Doch. Perfekt. Ich bin gerade vor einer Stunde zurückgekommen.«

»Wie geht es deiner Mutter?«

»Viel besser. Nett, dass du fragst. Wie geht es dir?«

»Mir? Gut.« Sie zögert. »Ich habe gedacht, dass du vielleicht recht hast und wir einen neuen Anlauf starten sollten.«

»Kein Vielleicht«, sagt er, weil er sie unbedingt festnageln will. »Jedenfalls meinerseits nicht. Wie wär’s mit Mittwoch?«

»Mittwoch ist gut.«

»Super. Kennst du Anthony’s Bar in der Boylston Street? Ich weiß, dort ist es meistens sehr voll und manchmal auch ziemlich laut, aber …«

»Anthony’s ist super«, sagt sie wie erwartet. Frauen verabreden sich bevorzugt in vollen lauten Bars.

Er lächelt die Frau an, die ihm am Tisch gegenübersitzt, und bemerkt, dass ihre Tränen jetzt ungehemmt fließen. Er sieht auf die Uhr und macht diesmal keine Anstalten, die Tränen wegzuwischen. In Anthony’s Bar hat er vor nicht einmal zwei Stunden auch sie getroffen. Er ist grob und unsensibel.

»Sagen wir um sechs?«, fragt er ins Telefon.

»Sechs ist gut.«

»Und keine Absagen in letzter Minute mehr?«

»Ich werde um Punkt sechs Uhr dort sein.«

»Nein!«, ruft seine Essensbegleiterin plötzlich. »Nicht …«

Er ist sofort auf den Beinen, holt aus und schlägt ihr mit der flachen Hand hart ins Gesicht. So heftig, dass der Stuhl, an den sie gefesselt ist, die Hände mit Handschellen hinter dem Rücken fixiert, auf zwei Beinen kippelt und umzufallen droht, wodurch die Schlinge um ihren Hals sich enger zuzuziehen droht. Er beobachtet, wie sie panisch nach Luft schnappt. Wenn sie noch eine Minute hilflos herumstrampelt, wird sie wahrscheinlich ohnmächtig.

Dafür ist er noch nicht bereit. Er ist noch nicht fertig mit ihr.

»Was war das?«, fragt die Frau, die sich Wildflower nennt.

»Was war was?«, fragt er locker zurück, geht um den Tisch, stabilisiert den Stuhl und hält der panischen Frau mit der freien Hand den Mund zu. »Oh. Wahrscheinlich nur der Fernseher. Da kriegt gerade jemand gründlich die Fresse poliert. Entschuldige die Ausdrucksweise.«

Ein kurzes Schweigen. Er kann förmlich spüren, wie Wildflower lächelt.

»Sagst du mir deinen richtigen Namen?«, wagt sie zu fragen.

»Ich sage dir meinen, wenn du mir deinen sagst«, erwidert er flirtend. Eine Lüge. Er sagt keiner der Frauen seinen richtigen Namen. »Obwohl ich gestehen muss, dass...