Mission SOL 1: Das Raumschiffgrab

von: Kai Hirdt

Perry Rhodan digital, 2019

ISBN: 9783845353265 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 1,99 EUR

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Mission SOL 1: Das Raumschiffgrab


 

1.

Sechs Tage früher

22. August 1552 NGZ

 

Mahlia Meyun folgte der Gestalt in der dunklen Kutte. Der Bescheidene Diener Senns hatte seinen Namen nicht genannt, als er sie und Rytanaia abholte, und er hatte nur geflüstert, sodass sie seine Stimme nicht erkannt hatte. Das war nichts Ungewöhnliches – die meisten Novizen des Ordens hielten es so.

Dennoch: Diese finsteren Führer waren unheimlich, insbesondere wenn man diesen Weg zum ersten Mal ging, wie Rytanaia gerade. Mahlia betrachtete die Kranke neben ihr besorgt. Rytanaias Hände zitterten heftig, viel stärker als bei Mahlias ersten Behandlungsversuchen. Entweder hatte die Krankheit sich plötzlich verstärkt, oder sie war eine unheilvolle Verbindung mit der Angst eingegangen.

Der Sternentempel, wie die Bescheidenen Diener das Zentrum ihrer Macht nannten, lag nur noch drei Dutzend Schritte vor ihnen. Sie hatten ihn exakt zur Mittagszeit erreicht. Der Schatten der oberen Talkante teilte den Tempeleingang genau in der Mitte: Die Nordhälfte lag im Dunkeln, die südliche im strahlenden Sonnenschein. Die Trennlinie setzte sich oberhalb des Tors auf der Kuppel fort. Im Süden war der Moosbewuchs stärker als dort, wo das Licht selten oder nie hinkam.

Ein weiterer Diener trat aus dem Tunnel ins Licht. Auch sein Haupt war von einer dunklen Kapuze verborgen. Dennoch war Mahlia recht sicher, wen sie vor sich hatte. Dieser Mann war kleiner und deutlich dicker als ihr Führer. Einen solchen Leibesumfang sah man nicht oft im Tal der Gestrandeten.

»Mahlia«, sagte der Mönch fröhlich, und die Stimme beseitigte den letzten Zweifel: Das war Ukor Mathall. »So schnell hätte ich nicht wieder mit dir gerechnet.«

»Ich hatte Sehnsucht nach dir«, behauptete sie lässig. »Aber tatsächlich richtet sich mein Zeitplan nach meinen Patienten. Rytanaia geht es seit zwei Tagen wieder schlechter.«

Die junge Frau neben Mahlia nickte beklommen. Ihr Haar war genauso tiefschwarz wie das von Mahlia, aber ihre Haut war nicht sonnengebräunt und windgegerbt, sondern hell. Beinahe weiß sogar. Der starke Kontrast ließ Rytanaia noch bleicher aussehen, als sie ohnehin schon war.

Mathall blickte auf Rytanaias zitternde Hände. »Erzfieber?«, fragte er.

»Das fürchten wir.« Mahlia war froh, dass sich Rytanaia an ihre Anweisungen hielt: möglichst wenig sprechen. Anscheinend hatte die Krankheit sie Demut gelehrt. Das war wichtig, denn oft genug hatten die Bescheidenen Diener Kranke vom Sternentempel abgewiesen, die es am nötigen Respekt mangeln ließen.

»Du weißt«, sagte Mathall, »dass der Große Medost das Erzfieber nicht immer heilt?«

»Ich weiß«, bestätigte Mahlia. »Nur in den frühen Phasen, und auch dann nicht immer. Aber versuchen müssen wir es. Meine Kunst ist ohne seine Hilfe am Ende. Die Kräuter haben nicht gewirkt.«

Die Kapuze wackelte vor und zurück. Der Mönch darunter nickte. Dann wandte er sich an die Kranke. »Du kennst den Preis?«

Weil sie direkt angesprochen wurde, musste Rytanaia antworten. »Ja«, sagte sie leise. »Acht Kiepen Glimmerz.«

Wieder nickte Mathall. »Und du weißt, dass dieser Preis auf jeden Fall bezahlt werden muss, auch wenn der Große Medost dir nicht hilft?«

Rytanaia bejahte.

»Hast du acht Kiepen Glimmerz?«, fragte Ukor Mathall mit einer plötzlichen Schärfe in der Stimme.

»Ja«, sagte Rytanaia.

Aber Mathall hatte das winzige Zögern genauso bemerkt wie Mahlia. Sie kannte die Lage der jungen Frau: Sie hatte unter Tage beim Steinabbau gearbeitet und nicht schlecht verdient, bis ihre Hände zu zittern begonnen hatten. Wenn sie nach der Behandlung wieder zupacken konnte, würde sie die Schuld in wenigen Monaten abarbeiten. Wenn nicht ...

»Bürgst du für sie?«, fragte der Mönch Mahlia.

Mahlia fluchte in Gedanken. Laut sagte sie: »Ich glaube nicht, dass das nötig ist.«

Mathall beharrte auf seiner Frage. »Bürgst du für sie?«

»Ja«, sagte Mahlia hörbar gereizt. Sie zuckte zusammen, als sie den scharfen Klang ihrer eigenen Stimme bemerkte.

Doch Ukor Mathall sah darin keine Respektlosigkeit. Zumindest keine, deretwegen er sie zurückgeschickt hätte. »In Ordnung«, sagte der alte Mönch. »Pravo bringt euch hinein.«

Damit hatte ihr bislang unbekannter Führer einen Namen. Pravo ging voraus durch den breiten Gang, der das graue, künstliche Gestein durchschnitt und nach etwa fünfzehn Metern am Metalltor endete.

Eine kurze Strecke, für Mahlia aber lang genug, um finsteren Gedanken nachzuhängen: Sie betete still, dass Rytanaia geheilt wurde und selbst zahlen konnte. Andernfalls würde Mahlia betteln gehen müssen, um genug Erz zu erhalten – oder ihr Mann würde von der Bürgschaft erfahren. Dann war ein erbitterter Streit unvermeidbar.

Am Metalltor griff Pravo unter seine Kutte und zog drei kleine Talglampen hervor. Zwei drückte er Mahlia und Rytanaia in die Hände. Es waren erstaunliche Apparaturen mit einem Knopf am Tragehenkel. Mahlia Meyun drückte darauf. Ein kleiner, blauer Funke entstand und entzündete den Docht.

Rytanaia tat es ihr gleich, Pravo ebenso. Als alle drei Flammen brannten, bewegte sich das schwere Metalltor mit der Schlange, dem Kreis und dem Winkel darauf wie von Zauberhand und gewährte ihnen Einlass.

 

*

 

Das Tempelinnere präsentierte sich ihnen als eine völlig andere Welt. Dort waren weder Stein noch Erde zu sehen, sondern nur Metall und Kunststoff. Was draußen zu den wertvollsten Materialien überhaupt zählte, gab es ringsum im Überfluss. Wände, Türen, Beschriftungen glänzten im Schein der drei kleinen Lichter, als sie daran vorbeigingen.

Mahlia Meyun war sicher, den Weg mittlerweile mit verbundenen Augen gehen zu können, so oft hatte sie ihn bereits zurückgelegt. Rytanaia hingegen blieb immer wieder stehen und sah sich mit offenem Mund um.

Mahlia hatte ihr zwar vorab gesagt, was sie erwarten würde. Aber es war etwas anderes, den unglaublichen Reichtum mit eigenen Augen zu sehen. Und dies war nur eine einzige Etage des Tempels.

Mahlia vermutete, dass es darüber in der Kuppel noch weitere gab, und möglicherweise auch unter ihnen im Boden. Genau wusste sie es nicht. Als Heilerin indes musste sie nie weiter als bis zum Altar von Medost, und der lag auf derselben Ebene wie der Eingang.

Genau genommen, befanden sich sogar sechs Altäre in dem hell getäfelten Schrein. Seit Mahlia die Heilerin der Gestrandeten war, hatte sie nie mehr als einen gleichzeitig benötigt. Sie hoffte im Stillen, dass das auch nie der Fall sein würde. Schon für einen Patienten erforderte das Ritual allerhöchste Konzentration, und sie war sich nicht sicher, ob sie es mehrmals hintereinander würde fehlerfrei zelebrieren können.

Sie zeigte Rytanaia, wie sie sich auf den Altar zu betten hatte, wohin der Kopf und die Füße kamen. Die Arme lagen entspannt neben ihrem Körper. Selbst dabei zitterten und zuckten ihre Finger.

Pravo hielt sich im Hintergrund des Raums. Er hatte die Kapuze inzwischen in den Nacken geschoben, sodass er besser sehen konnte. Der junge Bescheidene Diener war also von der neugierigen Sorte. Mahlia sah nur kurz auf das entstellte Gesicht, das aussah wie geschmolzen, in eine Form gepresst und wieder erstarrt.

Mahlia war froh, dass Rytanaia es nicht bemerkt hatte. Der Anblick der Diener mit ihren glatt gezogenen, jeder Individualität beraubten Mienen konnte manchem Kranken einen zusätzlichen und völlig überflüssigen Schreck einjagen.

Mahlia stellte sich ans Fußende von Rytanaias Bett und rezitierte die alte Beschwörungsformel: »Medoscan aktivieren!«

Der Raum erwachte zum Leben. Lichter tauchten aus dem Nichts auf, weiße, grüne und rote. Sie formten kleine Zeichen, die Mahlias Ahnen der Sage zufolge einst mit Sinn hatten füllen können. Dieses Wissen war jedoch schon vor Generationen verloren gegangen. Nur die Bescheidenen Diener verfügten noch darüber. So erzählte man sich zumindest.

Die Lichter begannen zu tanzen, sortierten sich in immer neuen Kombinationen. Ab und an lösten sie sich auf und zeigten Bilder. Licht aus unsichtbarer Quelle fiel auf Rytanaias Brust, und vor Mahlia bildeten sich die leuchtenden Formen von Rippen und Wirbelsäule in der Luft, mit dem dazwischen schlagenden Herzen.

Das war der Moment, auf den es ankam. Das Bild verblasste, stattdessen zeigten sich die Runen wieder. Sie schrieben viele Zeilen mit grünen und roten Leuchtpunkten daneben. Mahlia berührte die roten Punkte, so schnell sie konnte.

Ab dem ersten Kontakt, das wusste sie, blieben ihr nur drei Sekunden, bis dieses Bild verschwand. Die roten Punkte bedeuteten Krankheiten, und jeder Gestrandete trug einige davon im Leib. Die Erkrankungen, die Mahlia auswählen konnte, versuchte der Große Medost zu heilen. Waren es zu viele oder war sie als Heilerin zu langsam, blieb der Patient unbehandelt. Und zuweilen sogar, wenn sie alles richtig gemacht hatte.

Je nachdem, welche Lichter sie in der Luft angetippt hatte, erschienen nun andere Zeichen, und sie musste die richtigen Stellen darunter berühren. Das konnte schnell gehen, manchmal jedoch auch fast eine halbe Stunde dauern. Sie hatte Jahre gebraucht, um an der Seite ihrer Mutter alle möglichen Kombinationen und die richtigen Reaktionen darauf auswendig zu lernen. Und bald würde sie anfangen müssen, ihre Tochter Annri auf dieselbe Weise auszubilden.

Die Bilder verharrten stets nur kurz in der Luft, und manche waren einander sehr ähnlich, sodass eine Fehlwahl nie ausgeschlossen war. Das war die Prüfung des Medost, und wie jedes Mal musste Mahlia in Demut auf sein gnädiges Zeichen warten.

Es kam. Medost...