Sühne - Roman

von: Leif GW Persson

btb, 2009

ISBN: 9783641030834 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Sühne - Roman


 

6
Wie immer, dachte Bäckström, als er aus dem Wagen gestiegen war. Um die Absperrung vor dem Haus drängte sich die übliche Meute, Journalisten, Fotografen, Nachbarn und Schaulustige, Leute, die nichts Besseres zu tun hatten. Außerdem die normalen Kleinkriminellen, die hierher geraten waren, ohne darüber nachdenken zu müssen, wie das zugegangen war. Unter anderen drei solariengebräunte Jünglinge, die Bäckströms Kleidung und Aussehen kommentierten, als er sich mit Mühe unter dem Absperrband hindurchzwängte.
Bäckström drehte sich zu ihnen um, um sich ihr Aussehen für den Tag einzuprägen, an dem sie sich an seinem Arbeitsplatz wiederbegegnen würden. Das war nur eine Frage der Zeit, und dann würde er diesen kleinen Brechmitteln zu einem unvergesslichen Erlebnis verhelfen.
Als er an dem jüngeren uniformierten Kollegen vorbeiging, der an der Haustür stand, gab er die erste Dienstanweisung in seiner neuen Mordermittlung.
»Ruf in der Dienststelle an und fordere ein paar Leute an, die ein paar gute Bilder von unserem geliebten Publikum machen können«, sagte er.
»Schon erledigt«, stellte der Kollege fest. »Das war das Erste, worum Ankan mich gebeten hat, als sie hier auftauchte. Die Kollegen sind schon seit einigen Stunden hier und schießen Fotos«, fügte er aus irgendeinem Grund noch hinzu.
»Ankan?«
»Annika Carlsson. Du weißt schon, diese große, dunkelhaarige Kollegin, die früher bei der Kommission für Raubüberfälle gearbeitet hat. Sie wird Ankan genannt.«
»Du meinst diese Lesbe?«, fragte Bäckström.
»Danach darfst du mich nicht fragen, Bäckström«, erwiderte der Kollege grinsend. »Aber es stimmt schon. Man hört so das eine oder andere.«
»Wie zum Beispiel?«, erkundigte sich Bäckström misstrauisch.
»Man sollte sich möglichst nicht mit ihr aufs Armdrücken einlassen«, erklärte der Kollege.
Bäckström begnügte sich damit, den Kopf zu schütteln. Wo soll das alles noch enden, dachte er, als er das Haus Hasselstigen 1 betrat. Was ist nur mit der schwedischen Polizei los? Schwuchteln, Lesben, Schwarze und die üblichen Schwachköpfe. Kein normaler Schutzmann, soweit das Auge reicht.
 
Am Tatort sah es so aus, wie es auszusehen pflegte, wenn jemand einen alten Alki in seiner eigenen Wohnung erschlagen hat. In diesem Fall kurz gesagt noch fürchterlicher als normalerweise bei einem alten Alki. Dieses Exemplar nun lag hinter der Tür in der Diele auf dem Teppich mit den Füßen zur Wohnungstür, die Beine gespreizt und die Arme über seinem zerschlagenen Kopf in einer fast flehenden Geste ausgestreckt. Dem Gestank nach zu urteilen, waren bei seinem Tod sowohl Urin als auch Exkremente in seine Gabardinehosen geraten. Eine metergroße Blutlache auf dem Boden. Die Wände der Diele bis zur Decke mit Blut bespritzt. Blutspritzer sogar an der Decke.
Verdammt, dachte Bäckström und schüttelte den Kopf. Eigentlich sollte er bei Schöner Wohnen anrufen, damit diese Einrichtungsschwuchteln mal ein volkstümliches Interieur zu sehen bekamen. Eine kleine Reportage, Hausbesuch bei sozialen Randgruppen, dachte Bäckström, der in diesem Augenblick aus seinen Gedanken gerissen wurde. Jemand tippte ihm auf die Schulter.
»Hallo, Bäckström. Toll, dass du da bist«, sagte Kriminalinspektorin Annika Carlsson, dreiunddreißig, und nickte ihm freundlich zu.
»Hallo«, erwiderte Bäckström und versuchte, nicht so mitgenommen zu klingen, wie er sich fühlte.
Dieses Frauenzimmer war einen halben Kopf größer als er, und er war immerhin ein stattlicher Mann in seinen besten Jahren. Lange Beine, schmale Taille, verdammt durchtrainiert und an der Oberweite nichts auszusetzen. Hätte sie sich jetzt noch die Haare wachsen lassen und einen kurzen Rock angezogen, dann hätte man sie glatt mit einer ganz normalen Frau verwechseln können. Abgesehen von der Größe natürlich, aber an der ließ sich vermutlich nichts ändern, und hoffentlich war sie ausgewachsen, obwohl sie noch nicht trocken hinter den Ohren sein konnte.
»Irgendwelche besonderen Wünsche, Bäckström? Die Spurensicherung ist gerade mit der ersten Runde durch, und sobald die Leiche auf dem Weg in die Gerichtsmedizin ist, kannst du einen Blick auf den Tatort werfen.«
»Das mache ich später«, sagte Bäckström und schüttelte den Kopf. »Wer ist denn das?«, fragte er dann und nickte zu einer dunkelhäutigen Gestalt hinüber, die in der hintersten Ecke des Treppenhauses in der Hocke an der Wand saß. Wehmütiger, verschlossener Gesichtsausdruck und eine Stofftasche, aus der ein paar Zeitungen herausragten, über der Schulter.
»Das ist der Zeitungszusteller, der uns verständigt hat«, antwortete Kollegin Carlsson.
»Kaum zu glauben«, erwiderte Bäckström. »Deswegen hat er also auch eine Zeitungstasche über der Schulter hängen.«
»Sehr scharfsinnig, Bäckström«, meinte Annika Carlsson lächelnd. »Um genau zu sein, fünf Dagens Nyheter und vier Svenska Dagbladet. Das Svenska Dagblad des Opfers liegt dort drüben neben der Tür«, fuhr sie fort und deutete auf eine zusammengefaltete Zeitung, die in der Tür zur Wohnung des Toten lag.
»Was wissen wir über ihn? Den Zeitungsburschen?«
»Er scheint nichts mit der Sache zu tun zu haben«, antwortete Annika Carlsson. »Die Techniker haben ihn unter die Lupe genommen. Keinerlei Spuren, weder am Körper noch an den Kleidern. Wenn man sich anschaut, wie es da drinnen aussieht, müsste er über und über mit Blut besudelt sein, wenn er den Mord verübt hätte. Er sagt, er habe das Gesicht des Opfers befühlt, seine Wange, um genau zu sein, und als diese vollkommen starr gewesen sei, sei ihm klar gewesen, dass er es mit einem Toten zu tun hat.«
»Studiert er Medizin oder was?« Kaum zu glauben, dachte Bäckström, dass der kleine Mohr so viel Mumm hat.
»Offenbar hat er in seiner Heimat viele Tote zu Gesicht bekommen«, meinte Carlsson, allerdings dieses Mal ohne zu lächeln.
»Hat er die Gelegenheit genutzt, um was zu klauen?«, fragte Bäckström aus einem alten Reflex heraus.
»Er wurde von der ersten Streife, die hier eintraf, sofort durchsucht. In der Hosentasche hatte er ein Portemonnaie mit seinem Führerschein, einen Ausweis von dem Zeitungsvertrieb, eine kleinere Geldsumme in Münzen und Scheinen, ich meine, etwa hundert Kronen, hauptsächlich in Münzen. Außerdem ein Handy, sein eigenes. Wir haben uns die Nummer notiert, falls du das wissen willst. Sollte er etwas gestohlen haben, so hatte er es zumindest nicht in der Tasche, er kann es auch nicht irgendwo versteckt haben, denn wir haben bereits das ganze Haus ohne Ergebnis durchsucht.«
»Hat er irgendwelche Anrufe getätigt?« »Laut seiner Aussage nur einen. Den Notruf. Wurde mit den Kollegen im Bunker verbunden. Er sagt, der Einzige, mit dem er gesprochen hat, sei der Kollege in unserer Einsatzzentrale gewesen, aber das werden wir natürlich überprüfen. Wir haben sein Handy auf der Liste der zu überprüfenden Telefone.«
»Hat er auch einen Namen?«, fragte Bäckström.
»Septimus Akofeli, fünfundzwanzig Jahre alt, Flüchtling aus Somalia, schwedischer Staatsbürger, wohnhaft in Rinkeby. Fingerabdrücke und DNA sind abgenommen, aber noch nicht überprüft, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er derjenige ist, für den er sich ausgibt.«
»Wie hieß er noch gleich?«, fragte Bäckström. Was für ein absurder Name, dachte er.
»Septimus Akofeli«, wiederholte Annika Carlsson. »Ein Grund, warum ich ihn hierbehalten habe, war, dass du vielleicht noch mit ihm sprechen willst?«
»Nein«, antwortete Bäckström und schüttelte den Kopf. »Was mich betrifft, kannst du ihn ruhig nach Hause schicken. Ich würde mir aber gerne den Tatort anschauen, falls diese Halbakademiker von der Spurensicherung endlich mal fertig werden.«
»Peter Niemi und Jorge Hernandez, auch Chico genannt, übrigens«, meinte Annika Carlsson. »Sie arbeiten hier in Solna bei der Spurensicherung. Bessere Leute findet man nicht, wenn du mich fragst.«
»Hernandez? Wo habe ich das schon mal gehört?«, fragte Bäckström.
»Er hat eine jüngere Schwester, Magdalena Hernandez, die als Streifenpolizistin arbeitet. Sie ist dir sicher schon mal aufgefallen«, meinte Annika Carlsson und lächelte aus irgendeinem Grund breit.
»Weshalb?«, wollte Bäckström wissen.
»Schwedens bestaussehendste Polizistin, findet jedenfalls eine Mehrheit der Kollegen. Ich finde...