Schön tot - Ein Wien-Krimi

von: Edith Kneifl

Haymon, 2012

ISBN: 9783709974384 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Schön tot - Ein Wien-Krimi


 

1. Akt


1


Sonnenaufgang in Wien-Margareten. Eine Stadt, die niemals schläft, mag eine treffende Beschreibung von New York sein, gilt aber sicher nicht für Wien.

Es war kurz vor sechs Uhr früh, als ich durch die menschenleeren Gassen des fünften Bezirks wankte. Auf der Schönbrunner Straße war kaum Verkehr. Geschäfte und Lokale hatten geschlossen. Vor der Kirche, in der einst Franz Schubert aufgebahrt gewesen war, schlief ein Sandler seinen Rausch aus.

Als ich die Pilgramgasse hinaufspazierte, tauchte die Statue der Heiligen Margarete im Morgengrauen auf. Mitleidig schaute die Schöne auf den Drachen herab.

Ich hatte für Märtyrerinnen prinzipiell viel übrig. Grund für Margaretes Martyrium schien jedoch weniger ihr Glaube als ihre Schönheit gewesen zu sein: Die unschuldige Schäferin war vor 1700 Jahren in Kleinasien von einem Stadtpräfekten begehrt worden. Als sie ihn zurückwies, ließ er sie im Gefängnis mit eisernen Kämmen und Fackeln foltern. Doch ihre Wunden heilten immer wieder. Daraufhin verwandelte er sich in einen riesigen Drachen und versuchte, sie zu verschlingen. Das Kreuzzeichen, das sie schlug, rettete sie. Auf dem Weg zur Hinrichtung betete die Arme für ihren Verfolger, wurde aber dennoch enthauptet.

Plötzlich bildete ich mir ein, dass selbst die Margariten, die als Markenzeichen des Viertels über den Fahrbahnen hingen, ihre Köpfchen hängen ließen. Ich hatte eindeutig zu viel getrunken.

Der Himmel über Wien verfärbte sich orangerot, brachte die Dächer der Stadt zum Glühen. Schüchterne Strahlen drangen durch die Häuserzeilen auf die Straße.

Nach der durchwachten Nacht fielen mir beim Gehen die Augen zu. Trotz Frühlingsbeginn waren die Temperaturen auf fünf Grad gesunken. Die Kälte fuhr mir in alle Knochen. Meine Lederjacke war nicht gefüttert und meine Jeans waren zerrissen.

Den Primeln und Narzissen auf den begrünten Verkehrsinseln schien der erneute Kälteeinbruch weniger auszumachen als mir. Dirigiert von unsichtbarer Hand, begrüßte lautes Vogelgeschrei den kühlen Morgen. Ein Schwarm großer schwarzer Raben flog über das sogenannte Schlossquadrat beim Margaretenplatz. Sie bekränzten es mit einer Art Heiligenschein. Vorboten eines Unglücks?

Mein Aberglaube hielt sich in Grenzen.

Kaum waren die Vögel außer Sichtweite, herrschte wieder unheimliche Stille. Dann ließ mich ein lauter Schrei zusammenzucken.

Mir fiel ein, dass in der Nähe eine alte Frau wohnte, die öfters mitten in der Nacht aufschrie. Wahrscheinlich litt sie unter Albträumen.

Seit ich vor ein paar Wochen einen Job im Café Cuadro, einem der Lokale im Schlossquadrat, angenommen hatte, ging ich kaum einmal vor den frühen Morgenstunden zu Bett, obwohl wir meistens pünktlich um Mitternacht Schluss machten. Doch ich genehmigte mir nach der Arbeit gern den einen oder anderen Absacker im nahe gelegenen Motto.

Dieses Lokal in der Schönbrunner Straße war ein Ort, an dem man sich rasch näherkam. Es dominierte dunkles Lila, die übermalten Babypuppen an der Decke und die barocken Stühle passten aber meiner Meinung nach eher als Kulisse in einen Fantasy-Film als in eine coole Bar. Die Musik war jedoch wirklich geil. Außerdem war das Motto ein Paradies für voyeuristisch veranlagte Menschen wie mich. Barflies, Künstler, Sternchen und echte Stars – zu später Stunde trafen sich dort Nachtschwärmer jeder Couleur. Alle hatten nur eines gemeinsam: Sie verstanden es, sich zu inszenieren.

Ausnahmsweise hatte ich heute Nacht mal einen Mann abgeschleppt. Mein One-Night-Stand war die schlaflose Nacht leider nicht wert gewesen. In seinem Atelier im Hinterhof eines typischen Wiener Vorstadthäuschens war es ziemlich ungemütlich gewesen. Wir hatten es halb angezogen und im Stehen getan. Eine schnelle Nummer mit kalten Lippen, kalten Händen und kalten Herzen. Es würde kein zweites Mal mehr geben. Dass ich nicht beziehungsfähig bin, hatte mir ein Psychotherapeut schon vor Jahren schwarz auf weiß bestätigt. Und alles, was sich wiederholte, roch gefährlich nach sich anbahnender Beziehung, nach Besitzansprüchen, Eifersucht und kleinkarierten Machtspielchen.

Nach dem Tod meiner Eltern, ich war damals Anfang zwanzig, hatte ich in Houston, Texas, ein Kriseninterventionszentrum aufgesucht. Mein Psychotherapeut dort behauptete, ich würde mich schlicht und einfach weigern, erwachsen zu werden, wollte an dem Punkt in meiner Entwicklung Halt machen, an dem mir meine Eltern grausam entrissen worden waren. Und ich würde deshalb so gern die passive Beobachterin spielen und mir dabei das Leben der anderen ausmalen, weil es mich davon abhalten würde, mein eigenes Leben zu leben. Wahrscheinlich hatte er Recht. Seit dem gewaltsamen Tod meiner Eltern vermied ich es tatsächlich, Verantwortung zu übernehmen, mich ernsthaft auf etwas einzulassen, sesshaft zu werden, wie man so schön sagt. Insofern wurde ich den Vorurteilen, die die meisten Menschen gegenüber meinen Roma-Vorfahren mütterlicherseits hatten, gerecht.

Immerhin hatte ich mich auf ein Geschichtsstudium eingelassen und war nun also eine arbeitslose Magistra der Geisteswissenschaften. Eigentlich hatte ich vorgehabt, bis zu meinem Vierziger den Doktor zu schaffen. Doch das würde sich nicht mehr ausgehen. Ich wurde in zwei Monaten vierzig und hatte bisher kein spannendes Thema für meine Dissertation gefunden.

Als ich vor dem Schlossquadrat stand, hatte ich plötzlich eine Art Geistesblitz. Vielleicht sollte ich über meinen neuen Arbeitsplatz forschen? Früher stand dort das Schloss Margareten. Nach einem fürchterlichen Brand im Jahre 1768 waren von dem Schloss nur ein paar Steinquader übrig. Zu Maria Theresias Zeiten war die Vorstadt spärlich besiedelt gewesen. Neben dem Schloss waren ein paar Bauernkaten gestanden. Weingärten, Maulbeerbäume und Safranwiesen hatten das Bild geprägt. Um von den kostspieligen Seidenimporten aus China unabhängig zu werden, hatte die clevere Kaiserin Maulbeerbäume pflanzen lassen. Im 18. Jahrhundert hatten sich Textilmanufakturen angesiedelt. All die prächtigen höfischen Gewänder waren in dieser Gegend produziert worden. Auch Ziegeleien und sogar eine Brauerei hatten sich hier niedergelassen, und Margareten hatte sich zu einem Arbeiterbezirk entwickelt.

Je länger ich darüber nachdachte, desto überzeugter wurde ich, dass dieser Bezirk oder zumindest das Grätzl um den Margaretenplatz, das heute fast großstädtisches Flair ausstrahlte, durchaus ein interessantes Dissertationsthema abgeben würde. Aber vielleicht war das auch nur eine besoffene Idee.

Ich musste dringend aufs Klo. Da ich nicht gut irgendwo am Straßenrand hinpinkeln konnte, überlegte ich, auf die Toilette des Cuadro zu gehen. Den Schlüssel für die Tore im Schlossquadrat hatte ich dabei. Die Lokale in diesem Häusergeviert waren durch Innenhöfe und Durchgänge miteinander verbunden. Man brauchte also nicht einmal auf die Straße hinauszugehen, um von einem Lokal ins andere zu gelangen.

Den Schlüssel für den Durchgang hatte mir der Eigentümer nach dem Probemonat zukommen lassen. Bisher hatte ich meinen Chef noch nie persönlich zu Gesicht bekommen. Als ich im Jänner im Cuadro anfing, hatte er sich in Bali aufgehalten. Er war erst seit Kurzem wieder zurück. Meine Kollegen hatten mir natürlich einiges über ihn erzählt. So richtig schlau war ich bisher trotzdem nicht aus ihm geworden. Wahrscheinlich bezeichnete man ihn nicht umsonst als den „Schlossherrn“, den „heimlichen Bezirksvorsteher“ oder sogar als den „Kaiser von Margareten“. Immerhin hatte er das ganze Viertel aufgewertet, indem er seine Häuser von einem Architekten sehr behutsam sanieren hatte lassen.

Ein lauter Knall riss mich aus meinen Gedanken. Eine riesige Stichflamme erleuchtete den Himmel über der Stadt. Das Feuer vermischte sich mit dem Morgenrot, tauchte die Umgebung in einen rotgoldenen Glanz.

Ich wurde von einer Hitzewelle erfasst. Begann zu rennen, rannte auf die Margaretenstraße, achtete nicht auf den Verkehr. Erst das Quietschen der Reifen brachte mich zur Besinnung. Entsetzt bemerkte ich, dass ein Wagen knappe zehn Zentimeter vor mir zum Stehen gekommen war.

Eine elegant gekleidete Dame mit modischer roter Brille stieg aus dem großen anthrazitfarbenen Skoda. Sie war kreidebleich im Gesicht.

Bevor sie womöglich hysterisch herumzuschreien begann, sagte ich scharf: „Hier ist Tempo 50, Madame.“

Sie schien nicht daran zu denken, mich anzuschnauzen, starrte nur gemeinsam mit mir entsetzt auf das in Flammen stehende Haus am Margaretenplatz.

„Der erste Stock ist plötzlich in die Luft geflogen. Ich glaube, das war eine Gasexplosion“, sagte ich.

„Oh Gott“, stöhnte sie und schlug die Hand vor den Mund.

„Wir müssen sofort die Feuerwehr anrufen.“ Ich nahm mein Handy aus der Jackentasche....