Die Löwen - Roman

von: Ken Follett

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2010

ISBN: 9783838703497 , 463 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Die Löwen - Roman


 

1
1981


DIE MÄNNER, DIE Ahmet Yilmaz töten wollten, waren Leute, die es bitterernst meinten. Es handelte sich um türkische Studenten, die in Paris im Exil lebten, und sie hatten bereits einen Attaché an der türkischen Botschaft ermordet und das Haus eines hohen Angestellten der Turkish Airlines mit Feuerbomben belegt. Yilmaz suchten sie sich als nächstes Opfer aus, weil er, ein reicher Mann, die Militärdiktatur unterstützte und – bequemerweise – in Paris wohnte.

Sein Haus und sein Büro wurden gut bewacht, und seine Mercedes-Limousine war gepanzert, doch jeder Mann hat eine Schwäche, meinten die Studenten, und diese Schwäche ist für gewöhnlich Sex. Bei Yilmaz hatten sie damit recht. Nach einigen Wochen eher flüchtigen Observierens waren sie im Bilde: Zwei- oder dreimal wöchentlich pflegte Yilmaz des Abends sein Haus zu verlassen, um in dem Renault-Kombi, den seine Bediensteten zum Einkaufen benutzten, zu einer Nebenstraße im 15. Distrikt zu fahren und dort eine schöne junge Türkin zu besuchen, die ihn liebte.

Die Studenten beschlossen, im Renault eine Bombe unterzubringen, während Yilmaz anderweitig beschäftigt war.

Woher sie den Sprengstoff bekommen konnten, wußten sie: von Pepe Gozzi, einem der vielen Söhne des korsischen Paten Mémé Gozzi. Pepe war Waffenhändler. Er verkaufte an jeden, zog jedoch politische Kunden vor, »weil« – wie er fröhlich einräumte – »Idealisten höhere Preise zahlen«. Er hatte den türkischen Studenten auch bei ihren beiden ersten Attentaten geholfen.

Allerdings hatte der Autobombenplan einen Haken. Zwar fuhr Yilmaz für gewöhnlich allein wieder nach Hause – aber es gab Ausnahmen. Manchmal führte er sein Mädchen zum Diner aus. Oft fuhr sie selbst im Renault davon und kehrte dann eine halbe Stunde später zurück mit Brot, Obst, Käse und Wein, augenscheinlich für eine gemütliche Mahlzeit. Mitunter lieh sie sich das Auto für ein oder zwei Tage aus, und Yilmaz fuhr in einem Taxi nach Hause. Die Studenten waren, wie alle Terroristen, Romantiker und scheuten sich, den Tod einer schönen Frau in Kauf zu nehmen, deren einziges ›Verbrechen‹ darin bestand, einen Mann zu lieben, der ihrer nicht würdig war.

Sie diskutierten dieses Problem auf demokratische Weise. Über Beschlüsse wurde abgestimmt, einen anerkannten Führer gab es nicht; doch war unter ihnen einer, dessen starke Persönlichkeit ihn dominieren ließ. Er hieß Rahmi Coskun, und er war ein gutaussehender, leidenschaftlicher junger Mann mit einem buschigen Schnurrbart und einem gewissen, gleichsam ruhmsüchtigen Glanz in den Augen. Dank seiner Energie und seiner Entschlossenheit waren die ersten beiden Projekte allen Problemen und Risiken zum Trotz durchgeführt worden. Rahmi schlug vor, einen Bombenexperten zu befragen.

Zuerst mißfiel den anderen dieser Gedanke. Wem man denn da vertrauen könne, wollten sie wissen. Rahmi schlug Ellis Thaler vor, einen Amerikaner, der sich selbst als Dichter bezeichnete, seine Brötchen jedoch mit Englischunterricht verdiente. Seine Kenntnisse über Sprengstoff hatte er als Wehrpflichtiger in Vietnam erworben. Rahmi kannte ihn seit etwa einem Jahr: Sie hatten beide für ein kurzlebiges Revolutionsblatt namens Chaos gearbeitet und außerdem eine Dichterlesung veranstaltet, um Geld für die Palästinensische Befreiungsorganisation zu sammeln. Ellis Thaler schien Rahmis Zorn über das, was in der Türkei geschah, zu verstehen, auch seinen Haß gegen die dafür verantwortlichen Barbaren. Einige der anderen Studenten kannten Ellis flüchtig: Er hatte bei mehreren Demonstrationen mitgemacht, und sie hatten angenommen, er sei ein Student im höheren Semester oder ein junger Professor. Dennoch widerstrebte es ihnen, einen Nichttürken zu beteiligen; Rahmi beharrte allerdings auf seinem Standpunkt, und am Ende gaben sie nach.

Ellis hatte die Lösung für ihr Problem sofort parat. Die Explosion müsse per Funk ausgelöst werden, erklärte er. Rahmi könne an einem Fenster vis-á-vis des betreffenden Appartements sitzen oder in einem am Straßenrand geparkten Auto, um den Renault im Auge zu behalten. In der Hand würde er einen kleinen Radiosender halten, nicht größer als ein Zigarettenpäckchen – so ein Ding, wie man es benutzt, um ein Garagentor elektronisch zu öffnen. Stieg Yilmaz allein in das Auto, konnte Rahmi die Bombe per Funksignal aktivieren, so daß sie dann beim Anlassen des Motors explodierte. Stieg jedoch das Mädchen ein, so drückte Rahmi nicht auf den Knopf, und die junge Dame konnte in gnädiger Unkenntnis davonfahren. Die Bombe allein war ungefährlich. »Kein Knopfdruck, kein Knall«, sagte Ellis.

Rahmi gefiel der Vorschlag. Er fragte Ellis, ob er wohl bei der Herstellung der Bombe mit Pepe Gozzi zusammenarbeiten würde.

»Klar«, sagte Ellis.

Dann gab’s da noch einen Haken.

»Ich habe einen Freund«, sagte Rahmi, »der euch beide kennenlernen möchte, dich und Pepe. Um die Wahrheit zu sagen, das muß sogar sein, oder die ganze Sache fällt ins Wasser, denn es ist dieser Freund, der uns das Geld gibt für Sprengstoffe und Autos und Bestechungen und Pistolen, einfach für alles.«

Warum will er uns kennenlernen? wollten Ellis und Pepe wissen.

»Er möchte sicher sein, daß die Bombe funktionieren wird, und er möchte das Gefühl haben, daß er euch vertrauen kann«, sagte Rahmi entschuldigend. »Ihr braucht ihm nur die Bombe zu zeigen und ihm zu erklären, wie sie funktioniert. Dann schüttelt ihr ihm die Hand und laßt euch in die Augen sehen, und das ist ja wohl nicht zuviel verlangt von einem, der das Ganze überhaupt erst möglich macht, oder?«

»Soll mir recht sein«, meinte Ellis.

Pepe zögerte. Zwar wollte er das Geld, das bei der Sache für ihn abfallen würde – denn auf Geld war er so versessen wie ein Schwein auf seinen Futtertrog –, doch haßte er es, neue Leute kennenzulernen.

Ellis nahm ihn beiseite. »Hör zu«, sagte er, »diese Studentengruppen kommen und gehen wie Frühlingsblumen, und Rahmi wird garantiert bald weggeweht sein. Aber wenn du diesen ›Freund‹ kennst, dann kannst du mit dem auch noch Geschäfte machen, wenn’s gar keinen Rahmi mehr gibt.«

»Da hast du recht«, sagte Pepe, der zwar kein Genie war, jedoch simpel dargelegte Geschäftsprinzipien durchaus kapierte.

Ellis teilte Rahmi mit, Pepe sei einverstanden, und Rahmi vereinbarte mit beiden eine Zusammenkunft für den folgenden Sonntag.

*

An jenem Morgen erwachte Ellis in Janes Bett. Er erwachte plötzlich und mit Angstgefühlen, wie aus einem Alptraum. Und Bruchteile von Sekunden später erinnerte er sich, warum er innerlich so angespannt war.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war noch früh. Im Geiste ging er seinen Plan durch. Falls alles gutging, so bedeutete der heutige Tag die Krönung für mehr als ein Jahr überaus geduldiger, sorgfältiger Arbeit. Und er würde seinen Triumph mit Jane teilen können – vorausgesetzt, daß er am Ende dieses Tages noch lebte.

Er wandte den Kopf und betrachtete sie; er bewegte sich ganz vorsichtig, um sie nicht aufzuwecken. Sein Herz tat unwillkürlich einen Sprung, wie jedesmal, wenn er sie ansah. Sie lag flach auf dem Rücken; ihre Stupsnase wies zur Zimmerdecke, und ihr schwarzes Haar breitete sich über das Kissen wie die entfalteten Flügel eines Vogels. Er blickte auf ihren breiten Mund, auf die vollen Lippen, die ihn so oft und so üppig küßten. Die Morgensonne ließ den dichten blonden Flaum auf ihren Wangen erkennen – ihren ›Bart‹, wie er’s nannte, wenn er sie aufziehen wollte.

Es war ein seltenes Vergnügen, sie so friedlich ruhen zu sehen, das Gesicht entspannt und ausdruckslos. Normalerweise war sie voller Leben: lachend, stirnrunzelnd, grimassierend, Verblüffung, Zweifel oder Leidenschaft ausdrückend. Für gewöhnlich spiegelte sich in ihrer Miene ein spöttischer, fast schadenfroher Ausdruck, wie bei einem Lausbuben, der gerade einen besonders infernalischen Streich ausgeheckt hat. Nur wenn sie schlief oder angestrengt nachdachte, sah sie aus wie jetzt. Doch so liebte er sie am meisten, denn hinter ihrer ungeschützten Unbefangenheit ließ sich die träge Sinnlichkeit erahnen, die wie ein stetig loderndes Feuer in ihr brannte. Wenn er sie so sah, juckte es ihn buchstäblich in den Händen, sie zu berühren.

Das hatte ihn verblüfft. Als er sie kennenlernte, bald nach seiner Ankunft in Paris, hatte er sie für einen Typ gehalten, wie man ihn überall trifft in Großstädten unter den Jungen und Radikalen: Superaktive, die irgendwelchen Komitees vorsaßen und Kampagnen gegen die Apartheid und für die nukleare Abrüstung organisierten; die Protestmärsche wegen El Salvador anführten oder gegen die Umweltvergiftung, Geld für die Verhungernden im Tschad sammelten oder talentierte junge Filmemacher förderten. Ihr gutes Aussehen , ihr Charme, ihr Enthusiasmus, all das zog andere an. Er hatte sich ein paarmal mit ihr verabredet, bloß, um genußvoll zuzuschauen, wie ein hübsches Mädchen ein Steak in sich hineinschlang. Und dann – wie es eigentlich geschehen war, wußte er nicht mehr genau – hatte er entdeckt, daß in diesem leicht reizbaren Mädchen eine leidenschaftliche Frau steckte, und er hatte sich in sie verliebt.

Er ließ seinen Blick durch ihre kleine Atelierwohnung wandern. Mit Vergnügen gewahrte er all die vertrauten Dinge, die der Wohnung ihren persönlichen Stempel aufdrückten: eine niedliche Lampe, deren Fuß aus einer kleinen chinesischen Vase bestand; ein Regal voller Bücher über Ökonomie und Weltarmut; ein großes weiches...