Durchschaut - Das Geheimnis, kleine und große Lügen zu entlarven

von: Jack Nasher

Heyne, 2010

ISBN: 9783641048891 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Durchschaut - Das Geheimnis, kleine und große Lügen zu entlarven


 

I. VERHALTENSÄNDERUNG
Wir wissen nun, dass man gemeinhin auf die völlig falschen Faktoren achtet, um Lügen zu entlarven. Weder der Inhalt des Gesagten noch angeblich »typische« Merkmale wie die Vermeidung von Blickkontakt und zappelige Körpersprache geben wirklich Aufschluss über die Aufrichtigkeit eines Menschen. So einfach ist es also nicht.
Menschen sind eben nicht wie Pinocchio. Der Schriftsteller Carlo Collodi erschuf im späten 19. Jahrhundert die Figur des Pinocchio (in Deutschland bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem kuriosen Namen »Hippeltitsch« bekannt): ein kleiner hölzerner Junge, dessen Nase mit jeder Lüge länger wurde, was es dem Holzschnitzer Geppetto sehr leicht machte, ihm auf die Schliche zu kommen. Die menschliche Nase wächst beim Lügen leider nicht – und es gibt auch sonst kein einzelnes Signal, das bei jeder Lüge zuverlässig auszumachen wäre, denn jeder Mensch verwendet Sprache und Körper auf seine ganz eigene Art und Weise. Ja, sogar ein und derselbe Mensch verhält sich in verschiedenen Situationen unterschiedlich: Beim schaltjährlichen Tee mit der Großtante etwa treten wir völlig anders auf als bei einem vielversprechenden Date.
Nicht ein Anzeichen – sondern die Veränderung!
 
Also nützt es wenig, wie ein Schießhund auf einzelne Anzeichen zu lauern und zu glauben, dass uns diese stets auf die richtige Fährte führen. Auch prinzipiell typische Signale können täuschen: Wenn ein Gast in einer nachmittäglichen Talkshow vor jeder noch so banalen Antwort eine halbe Minute nachdenklich schweigt, muss das noch lange nicht heißen, dass er das Fernsehpublikum schamlos belügt. Vielleicht geht es ja um ein intimes Thema – oder er hat schlicht Lampenfieber. Auch Papst Johannes Paul II. wollte die Ostergäste in seinen letzten Jahren trotz seiner zittrigen Körpersprache wohl kaum belügen.
Treten diese Pausen aber nur bei bestimmten Fragen auf, spricht der Gesprächspartner nur über das eine Thema mit gebrochener Stimme, dann sollten die Alarmglocken klingeln. Genau das ist der entscheidende Punkt: Man muss nach Abweichungen vom Normalverhalten Ausschau halten. Nehmen wir zwei typische Aussagen: »Natürlich hat er gelogen! Immer, wenn ich ihn etwas gefragt habe, hat er weggesehen.« – »Ich wusste, dass er lügt! Er hat mich die ganze Zeit angestarrt.« Hier wird auf zwei unterschiedliche Verhaltensweisen hingewiesen, die aber tatsächlich beide auf eine Lüge hindeuten. Denn so verschieden die Anhaltspunkte auch erscheinen, ist ihnen eines gemeinsam: die Veränderung, die Abweichung von dem Verhalten, das der Mensch normalerweise an den Tag legen würde.
Warum verhält man sich anders, wenn man lügt? Nun, wenn Angst, Schuld, Freude oder Stress empfunden werden – alles typische Begleiterscheinungen der Lüge (dazu später mehr) -, reagiert der Körper entsprechend.
Um Veränderungen effektiv zu erkennen, sollte man zuerst wissen, wie sich der vermeintliche Lügner gewöhnlich verhält. Also muss zunächst das normale Verhalten beobachtet werden, um im nächsten Schritt Abweichungen feststellen zu können. Genau das ist das Prinzip des Lügendetektors. Und wie Sie sehen werden, lässt sich dieses Prinzip auch im Alltag nutzbar machen, ohne dass man stets einen klobigen Kasten mit etlichen Sensoren und Kabeln mit sich führen müsste.
 
 
Das Prinzip des Lügendetektors
 
Stellen Sie sich vor, es gäbe einen echten, perfekten Lügendetektor: Bei Einstellungsgesprächen könnte man innerhalb von Minuten erfahren, ob der Kandidat ehrlich, loyal und zuverlässig ist. Beim geringsten Verdacht auf Untreue würde man mit seinem Mann oder seiner Frau zum nächsten Lügendetektorkiosk gehen – natürlich stünde an jeder Ecke einer zur Verfügung – und hätte Klarheit. Vor Gericht würde die Beweisaufnahme nur wenige Minuten dauern; ja, man würde jeden Bürger einfach alljährlich fragen, ob er gegen das Gesetz verstoßen hätte. Journalisten würden Mini-Lügendetektoren bei sich tragen, um in Sekundenschnelle festzustellen, ob der Interviewte schwindelt. Beim nächsten Kanzlerduell würde der Fernsehsender (oder jedenfalls YouTube) den Wahrheitsgehalt eines jeden Wahlversprechens in Echtzeit einblenden.
Dieses Zeitalter der Wahrheit ist noch nicht angebrochen, der Weg dorthin scheint aber gebahnt. Der Lügendetektor (Polygraph) ist allerdings kein Wunderding, das Lügen intuitiv erkennt – er misst lediglich körperliche Symptome. In der Regel werden am Körper des vermeintlichen Lügners Sensoren angebracht, um Veränderungen des vegetativen Nervensystems zu erkennen: Eine Manschette um den Arm, die Puls sowie Blutdruck misst, eine an der Brust und eine am Bauch, um die Atemfrequenz mitzuverfolgen, und Metallelektroden am Finger, die den Wandel des Hautwiderstands durch Schwitzen erfassen.1
Das Gerät ist mitnichten neu: Der Lügendetektor wurde schon im Jahre 1902 von James Mackenzie erfunden und neunzehn Jahre später vom Medizinstudenten John Larson erstmals praktisch umgesetzt. Seit 1921 hat sich das Gerät – abgesehen von einer kompakteren Bauform und einer digitalen statt analogen Anzeige – kaum verändert.
Der klassische Lügendetektortest, die »Kontrollfragenmethode« (relevant-irrelevant test), wurde bereits 1917 vom Harvardstudenten William Moulton Marston entwickelt (der später unter dem Pseudonym Charles Moulton übrigens die Comicheldin Wonder Woman erschuf, deren Zauberlasso die Geschnappten zwang, die Wahrheit zu sprechen). Dieser Test ist noch immer weit verbreitet. Bei der Kontrollfragenmethode stellt man dem Befragten zunächst ganz unverfängliche Fragen, etwa nach der Uhrzeit oder seinem Namen. Zugleich wird die körperliche Reaktion auf diese Fragen – auf die das »Opfer« wohl nichts als die Wahrheit antworten wird – gemessen. Dieses Normalverhalten nennt man im Fachjargon »Baseline«. Danach konfrontiert man den Befragten mit einer kritischen Frage, auf die er wahrscheinlich mit einer Lüge reagieren wird, zum Beispiel »Haben Sie das Geld gestohlen?«. Treten nun körperliche Veränderungen auf, also Abweichungen von der Baseline, werden sie als Hinweis auf eine Lüge gedeutet.
Eine Variation dieser Methode rollt die Sache von der anderen Seite auf: Hier will man noch vor den entscheidenden Fragen wissen, welche körperlichen Symptome der Befragte beim Lügen zeigt.2 Also fragt man beispielsweise zunächst ganz harmlos: »Haben Sie vor Ihrem achtzehnten Lebensjahr je etwas an sich genommen, das Ihnen nicht gehörte?« Wie man weiß, hat so gut wie jeder als Kind mal eine Kleinigkeit stibitzt; doch der Befragte, der möglicherweise denkt, dass es hier um eine Art Persönlichkeitstest geht, wird wahrscheinlich lügen – also mit »Nein« antworten. Zugleich wird gemessen, wie sein Körper bei der Lüge reagiert. Tauchen dann bei den kritischen Fragen die gleichen Signale auf wie bei der »kleinen« Lüge am Anfang, liegt es nahe, dass auch hier gelogen wird.
Doch wie auch immer man vorgeht: Bei jeder Methode muss erst einmal die Baseline gemessen werden.

Die Baseline


Um Verhaltensunterschiede beim Lügen feststellen zu können, muss man zuerst wissen, wie sich der Gesprächspartner verhält, wenn er nicht lügt.3 Pokerspieler studieren die Baseline ihrer Gegner oft monatelang anhand von Videoaufzeichnungen, um herauszufinden, wann ihre künftigen Turniergegner »ehrlich« spielen und wann sie bluffen. Aber wie macht man das, wenn einem keine Videos zur Verfügung stehen? Ganz einfach: Man unterhält sich. Je mehr man vorab mit dem anderen spricht, desto besser kann man die Baseline seines Gegenübers definieren.
Genauso läuft es auch bei den Verhörprofis: Um das normale Gesprächsverhalten des Verdächtigen kennenzulernen, plaudern Ermittler bei Verhören zuerst mit ihm. Einen Verdächtigen im Guten gesprächig zu machen, lässt ihn auch dann redseliger sein, wenn es um das entscheidende Thema geht. Menschen hören nicht auf zu reden, wenn sie einmal damit begonnen haben. Vor allem sprechen sie gerne von ihrer eigenen Person – begeistert beantworten sie alle möglichen Fragen zu ihren Interessen, Tätigkeiten und Erfolgen. Indem Sie gezielt Interesse an Ihrem Gegenüber signalisieren, bringen Sie den anderen also am leichtesten zum Reden. Mit Bekannten kommt man besonders schnell ins Gespräch, aber auch Fremde – etwa Geschäftspartner – sind einer entsprechenden Plauderei meist nicht abgeneigt.

Kontrollfragen


Aber wir wollen ja nicht, dass der andere einfach irgendwas redet. Nein, zunächst ist uns daran gelegen, dass er die Wahrheit sagt, damit wir feststellen können, wie er sich dabei verhält. Stellen Sie also beim Plaudern Fragen, bei denen eine Lüge praktisch ausgeschlossen ist oder bei denen Sie die Antworten bereits kennen – sogenannte »Kontrollfragen«. Sie können sich nach den Bildern an der Wand erkundigen (ein sehr ergiebiges Thema), nach Hobbys, Lieblingsmusik oder -büchern. Beobachten Sie dabei genau, wie sich Ihr Gegenüber verhält, wenn es ehrlich ist.
Vielleicht kennen Sie den vermeintlichen Lügner schon? In diesem Fall können Sie sich in Erinnerung rufen, wie er sich in einem normalen, höchstwahrscheinlich ehrlichen Gespräch verhält. Doch Vorsicht: Gerade in der Vertrautheit liegt eine Gefahr!

Vorsicht bei Nahestehenden


Bei Nahestehenden kennt man die Baseline schon. Eigentlich müsste es daher sofort auffallen, wenn sich ein Mensch, den man gut...