Die Spionin im Kurbad - Roman

von: Andrea Schacht

Blanvalet, 2013

ISBN: 9783641094898 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Die Spionin im Kurbad - Roman


 

Unterhaltung

Ein paar winzige Pfoten trampelten auf meinem Bauch herum. Ja, ja, ein Tröpfchen Milch konnte ich noch spenden. Dann aber war es gut, und ich schubste die Meute fort, um meinen Plan in Angriff zu nehmen. Ich forderte die Kleinen auf, mir zu folgen. Sehr weit war der Weg ja nicht. Sie waren auch gutwillig, nur eines mochte nicht aufstehen. Ich packte es also am Nackenfell und schleppte es mit mir.

Wir erreichten die Hecke. Ich befahl den Kindern, sich ruhig zu verhalten, und sondierte die Lage im Garten. Es war ein warmer Abend, und auf der Terrasse saßen die Frau, die ich heute Vormittag bereits kennengelernt hatte, und eine ältere, die sich mit ihr beim Essen unterhielt. Die Hausbesitzerin trat zu ihnen.

»Ist alles nach Ihrem Wunsch, Euer Gnaden?«, fragte sie, und die ältere Dame nickte. Die jüngere hob eine Braue.

»Es ist gut, Frau Wennig«, antwortete sie, und es hörte sich nicht eben begeistert an. Die Wirtin stapelte Schüsseln aufeinander und verschwand.

»Mama, es ist nichts nach Wunsch! Dieses Essen ist eine Katastrophe.«

»Ja, aber wir können es uns nicht leisten, groß speisen zu gehen, Altea. Das weißt du doch.«

»Hungern müssen wir aber auch nicht. Hier, ich habe heute Nachmittag etwas erstanden. Das wird uns munden.«

Altea wühlte in ihrer großen Beuteltasche und zog ein Päckchen hervor. Mein Magen krümmte sich vor Gier zusammen. Hühnchen! Ich liebte Geflügel!

Schluss, mahnte ich mich, das war ihr Futter, und sie war auch hungrig. Auf jeden Fall waren die beiden jetzt beschäftigt, und ich konnte unauffällig meinen kleinen Trupp zu dem Schuppen bringen, um den sich dichter Efeu rankte. Unter den Stämmen waren wir sicher, und wenn es regnen sollte, würde sich ein Einschlupf finden. Das Holz war morsch und wies Löcher auf. Vielleicht gab es sogar Mäuse darin.

Wieder musste ich das Vierte schleppen. Als ich alle untergebracht hatte, widmete ich ihm meine Aufmerksamkeit. Es sah nicht gut aus. Es jaunerte leise, und seine Augen waren trüb geworden. Außerdem roch es seltsam. So ein wenig bittersüß. Ich bürstete und massierte es noch einmal gründlich und schnurrte dabei leise. Einmal zuckte es leicht mit den Pfoten.

Dann forderten die anderen etwas zu futtern, und ich machte mich auf die Suche. Zwei Regenwürmer konnte ich aufstöbern. Die machten den Kleinen Spaß, und sie konnten daran das Jagen üben. Währenddessen sah ich nach, ob vielleicht von dem köstlichen Hühnchen etwas übrig geblieben war. Im Schutze der Dämmerung begab ich mich zu dem Tisch auf der Terrasse.

Hier hatte ich einen guten Blick auf die beiden Frauen. Als ich genauer hinsah, erkannte ich die Ältere wieder. Sie war es, die am Nachmittag die Pastille wieder ausgespuckt hatte. Eine verständige Person also.

»Iss du den Rest, Altea, ich brauche nicht so viel.«

»Mama, du wirst wieder hungrig zu Bett gehen, und die ganze Nacht wird mich dein Magenknurren wach halten.«

»Du übertreibst, Kind.«

»Ja, ich übertreibe. Es ist die Wärme unter dem Mansardendach, die mich nicht schlafen lässt.«

»Ich wünschte …«

»Wir können uns viel wünschen. Ich wünsche mir vor allem, dass die Kur dir guttut. Und was die schäbige Verpflegung anbelangt, die die Witwe Bolte uns zubilligt – nun, die weiß ich schon zu ergänzen.«

»Aber sie wird es komisch finden, wenn sie Reste von irgendwas auf den Tellern findet, das sie gar nicht serviert hat.«

»Dann iss deinen Teller leer, Mama!«

»Ich kann doch die Knochen nicht aufessen.«

Altea lachte und legte die Knochen auf ihren Teller.

»Weißt du, wie gleichgültig mir das ist, was die alte Scharteke von Wirtin von mir denkt? Und mach dir keine Sorgen, Mama. So viel Geld haben wir noch, dass wir uns ein Zubrot aus der Garküche leisten können. Außerdem habe ich einen Metzger gefunden, der aus Resten prima Hundefutter herstellt!«

»Altea!«

Die kicherte.

»Nein, nein, so schlimm ist es nicht. Ich bin sicher, seine Buletten genügen auch höchsten Ansprüchen.«

»Das ist alles so peinlich, Altea.«

»Ja, Frau Gräfin.«

»Ach Gott, ach Gott, ach Gott!«

Die Gräfin holte ein Tüchlein hervor und tupfte sich die Augen ab. Menschen kriegen manchmal Wasseraugen. Meist, wenn sie traurig sind. Und traurig war sie wohl, weil sie nicht genug zu essen bekam. Verständlich. Aber wenigstens hatte ihr niemand in die Rippen getreten, und ihre Tochter war auch schon entwöhnt und konnte selbst jagen.

Altea versuchte sie also auch aufzumuntern. Das war recht so.

»Mama, du musst die Möglichkeiten ergreifen, die sich dir bieten. Hast du mir nicht erzählt, dass heute ein charmanter Mann mit dir geflirtet hat?«

»Na ja, richtig geflirtet war das ja nicht. Aber charmant ist der Herr de Bisconti allerdings. Und so gut aussehend!«

»Bisconti? Tatsächlich? Dunkler Typ, schwarze Haare, leichter Silberschimmer an den Schläfen?«

»Ja, Liebes. Kennst du ihn etwa?«

»Ich bin ihm begegnet. Vor dem Krieg. Auf einer Gesellschaft.«

»Was für ein Zufall. Dann solltest du die Bekanntschaft mit ihm erneuern. Er ist ein sehr distinguierter Herr.«

»Doch mehr deine Altersklasse, Mama. Um deinetwillen werde ich mich vielleicht zurückhalten.«

»Kind!«

»Ein reicher Gatte, Mama, wäre für dich die Lösung deiner Probleme.«

»Aber nein, nein, ich bin viel zu alt.«

»Unsinn, du bist dreiundvierzig und ein adrettes Weib.«

Die Gräfin rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum.

»Nein, nein, Altea, du bist diejenige, die heiraten sollte. Auch wenn die Trauer dich noch immer in den Fängen hält.«

»Weniger die Trauer, Mama, als die Tatsache, dass ich ein Krüppel bin.«

Wieder wurde das Tüchlein gezückt und an den Mund gedrückt.

Krüppel? Hatte sie vielleicht doch auch einen Tritt in die Rippen bekommen?

»Du bist kein Krüppel, Altea. Sag doch so was nicht«, schluchzte die Gräfin.

»Je nun, Mama, vielleicht kuriert das gute Wasser hier mein Leid. Ich werde morgen den Badearzt aufsuchen und fragen, ob Bäder mir meine Hüfte heilen.«

»Oh Gott, was bist du zynisch.«

»Nein, Mama, nur realistisch.«

Also wirklich einen Tritt abbekommen. Mich hatte auch mal einer an der Hüfte hinten getroffen. Etliche Tage musste ich humpeln, und es hatte widerlich wehgetan.

Mama streichelte die Hand ihrer Tochter. Das mochte als tröstendes Bürsten durchgehen. Dann erhob sie sich und sagte: »Ich ziehe mich zurück, Altea. Bleib nicht mehr zu lange hier draußen sitzen, die Nachtluft ist ungesund.«

»Ja, Mama. Ich folge dir gleich. Aber ich habe noch eine Verabredung.«

Kerzengrade fuhr die Gräfin auf.

»Mit wem?«

»Mit einer struppigen weißen Katze. Sie wird uns helfen, die anstößigen Reste unseres Mahls zu entsorgen.«

»Oh! Mhm – du und Katzen.«

»Ja, ich und Katzen. Gute Nacht, Mama.«

Als Mama gegangen war, sah Altea sich um. Ich erlaubte mir, mich bemerkbar zu machen, indem ich in den Lichtfleck trat, den die flackernde Lampe auf die Balustrade warf.

»Da bist du ja«, sagte Altea, und ihre Augen wurden zu einem Lächeln.

Ich blinzelte ihr zu.

Sie reichte mir mit spitzen Fingern ein Stück Hühnerfleisch.

Ich konnte nicht anders. Es war solch eine Gier in mir. Ich nahm es, ließ es über die Zunge gleiten, und schon war es unten. Wahrscheinlich war der Aufprall in meinem leeren Magen deutlich zu hören, denn sie reichte mir gleich darauf ein zweites Stückchen. Weg damit. Auch das dritte noch. Tat das gut!

Aber die Pflicht, die Pflicht rief mich.

Und ich nahm das nächste Stück nur zwischen die Zähne und trabte damit zum Schuppen. Die Kleinen hatten eine gute Nase. Sie waren sofort munter und balgten sich darum.

Ich zurück. Großer Bettelblick.

Indes, Altea war bereits aufgestanden und stützte sich auf einen Stock.

Stock? Das taten doch sonst nur ganz alte Menschen. Hatte ich mich da so getäuscht? Nein, hatte ich nicht. Sie war noch jung.

»Wem bringst du denn das Futter, Kleine?«

Ich drehte meine Nase zum Schuppen. Dann sah ich sie wieder an und gab einen kleinen, auffordernden Maunzer von mir. Es wäre leichter, wenn sie das Fleisch zu den Kindern brächte. Und da sie, wie ihre Mama, eine recht verständige Frau zu sein schien, nahm sie auch den Teller in die Hand und humpelte mir nach. Ich verstand – der Tritt hatte ihr wohl die Hüfte ziemlich kaputt gemacht.

Mit ein paar mütterlichen Lauten beruhigte ich die Kleinen, damit sie sich nicht verkrochen. Aber das war eigentlich gar nicht nötig. Sie waren neugierig und hungrig, und ihre Nasen führten sie zum Futter.

»Wie...