Die O'Haras 2. Tanz der Sehnsucht

von: Nora Roberts

Heyne, 2013

ISBN: 9783641120566

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Die O'Haras 2. Tanz der Sehnsucht


 

2. KAPITEL

Fast eine Woche verging, bevor Roy Zeit fand, erneut bei der Probebühne vorbeizuschauen. Er konnte den Besuch sogar rein geschäftlich begründen. Eigentlich hatte er sich nicht um die Show selbst kümmern wollen. Gespräche mit dem Produzenten und Konferenzen mit den Finanzberatern hätten gereicht, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Roy verstand sich auf Bilanzen, Zahlenreihen und Geschäftsunterlagen besser als auf die Geräusche und Gerüche in dem heruntergekommenen Gebäude. Aber schließlich schadete es nie, die Zügel bei einer Investition fest in der Hand zu behalten – selbst wenn diese Investition eine kapriziöse Frau mit einem strahlenden Lächeln einschloss.

Er fühlte sich fehl am Platz auf der Probebühne mit seinem dreiteiligen Anzug, ebenso wie er sich auf einer entlegenen Südsee-Insel gefühlt hätte, wo die Eingeborenen Knochen als Ohrschmuck trugen.

Als er die Treppen hochstieg, redete er sich ein, dass eine ganz natürliche Neugier ihn zurückgeführt habe und die einfache Tatsache, seine finanziellen Interessen zu wahren. Valentine Records hatte eine hübsche Stange Geld in »Take It Off« gesteckt, und er war Valentine Records gegenüber verantwortlich. Dennoch griff er in die Tasche und spielte mit der gefundenen Haarbürste.

In einem Raum voller Spiegel entdeckte er die Tänzer. Es waren nicht die glitzernden, mit Pailletten geschmückten Tänzer, für die man am Broadway zahlte, sondern hier war es eine durcheinandergewürfelte, schwitzende Gruppe von Männern und Frauen in abgetragenen Trikots. Roy fühlte sich ungemütlich, als er sie beobachtete, wie sie einem drahtigen Mann, den er als den Choreografen erkannte, zuhörten.

»Ein bisschen mehr Dampf, Leute«, bestimmte Myron. »Das ist ein Striplokal und kein Tanztee. Wir verkaufen Sex, allerdings gefällig. Wanda, ich will den Hüftschwung langsamer, aufreizender, aber ausladender. Maddy, bei diesem Tanz mehr Druck. Die Bewegungen aus der Taille heraus.«

Er machte es vor. Maddy sah es sich an und grinste dann anzüglich. »Ich habe den Entwurf für mein Kostüm gesehen, Myron. Wenn ich mich so vorbeuge, liefere ich den Jungs in der ersten Reihe eine Anatomiestunde.«

Myron warf ihr einen abschätzenden Blick zu. »Eine kleine, in deinem Fall.«

Die anderen Tänzer prusteten und lachten auf. Maddy nahm die Anspielung mit einem gut gelaunten Lachen an. Und dann nahmen alle wieder ihre Position ein.

Mit wachsendem Erstaunen beobachtete Roy sie, die ihm vorher wie eine unprofessionelle, bunt gewürfelte Mischung erschienen waren. Beine flogen, Hüften rollten. Sich wild bewegende Körper fanden zueinander. Es gab Hebungen, Sprünge, Wirbel und das Geräusch elastisch auf dem Boden aufschlagender Füße. Von seinem günstigen Beobachtungsplatz aus konnte Roy die Anstrengung, den Schweiß und das tiefe, kontrollierte Atmen erkennen. Dann trat Maddy vor, und er vergaß den Rest.

Das Trikot schien mit jeder Kurve und Linie ihres Körpers verwachsen zu sein. Ihre Beine, auch wenn sie in alten Strumpfhosen steckten, schienen bis zur Taille hoch zu reichen. Zunächst die Hände auf den Hüften, bewegte sie sich langsam vorwärts, dann rechts, dann links, der kreisenden Bewegung ihrer Hüften folgend.

Ein Arm wand sich um ihren Körper und flog dann hervor. Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, um zu verstehen, dass sie gerade irgendein Kleidungsstück weggeworfen hatte. Ein Bein schnellte gestreckt hoch. Und langsam, erotisch, ließ sie die Spitzen ihrer Finger den Schenkel hinuntergleiten, während sie das Bein wieder senkte.

Der Rhythmus und das Tempo steigerten sich. Sie bewegte sich wie eine Wildkatze, drehte und wand sich, sinnlich und geschmeidig. Und dann, als die Tänzer hinter ihr sich in einen wahren Bewegungsrausch steigerten, drehte sie sich aus der Taille heraus und schaffte eine faszinierende Wirkung allein vom Spiel ihrer Schultern her. Ein Mann löste sich aus der Gruppe und ergriff ihren Arm. Nur mit der Drehung ihres Körpers und der Haltung ihres Kopfes drückte sie ein aufreizendes Katz-und-Maus-Spiel und spöttische Bereitwilligkeit aus. Als die Musik endete, hielt der Mann sie gefangen, ihren Körper zurückgebogen. Und fest lag seine Hand auf ihrem Po.

»Besser«, entschied Myron. Die Tänzer sanken in sich zusammen, als könnten sie sich nicht mehr auf den Beinen halten. Maddy und ihr Partner drohten übereinander zusammenzubrechen.

»Pass auf deine Hand auf, Jack.«

Er lehnte sich etwas über ihre Schulter. »Ja, ich habe sie genau im Auge.«

Ihr gelang ein atemloses Lachen, bevor sie ihn von sich schob. Erst jetzt bemerkte sie Roy an der Tür. Er verkörperte ganz den ordentlichen, erfolgreichen Geschäftsmann. Maddy warf ihm ein freundliches Lächeln zu.

»Lunchpause«, verkündete Myron und steckte sich eine Zigarette an. »Maddy, Wanda und Terry sind in einer Stunde wieder zurück. Jemand soll Carter verständigen, dass er auch kommen soll. Gesangsprobe ist um halb zwei in Raum B.«

Der Raum leerte sich schon. Maddy nahm ihr Handtuch und vergrub ihr Gesicht darin, bevor sie zu Roy hinüberging. Einige der Tänzerinnen gingen an ihm mit nicht gerade unauffällig auffordernden Blicken vorbei.

»Hallo.« Maddy schlang ihr Handtuch um den Hals und schob Roy sachte aus dem Weg der hungrigen Tänzer. »Haben Sie das ganze Ding gesehen?«

»Das ganze Ding?«

»Den Tanz.«

»Ja.« Die Art, wie sie sich bewegt und Erotik ausgeströmt hatte, würde er so schnell nicht vergessen können.

»Und?«

»Beeindruckend.« Nun sah sie ganz einfach wieder wie eine Frau aus, die hart gearbeitet hatte, zwar attraktiv, aber kaum von naturgewaltiger Verführungskraft. »Sie haben … nun, eine Menge Energie, Miss O’Hara.«

»Oh, davon bin ich vollgepackt. Sind Sie wieder hier wegen einer Besprechung?«

»Nein.« Er fühlte sich etwas lächerlich, als er ihre Haarbürste herauszog. »Die gehört wohl Ihnen.«

»Ja.« Erfreut nahm Maddy sie von ihm. »Ich hatte sie schon als verloren abgeschrieben. Das war nett von Ihnen.« Sie tupfte sich wieder mit dem Handtuch das Gesicht ab. »Augenblick.« Sie ging hinüber zu ihrem Beutel und verstaute die Bürste und das Handtuch.

Beim Hinunterbeugen spannte sich ihr Trikot über ihrem Po, ein Anblick, der Roy alles andere als unangenehm war. Den Beutel über der Schulter, kam sie zurück.

»Wie wäre es mit Lunch?«, fragte sie ihn.

Es war so beiläufig gefragt und so lächerlich verlockend, dass er fast zugesagt hätte. »Ich habe schon eine Verabredung.«

»Dinner?«

Seine Braue hob sich. Sie sah ihn an, ein kleines Lächeln auf den Lippen und Lachen in den Augen. Die Frauen, die er kannte, hätten die Annäherungsversuche und weiteren Schritte kühl beherrscht ihm überlassen. »Soll das eine Einladung sein?«

Die Frage klang höflich, doch wachsam, und sie musste wieder lachen. »Schnelle Auffassungsgabe, Mr. Valentine Records. Essen Sie denn Fleisch? Ich kenne genügend Leute, die es nicht anrühren würden.«

»Nun, ja.« Er fragte sich, warum er sich so fühlte, als ob er sich entschuldigen müsste.

»Gut. Ich mache Ihnen ein Steak. Haben Sie einen Stift?«

Unsicher, ob er amüsiert oder einfach verwirrt sein sollte, zog Roy einen aus der Brusttasche.

»Ich wusste, dass Sie einen haben.« Maddy rasselte ihre Adresse herunter. »Also, um sieben.« Sie rief jemandem hinten im Korridor zu, auf sie zu warten, und war selbst weg, bevor er ablehnen oder zusagen konnte.

Roy verließ das Gebäude, ohne ihre Adresse aufgeschrieben zu haben. Aber er vergaß sie nicht.

Maddy machte alles aus dem Impuls heraus. Damit rechtfertigte sie auch vor sich selbst, Roy zum Essen eingeladen zu haben, obwohl sie ihn kaum kannte und nichts Interessanteres zu Hause hatte als einen Bananenjoghurt. Er ist interessant, sagte sie sich, und das zählte. Und so machte sie, nach einem zehnstündigen Tag auf den Füßen, auf dem Weg nach Hause Halt für einen schnellen Einkauf.

Sie kochte nicht oft. Nicht, dass sie es nicht konnte, es war nur einfacher, aus einem Karton oder einer Büchse zu essen. Und wenn es nicht ums Theater ging, wählte Maddy stets den einfacheren Weg.

Als sie ihr Apartmenthaus betrat, hörte sie schon, wie die Gianellis im ersten Stock sich stritten. Italienische Schimpfwörter hallten durchs Treppenhaus. Maddy erinnerte sich an ihre Post, joggte zurück, suchte an ihrem Schlüsselbund den winzigen Briefkastenschlüssel und schloss die zerbeulte Tür auf. Mit einer Postkarte von ihren Eltern, der Reklame von einer Lebensversicherungsgesellschaft und zwei Rechnungen joggte sie wieder hinauf.

Im zweiten Stock hockte die Neue von 242 auf dem Treppenabsatz und las ein Buch.

»Was macht die englische Literatur?«, erkundigte sich Maddy.

»Ich glaube, ich schaffe die Prüfung im August.«

Sie macht einen einsamen Eindruck, dachte Maddy. »Ich habe leider keine Zeit. Ich erwarte jemanden zum Essen.«

Im dritten Stock ertönte dröhnende Rockmusik und das Aufstampfen von Füßen. Die Disco-Königin übt wieder, entschied Maddy und lief das letzte Stockwerk hoch. Nach einem hastigen Herumsuchen nach ihren Schlüsseln betrat sie ihre Wohnung. Sie hatte noch eine Stunde.

Auf dem Weg in die Küche schaltete sie die Stereoanlage an. Dann schrubbte sie zwei Kartoffeln ab, steckte sie in den Ofen, erinnerte sich sogar daran, ihn anzuschalten, und schließlich kam der frische Salat noch in die Spüle, und der Wasserhahn wurde...