Die Juliette Society - Roman

von: Sasha Grey

Heyne, 2013

ISBN: 9783641118815 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

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Die Juliette Society - Roman


 

1. Kapitel

Wenn ich Ihnen erzählen würde, dass es eine Geheimgesellschaft gibt, deren Mitglieder nur aus den mächtigsten Menschen der Welt besteht – Banker, Superreiche, Medienmoguln, Vorstandsvorsitzende, Anwälte, Richter, Waffenhändler, hochdekorierte Militärs, Politiker, Regierungsbeamte, ja selbst prominente Vertreter der katholischen Kirche – würden Sie mir glauben?

Und ich rede jetzt nicht von den Illuminaten. Oder der Bilderberg-Gruppe, den Treffen in Bohemian Grove oder irgendwelchen abgedroschenen Hirngespinsten, die nur den kommerziellen Absichten verlogener, durchgeknallter Verschwörungstheoretiker dienen.

Nein. Auf den ersten Blick ist dieser Club viel unschuldiger und harmloser.

Auf den ersten Blick.

Aber nicht auf den zweiten.

Dieser Club trifft sich unregelmäßig an einem geheimen Ort. Manchmal im Verborgenen, manchmal insgeheim und doch vor aller Augen, jedoch niemals zweimal am selben Fleck. Üblicherweise noch nicht mal in derselben Zeitzone.

Die Leute, die zu diesen Treffen kommen, sind … na ja, reden wir nicht um den heißen Brei herum: Sie sind die Masters of The Universe, die Herrscher des uns bekannten Sonnensystems. Diese Menschen, die Mächtigen, entspannen sich bei diesen privaten Treffen von dem ebenso wichtigen wie anstrengenden Geschäft, die Welt noch ein bisschen abgefuckter zu machen, als sie sowieso schon ist, und sich weitere sadistische und perverse Methoden auszudenken, die Bevölkerung zu quälen, zu versklaven und in die Armut zu treiben.

Und was machen diese Leute im Urlaub, wenn sie mal die Seele baumeln lassen wollen?

Das liegt ja wohl auf der Hand.

Sie ficken.

Mir scheint, dass Sie noch nicht so richtig überzeugt sind. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Kennen Sie einen Automechaniker, der kein Faible für Motoren hat? Einen professionellen Fotografen, der niemals außerhalb seines Studios ein Bild schießt? Einen Bäcker, der keinen Kuchen mag?

Und diese Leute, die Mächtigen, sind – nehmen wir mal kein Blatt vor den Mund – Meister darin, andere zu ficken.

Sie ficken sie, um ihnen eins reinzuwürgen. Sie ficken sie, um an die Spitze zu gelangen. Sie ficken sie, nehmen ihnen ihr Geld, ihre Freiheit und ihre Zeit. Sie ficken sie so lange, bis sie unter der Erde liegen. Und dann noch mal.

Und was machen diese Leute, die professionellen Ficker, in ihrer Freizeit? Genau …

Außerdem sind mächtige Menschen wie Berühmtheiten und Filmstars. Sie hängen am liebsten mit ihresgleichen herum. Ständig. Und dabei werden sie nicht müde zu betonen, dass sie das bloß deshalb so machen, weil die gewöhnlichen Menschen sie einfach nicht verstehen. Aber in Wahrheit wollen sie nur nichts mit den unteren Schichten zu tun haben, mit dem gemeinen Volk, dem Pöbel und den Ungehobelten, die es ganz besonders freut, wenn einmal einer der Reichen und Mächtigen durch die eine Sache zu Fall gebracht wird, die ihnen immer und ohne Ausnahme zum Verhängnis wird wie das Kryptonit für Superman: Sex.

Diese Leute, die Mächtigen, die Profificker, wissen, wie sie so viel Sex haben können, wie sie wollen. Wie sie ungehemmt ihre wildesten und zügellosesten Fantasien ausleben – ganz ohne Skandal. Das klingt jetzt so, als hätten sie rausgefunden, wie man ohne Gestank furzt, aber was soll’s … sie tun es, hinter verschlossenen Türen, gemeinsam und im Geheimen.

Henry Kissinger hat mal gesagt, dass Macht das ultimative Aphrodisiakum sei. Da hatte er sich schon lange genug an den Schaltstellen der Macht herumgedrückt, sodass er vermutlich genau wusste, wovon er sprach. Und dieser Club ist der Beweis.

Man könnte ihn den Fortune-500-Fickerclub nennen.

Die Liga der Unsterblichen Motherfucker.

Den World Bang.

Die Sexliga.

Oder:

Die Juliette Society.

Los, googeln Sie das ruhig – Sie werden nichts finden. Absolut nichts – so geheim ist diese Gesellschaft. Damit Sie aber nicht völlig im Dunkeln tappen, hier ein paar Informationen zu ihrer Geschichte:

Die Juliette, nach der diese Geheimgesellschaft benannt wurde, ist eine von zwei fiktiven Schwestern (die andere heißt Justine), geboren (wenn man es denn so nennen will) von Marquis de Sade, einem französischen Adeligen, der im 18. Jahrhundert lebte. Ein Freigeist, Schriftsteller und Revolutionär, dessen sexuelle Abenteuer den Adel so sehr empörten, dass er für seine Obszönitäten in der Bastille landete. Was im Nachhinein wohl ein Fehler war. Denn der Marquis saß in seiner Zelle und hatte den lieben langen Tag nichts anderes zu tun, als sich einen von der Palme zu schütteln. Da dachte er sich natürlich nur noch mehr und gewaltigere Obszönitäten aus. Schon aus Prinzip.

Während seiner Haft schrieb er den wichtigsten erotischen Roman der Welt: Die 120 Tage von Sodom. Das einzige Buch, das die Bibel in puncto sexueller Perversion und Gewalt noch übertrifft. Wobei es nur unwesentlich kürzer ist. Übrigens rief der Marquis von seiner Zelle aus dem Volk zu, es solle sich erheben und die Bastille stürmen, womit er unbeabsichtigt die Französische Revolution ins Rollen brachte.

Zurück zu Juliette. Sie ist die unbekanntere der beiden Schwestern. Nicht, weil sie die Ruhigere ist, ganz im Gegenteil. Eigentlich ist es Justine, die ziemlich verklemmt und prüde ist. Sie spielt auf der Suche nach Anerkennung ständig die Opferrolle, was einem irgendwann fürchterlich auf die Nerven geht. Sie ist wie einer dieser Stars, die ständig auf ihrer Drogen- und Sexsucht herumreiten und unermüdlich öffentlich ihre Tugendhaftigkeit unter Beweis stellen wollen, indem sie in jeder Reality-Show die Geläuterten geben.

Und Juliette? Tja, Juliette lebt schamlos ihre Lust am Sex und am Töten aus, und es gibt keinen fleischlichen Genuss, der ihr fremd ist. Sie fickt und tötet und tötet und fickt und manchmal tut sie beides gleichzeitig. Und kommt immer ungeschoren davon, muss niemals den Preis für ihre Laster und Verbrechen bezahlen.

Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Und jetzt kapieren Sie auch, warum diese Geheimgesellschaft, die Juliette Society, nicht ganz so harmlos ist, wie es den Anschein hat.

Wenn ich Ihnen erzählen würde, dass es mir gelungen ist, den engsten Kreis dieser Gesellschaft zu penetrieren (entschuldigen Sie das Wortspiel) – würden Sie mir glauben?

Eigentlich habe ich dort nämlich nichts verloren. Ich bin Filmstudentin im sechsten Semester. Ich bin niemand Besonderes. Ich bin eine ganz gewöhnliche junge Frau wie jede andere auch, mit ganz gewöhnlichen Bedürfnissen und Wünschen.

Liebe. Sicherheit. Glück.

Und Spaß, ich liebe Spaß. Ich zieh mich gerne gut an und will toll aussehen, aber ich mache mir nichts aus teuren Klamotten. Ich fahre einen alten, gebrauchten Honda, den mir meine Eltern zum achtzehnten Geburtstag geschenkt haben und auf dessen Rücksitz immer irgendwelcher Krempel rumfliegt, weil ich nie Zeit habe, ihn richtig sauber zu machen. In diesen Honda habe ich auch all meine Sachen gepackt, als ich von zu Hause auszog, um aufs College zu gehen. Die Freunde, die ich damals zurückließ, kannte ich seit meinen Kindertagen. Mit einigen habe ich mich auseinandergelebt, andere dagegen sind mir geblieben und werden immer ein Teil meines Lebens sein. Außerdem habe ich eine ganze Reihe neuer Freunde gefunden, die mir die Augen geöffnet und meinen Horizont erweitert haben.

Jetzt klinge ich doch schon nicht mehr ganz so klugscheißermäßig, oder? Das hört sich doch schon eher ganz kumpelhaft und bescheiden an. Echter Macht am nächsten komme ich höchstens in meinem Kopf.

Ich habe da diese sexuelle Fantasie, die immer wiederkehrt. Und nein, sie handelt nicht davon, irgendeinen alten, milliardenschweren Knacker wie Donald Trump in seinem Privatjet irgendwo fünfunddreißigtausend Fuß über Saint-Tropez zu ficken. Ich kann mir nichts vorstellen, was mich mehr abtörnen würde. Meine Fantasien sind da viel bodenständiger – viel profaner und intimer.

Ein paarmal in der Woche hole ich meinen Freund von der Arbeit ab, und manchmal, wenn er Überstunden macht und außer ihm keiner mehr da ist, dann male ich mir aus, wie wir es im Büro seines Chefs miteinander treiben – was wir aber noch nie wirklich getan haben. Aber ein Mädchen wird ja wohl noch träumen dürfen.

Sein Chef ist Senator. Oder besser gesagt: ein erfolgreicher Anwalt und zukünftiger Senator. Mein Freund Jack arbeitet in seinem Wahlkampfbüro. Außerdem steht er kurz vor seinem Abschluss in Wirtschaft. Deswegen haben wir auch so wenig Zeit für uns, denn wenn er aus dem Büro kommt, ist er meistens so fertig, dass er auf dem Sofa einschläft, kaum dass er sich die Schuhe ausgezogen hat. Und morgens muss er früh raus und in die Uni, da bleibt normalerweise nicht einmal mehr Zeit für einen Quickie.

Also träume ich davon, die allzeit bereite Freundin zu spielen. Ich sehe die Szene genau vor mir. Dem Anlass entsprechend trage ich High Heels und meinen Lieblingsmantel, einen Trenchcoat – genau wie der von Anna Karina in Godards Made in U.S.A. Und darunter Dessous. Vielleicht den durchsichtigen schwarzen BH und den Slip mit den dazu passenden Strapsen. Oder gleich oben ohne und mit weißen Kniestrümpfen und diesem niedlichen gepunkteten Höschen, das ihn immer total scharfmacht. Oder aber nur High Heels und nichts als einem verführerischen cremefarbenen Seidenslip oder einem Chiffon-Babydoll über den nackten Beinen. Jedenfalls nie ohne einen Hauch rubinroten Lippenstift. A...