Requiem (eBook) - Frank Beauforts zweiter Fall - Frankenkrimi

von: Dirk Kruse

ars vivendi, 2010

ISBN: 9783869133232 , 344 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Requiem (eBook) - Frank Beauforts zweiter Fall - Frankenkrimi


 

 

Dies irae, dies illa

Tag der Rache, Tag der Sünden

 

2. Kapitel: Sonntag, 21. April

Regen prasselte auf das kreisrunde Oberlicht der Bibliothek. Er schwoll weder an, noch schwächte er sich ab; seit Stunden fiel er in einem gleichmäßigen Andante und bildete die Begleitmusik eines verregneten Sonntags. Frank Beaufort saß in seinem Ohrensessel, die Beine auf einem gepolsterten Schemel ausgestreckt. Kopf und Oberkörper waren hinter dem Politikteil der ZEIT vollständig verborgen. Nur die schlanken Finger, die die Wochenzeitung hielten, schauten dahinter hervor. Weil die CD des Esbjörn Svensson Trios verklungen war und er gerade einen langen Artikel über Nicolas Sarkozys Kampf gegen die Front National fertiggelesen hatte, nahm er das Geräusch des Regens wieder wahr. Leise raschelnd faltete Beaufort den Zeitungsteil zusammen und ließ ihn zu den anderen auf den Boden gleiten. Mit stiller Andacht schaute er zu Anne Kamlin hinüber, die keine drei Meter von ihm entfernt auf der Couch lag und in die Brigitte vertieft war. Auf ihrer Stirn zeigten sich Fältchen der Konzentration, die langen dunklen Haare flossen in Kaskaden über das Kissen. Ihre Schönheit berührte ihn jedes Mal aufs Neue. Als er sie lange genug angesehen hatte, ohne dass Anne davon Notiz nahm, erhob er sich, tat ein paar Schritte zu ihr hin und setzte sich ans Fußende. Er streichelte ihre Beine, sie ließ die Zeitschrift sinken und lächelte ihn an.

»Du hast ja ganz kalte Füße. Soll ich dich zudecken?«

»Ja, bitte. Kein Wunder, dass ich friere, bei dem Mistwetter.«

Beaufort angelte die irische Wolldecke aus dem Korb neben dem Sofa und breitete sie über Anne.

»Danke. Du bist ein Schatz«, sagte Anne zärtlich.

»Der perfekte Mann erfragt eben jeden Wunsch der Frau und erfüllt ihn dann«, erwiderte Beaufort mit einer Mischung aus Ironie und Selbstbewusstsein.

»Ich würde sagen: Der perfekte Mann erfüllt jeden Wunsch der Frau, ohne groß zu fragen. Eben weil er spürt, was sie gerade will«, gab Anne zurück. Sie neckten sich gern mit Repliken dieser Art.

Beaufort dachte kurz nach.

»Nein. Der wirklich perfekte Mann erfüllt der Frau jeden Wunsch, selbst solche, von denen sie noch gar nicht weiß, dass sie sie hat.«

»So, und was wäre mein geheimer Wunsch?«

»Du möchtest, dass ich mich auf dich lege, um dich zu wärmen.«

Damit glitt er auf die Journalistin, und die beiden schmus­ten und schnäbelten, bis es ihnen auf der schmalen Couch zu unbequem wurde. Beaufort stand auf und ging hinüber zur Fensterfront, während Anne ihre Lektüre wieder aufnahm. Unter ihm platschten die Regentropfen in die träge dahinfließende Pegnitz und zerrissen die Wasseroberfläche tausendfach mit Einschusslöchern, die sich gleich wieder schlossen. Die Kaiserburg war im Dunst der tiefhängenden Wolken kaum noch zu erkennen. Der Nachmittag war so dämmerig, dass etliche Fenster in der Altstadt erleuchtet waren.

»So ein trüber Tag. Es gießt wirklich in einer Tour.«

»Ausgerechnet am Sonntag. Sollen wir nicht trotzdem spazieren gehen? Ich könnte ein bisschen frische Luft vertragen«, kam es hinter der Zeitschrift hervor.

»Ist nicht dein Ernst, oder? Bei dem Wetter jagt man doch keinen Hund vor die Tür.«

»Ein wenig Bewegung könnte dir nicht schaden. Du hast über den Winter ganz schön zugelegt.«

Beaufort betastete heimlich seinen Hüftspeck und zog eine Schnute. Das war ein Thema, das er lieber vermied. Er liebte Süßigkeiten, und vielleicht hatte er es diesen Winter mit Elisenlebkuchen, Schokolade und Plätzchen wirklich etwas übertrieben. Aber gerade jetzt sehnte er sich nach einem Stück Kuchen und einer Tasse Cappuccino.

»Was liest du da eigentlich so Faszinierendes in deiner Frauenfachzeitschrift?«, versuchte er abzulenken. »Etwas über die aktuelle Sommermode, oder gibt es neue Pilates-Übungen für einen strafferen Po?« Den ironischen Seitenhieb auf die leckersten Rezepte, um an Pfingsten die Familie zu verwöhnen, verkniff er sich. Das Thema Essen wollte er ja gerade umgehen.

»Idiot«, brummelte sie, »du weißt genau, dass ich jeden Tag mehrere Zeitungen lese, da wirst du mir doch noch ab und zu die Brigitte gönnen.«

Beaufort grinste – Mission erfüllt.

»Und wenn du es wirklich wissen willst«, fuhr Anne fort, »ich lese einen sehr interessanten Artikel über die Frauenquote. Die finde ich eigentlich blöd. Aber wenn man hier erfährt, dass nur 7,5 Prozent der Aufsichträte in Konzernen und Banken weiblich sind, fängt man an, anders über die Finanzkrise zu denken.« Sie legte die Zeitschrift auf den Couchtisch. »Ich plädiere für die Frauenquote in der Fußballreportage. Außer dieser schrillen Töpperwien darf wirklich keine Frau ein Bundesligaspiel in der ARD kommentieren.«

Genau das war momentan der größte berufliche Wunsch der Journalistin. Sie arbeitete seit Monaten an einer Karriere als Sportreporterin und hatte sich mit ihren launigen Vor- und Nachberichten zu den Spielen des 1. FC Nürnberg schon einen guten Ruf im Hörfunk erarbeitet. Aber den Weg bis zur Live-Reportage bei Heute im Stadion zu schaffen, war fast aussichtslos. Beaufort betrachtete diesen Ehrgeiz mit Argwohn. Er interessierte sich null für Fußball. Außer Andy Köpke kannte er keinen einzigen Club-Spieler, und dessen aktive Zeit lag schon Jahre zurück. Er hatte noch niemals ein Fußballstadion betreten und hatte auch nicht vor, es zu tun.

»Reg dich nicht auf. Irgendwann wird der BR deine wahren Qualitäten schon noch entdecken«, versuchte er zu beschwichtigen.

»Und wenn ich’s geschafft habe, begleitest du mich zu jedem Heimspiel, oder?«, zog sie ihn auf.

»Ich freu’ mich drauf.« Beaufort verzog sein Gesicht zu einem gequälten Grinsen. »Bin ich froh, dass du nicht auch noch Motorrad fährst. Das wären tolle Wochenenden. Erst zum Biken in die Fränkische Schweiz und danach ins Stadion.«

Anne lachte und Beaufort ging die breite Wendeltreppe nach unten, um in der Küche für sie beide Kaffee zu kochen. Er bereitete seine ECM Espressomaschine vor und stellte die Tassen bereit. Dann machte er sich in Ermangelung von Kuchen oder Torte auf die Suche nach süßem Ersatz. Gerade als er eine Packung trockener Kekse öffnen und sie in die Gebäckschale füllen wollte, klopfte es an der Wohnungstür. Er schaute durch den Spion und hatte die Vision eines Gugelhupfs mit dicker Schokoladenglasur vor sich. Da er hinter dem Kuchen jetzt auch das resolute Gesicht seiner Haushälterin wahrnahm, wusste er, dass dieser Gugelhupf keine Sinnestäuschung war. Mit Schwung öffnete Beaufort die schwere Eichentür und verbeugte sich übertrieben ehrerbietig.

»Frau Seidl, Sie schickt der Himmel«, sagte er begeistert. »Und wie der duftet.« Er beugte sich über den Kuchen und sog genießerisch den süßen Wohlgeruch ein.

»Bassn’s auf Ihr Nasn auf, die Schoklad is noch ned ganz fest. Ich hab’n erst vor anner halbn Stund aus’m Ofen gnommen«, sagte Rita Seidl beim Hereinkommen.

»Ich war gerade dabei für Anne und mich Kaffee zu kochen. Sie kommen wirklich wie gerufen«, strahlte er sie an.

»Ich weiß doch, wie gern sie mein Kuchn mögn, Herr Beaufort. Und als ich Frau Kamlins Auto vor dem Haus g’sehn hab, hab ich mir dacht: Frische Eier und gute Butter hast da, backst halt schnell an Gugelhupf für die zwaa.«

Anne war seit langem die erste Freundin Beauforts, die seine Haushälterin voll akzeptierte. Mehr noch, Frau Seidl hatte die Reporterin, deren Stimme sie schon lange aus dem Radio kannte, ins Herz geschlossen. Und das bedeutete, dass sie ihr Verwöhnprogramm, das sie sonst nur ihrem geliebten Chef angedeihen ließ, auch auf Anne ausdehnte. Es war für die Journalistin nicht immer einfach, das anzunehmen. Während Beaufort, aufgewachsen in einer Nürnberger Unternehmerfamilie, der ein internationaler Spielwarenkonzern gehörte, von klein auf an hilfreiche Dienste durch Hauspersonal gewöhnt war – Anne nannte das spöttisch seine feudale Ader –, leistete sie sich nicht mal den Luxus einer Putzfrau. Es kam ihr irgendwie ungehörig vor, sich von jemand anderem ihre Sachen aufräumen zu lassen.

Rita Seidl balancierte den Kuchen in die Küche, übernahm dort sofort das Kommando und ließ Beaufort keinen Handgriff mehr tun. Nur an seine Technika III ließ er sie nicht heran, und sie hätte es auch nicht gewagt, an diese Dampfmaschine für Männer Hand anzulegen. Sie plauderten, und ausnahmsweise nahm die Haushälterin die Einladung an, sich an der Kaffeetafel zu beteiligen. Als alles auf zwei Tabletts angerichtet war, trugen die beiden sie hoch in die Bibliothek.

»Schau mal, wen ich mitgebracht habe. Und sieh dir nur diesen prächtigen Gugelhupf an.«

Anne stand auf und schüttelte der Haushälterin erstaunt die Hand.

»Ja, Frau Seidl, es ist doch Sonntag! Sind Sie heute gar nicht bei ihrem Bruder in Gößweinstein?«

»Der is doch auf Kur im Allgäu. Der hat’s ja so arch mid die Bandscheibn. Gottseidank bin ich g’sund. Und bei ihner? Ham’s endlich amol frei?«

»Nicht wirklich. Ich habe heute Bereitschaftsdienst, aber bisher ist alles ruhig. Keine spektakulären Verkehrsunfälle und keine Feuersbrünste.« Sicherheitshalber klopfte Anne dreimal auf den großen Holztisch am Fenster, an dem sie sich niederließen, Cappuccino tranken (Beaufort mit drei Löffeln Zucker) und Kuchen aßen (Beaufort zwei große Stücke).

»Aber gestern habn’s doch Dienst g’habt«, insistierte Frau Seidl, die sich...