Governance in einer sich wandelnden Welt

von: Gunnar Folke Schuppert, Michael Zürn

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2009

ISBN: 9783531910666 , 600 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 42,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Governance in einer sich wandelnden Welt


 

Gleichstellungspolitik und feministische Politikwissenschaft – eine „unsichtbare Avantgarde" der Governance-Forschung? (S. 330-331)

Silke Bothfeld* / Mara Kuhl Einleitung

Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist in Deutschland noch nicht überall Realität, trotz zahlreicher gleichstellungspolitischer Aktivitäten. Wie ist die fortbestehende Diskrepanz zwischen der Gleichstellung de jure und de facto zu erklären? Wir begreifen dieses Phänomen als Ergebnis von Steuerungsdefiziten, die durch die Besonderheiten des Politikfeldes und damit durch die begrenzte Steuerbarkeit der Gleichstellung selbst bedingt sind. Zudem sind die gewählten Instrumente zur Erreichung des Politikziels nicht ausreichend geeignet.

Unsere These ist, dass die Gleichstellungspolitik mit den für sie immer schon typischen Strukturen, Modi und Prozessen Steuerungsformen aufweist, die derzeit der Untersuchungsgegenstand der Governance-Forschung sind, so dass die Gleichstellungspolitik als „unsichtbare Avantgarde" der Entwicklungen hin zu Governance betrachtet werden kann. Zudem hat die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung bereits umfassend die Ansätze, Potenziale und Grenzen dieser governance-ähnlichen Steuerungsformen untersucht, so dass sich – dies unsere zweite These – wissenschaftliche Synergien aus der Zusammenführung der Erkenntnisse politikwissenschaftlicher Geschlechterforschung und der Governance-Forschung ergeben.

Erstere hat die Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit als ein konstitutives Element der Geschlechterverhältnisse identifiziert, auf die schwachen Machtressourcen der Netzwerke gleichstellungspolitischer Akteure hingewiesen und außerdem die Diversität, Komplexität und Dynamik des Gleichstellungsproblems, die staatliche Akteure tendenziell normativ und kognitiv überfordern, genau beschrieben. Diese Merkmale der Gleichstellungspolitik werden von der Governance-Forschung als wahrgenommene Veränderungen der sozialen und politischen Realität thematisiert (Benz 2004, Kooiman 2005).

Dabei wird nicht nur die Unterscheidung zwischen instrumenteller und institutioneller Ebene getroffen, sondern auch eine Meta-Ebene staatlichen Handelns identifiziert, und damit die Frage nach dem demokratischen Überbau politischer Steuerung aufgeworfen (vgl. dazu stellvertretend Abels/Sifft 1999, Benz 2004, Kreisky 1997, Sauer 2001). Wir meinen, dass die paradigmatische Hinwendung zum Governance- Konzept ein Gelegenheitsfenster par excellence bietet, den politikwissenschaftlichen Erkenntniskanon um die Ergebnisse der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung zu erweitern, und dass in der Zusammenführung beider Ansätze auch ein Mehrwert für die Analyse anderer Politikfelder liegt.

Unter Governance-Forschung verstehen wir eine analytische Perspektive zum verbesserten Verständnis der Politikprozesse, die die Interaktion zwischen sozialen Akteuren unterschiedlicher Provenienz (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft) vorstrukturieren. In dieser Sichtweise wird Institutionen als Rahmenbedingungen für das Akteurshandeln zwar eine hohe Bedeutung zugemessen, gleichzeitig aber werden zur gesetzlichen Regulierung alternative Steuerungsinstrumente als wirkungsmächtig angenommen und Kooperation und Kommunikation zwischen staatlichen sowie nicht-staatlichen Akteuren als politikrelevante Mechanismen konzipiert.

Governance als heuristisches Konzept entspricht in unserem Verständnis also dem weiten politikwissenschaftlichen Governance- Begriff, der die ganze Bandbreite staatlicher und nicht-staatlicher Regelungsformen und ihrer Kombinierbarkeit umfasst (vgl. Mayntz 2004: 67 sowie in diesem Band) und sich gleichzeitig auf die Dimensionen der Regelungsstrukturen, der Regelungsmodi und der Prozesse politischen Handelns bezieht (vgl. Schuppert in der Einleitung zu diesem Band). Wir meinen, dass anhand dieser drei Dimensionen Gleichstellungspolitik hervorragend analysierbar ist und sich ihre Stärken und Schwächen identifizieren und erklären lassen.